Expert*innen aus Politik- und Geschichtswissenschaft sowie aus Soziologie und Psychologie analysieren in der neuen Ausgabe des UniReports den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Prof. Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin und Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), ist skeptisch, ob sich in Russland die Kritik an Putins Kriegspolitik mehr Gehör und Einfluss verschaffen kann. Man wisse gegenwärtig nicht, wie Putin-freundlich die Stimmung in der russischen Bevölkerung wirklich sei. Grundsätzlich gelte: „Was wir wissen ist, dass jede Herrschaft in Bedrängnis gerät, wenn sie nicht mehr ‚liefern‘ kann, das heißt, wenn wichtige Unterstützerkreise den Eindruck gewinnen, dass sie ohne den jeweiligen Herrscher oder die Herrscherin besser dran wären. Das kann, je nachdem, wie sich die Lage in Russland unter dem Eindruck der Sanktionen und des Kriegs entwickelt, auch dort geschehen.“
Den von Bundeskanzler Scholz bemühten Begriff der „Zeitenwende“ hält der Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Plumpe aus europäischer Sicht durchaus für zutreffend; in globaler Perspektive müsste er aber relativiert werden. Dass Großmächte ihre Einflusszonen militärisch sichern, auch militärisch eingreifen, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen, ist seiner Einschätzung nach nicht so selten. Sanktionen allein hätten in historischer Perspektive wenig bewegt, so Plumpe; ihre Wirkungen seien diffus, weil ja nicht nur Regierungen, sondern eben auch die Bevölkerung getroffen würden.
Der Sozialpsychologe Prof. Rolf van Dick, der gerade zusammen mit einem Marburger Kollegen einen Offenen Brief an Putin veröffentlicht hat, dem sich bereits viele Fachkolleg*innen angeschlossen haben, weist die Annahme zurück, nach denen der Krieg einzig und allein von Putin ausgehe: „Es ist ja nicht Putin selber, der Bomben abfeuert, es sind Soldaten auf allen Ebenen beteiligt, die sich diesem sinnlosen Krieg durchaus verweigern könnten.“
Was macht die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine mit der deutschen Gesellschaft, welche Rolle spielen die Medien im öffentlichen Diskurs? Damit beschäftigt sich der Soziologe Prof. Thomas Scheffer, der den Medien eine wichtige Aufgabe zuschreibt: „Sie schärfen durchaus unsere Sinne für die allgemeine Lage, in der wir uns befinden.“ Er sieht aber auch das Problem, dass Themen in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit einander verdrängen: „Die täglichen 300 Toten der Corona-Pandemie lassen viele heute kalt, weil sie nun jahrelange Realität sind. Anders mit den Toten, Verletzten und Verfolgten im Ukraine-Krieg. Sie berühren uns und drängen zum Handeln. Die Aufmerksamkeit schließt unsere Emotionen mit ein.“
Im neuen UniReport begrüßt Universitätspräsident Prof. Enrico Schleiff die Studierenden der Goethe-Universität zum Sommersemester 2022 – erstmals (auch) auf Ukrainisch, um damit ein Zeichen zu setzen. Schleiff sagt: „Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, allen Ukrainer*innen im In- und Ausland, aber auch all jenen, die sich in Russland und weltweit entschieden für Frieden und Freiheit engagieren.“
Weitere Themen im aktuellen UniReport:
- Auf dem Weg zu einer digitalen Wissenskultur: Ulrich Schielein, neuer Chief Information Officer und hauptamtlicher Vizepräsident der Goethe-Universität, im Gespräch.
- Mit 150 Sachen durch den Eiskanal: Deborah Levi, Studierende der Goethe-Universität, über den Gewinn der Goldmedaille im Zweierbob bei den Olympischen Winterspielen.
- Auf die ethischen Anforderungen im Gesundheitswesen vorbereiten: Der neue duale Masterstudiengang „Sozialethik im Gesundheitswesen“ ist im vergangenen Wintersemester gestartet.
- Die Zukunft des Mathematikunterrichts: Die größte deutschsprachige Tagung für Mathematikdidaktik findet vom 29. August bis 2. September 2022 auf dem Campus Westend statt.
- Dank der Forschung von Prof. Thomas Wilhelm haben Tausende Schüler*innen die Physik zwar nicht lieben, aber doch besser verstehen gelernt: Für seine Forschungen erhält er den mit 5000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Frankfurter Physik 2021.
- Ein Freidenker der Frankfurter Schule: Eine Internationale Konferenz an der Goethe-Universität soll das vielschichtige Werk Siegfried Kracauer beleuchten.
- Können Investoren die Welt verändern? Der Humboldt-Preisträger Marcus Opp will Green Finance auf den Grund gehen.
- Zwischen den Räumen: In seinem Projekt „Durchgang“ erforscht der Architekturhistoriker Markus Dauss Orte, die wir en passant wahrnehmen.
- Kant und seine sozialistischen Interpreten: Der Amerikaner William Levine arbeitet als Postdoctoral Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften über einen etwas in Vergessenheit geratenen „linken“ Zweig der Neokantianer.
- Literatur in Pandemiezeiten: Judith Hermann hält im Mai ihre Frankfurter Poetikvorlesungen.
- Von Tradition und Moderne in der chinesischen Ökonomie: Prof. Bertram Schefold und Prof. Iwo Amelung über ihren Sammelband „European and Chinese Histories of Economic Thought“.
- Wie Zootiere kommunizieren: Der Biologe Sebastian Schneider hat sich in seiner Dissertation damit beschäftigt, wie Tierlaute mittels digitaler Technologien differenziert erfasst und ausgewertet werden können.
- Erste Ergebnisse der dritten bundesweiten Studie „JuCo“ liegen vor: Ergänzend zum Beitrag spricht Prof. Sabine Andresen mit dem UniReport im Audio-Interview über Befunde der dritten Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Corona-Zeit. https://tinygu.de/u7qKP
Der UniReport 2/2022 steht zum Download bereit unter www.unireport.info/aktuelle-ausgabe