Tenure-Track-Professur: »Kulturwandel« vonnöten?

Die Tenure-Track-Professur hat unbestritten viele Potenziale. Doch wie könnte sie noch besser in das deutsche Wissenschaftssystem implementiert werden, wie könnte eine Weiterentwicklung der Personalstrukturen im Wissenschaftssystem aussehen? Dr. Nicole Thaller hat gemeinsam mit Kolleg*innen aus dem »Tenure-Track-Netzwerk« darüber nachgedacht und ihre Ideen in einem viel beachteten Beitrag der DUZ veröffentlicht.

UniReport: Frau Dr. Thaller, welche Erfahrungen aus dem TenureTrack-Netzwerk sind in den DUZ-Beitrag eingeflossen?

Dr. Nicole Thaller ist Referentin für übergreifende Forschungsthemen und wissenschaftliche Karriereentwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt und operative Leitung des Wisna-Projekts.
thaller@pvw.uni-frankfurt.de
Foto: Uwe Dettmar

Nicole Thaller: Das Netzwerk ist entstanden aus der Initiative der Universitäten Jena, Frankfurt, Freiburg, Mainz und Hannover sowie der U15, die im September 2020 gemeinsam die Tenure-Track-Tagung „Die Tenure-Track-Professur – Impulsgeberin für das deutsche Wissenschaftssystem“ in Berlin ausgerichtet haben. Innerhalb des Netzwerkes werden unterschiedliche Fragestellungen und Themen in AGs behandelt: Neben der von mir koordinierten AG3 zu „Die internationale Attraktivität der Tenure-Track-Professur“ gibt es noch die AG1 zur „Potenzialanalyse, Leistungsindikatoren und Qualitätssicherung“, die AG2 zur „Begleitung und Weiterqualifizierung von Tenure-Track-Professor*innen“ sowie die AG4 „Die Weiterentwicklung der akademischen Personalstruktur und Karriereperspektiven in der Wissenschaft jenseits der Professur“. Derzeit hat das Netzwerk rund 100 Mitglieder an ca. 40 Universitäten, die alle aus dem Wissenschaftsmanagement kommen und über eine fachliche Expertise zu den Themen des Netzwerkes verfügen. Wir haben einen regelmäßigen Austausch, vernetzen uns beim jährlichen Netzwerktreffen. Wir erarbeiten gemeinsam Inhalte bei unseren Treffen, die dann für die Hochschulöffentlichkeit sichtbar sind: Neben dem DUZ-Artikel wäre auch noch der im Themenheft „Tenure-Track-Professur und akademische Karrierewege“ der Zeitschrift „Personal- und Organisationsentwicklung in Einrichtungen in Lehre und Forschung“ erschienene Artikel „Internationale Attraktivität der deutschen Tenure Track-Professur – Geeignetes Rekrutierungstool für internationale Bewerber*innen?“ zu erwähnen.

(Open Access hier.)

Warum ist der Wechsel an eine andere Uni in der Karriere eigentlich ein Problem: Nach Erlangung einer Lebenszeitprofessur könnte der*die frühere Tenure-Track-Professor*in immer noch wechseln?

Ein Blick in die internationale Wissenschaftslandschaft zeigt, dass die lange Phase der Unsicherheit bei einer wissenschaftlichen Karriere im internationalen Vergleich zumindest erklärungsbedürftig ist. Da Deutschland im Wettbewerb um die für die Wissenschaft geeignetsten Köpfe steht, könnte es die Attraktivität steigern, frühzeitiger Perspektiven zu bieten. Mit der Einführung und Implementierung der Tenure-Track-Professur werden Ziele, wie sie auch im Bund-Länder-Programm zur „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ formuliert wurden, wie verlässlichere Perspektive, Chancengerechtigkeit, international attraktive Karrierewege, verbunden. Allerdings stellen wir aktuell durch externe Rufe fest, dass unsere berufenen Tenure–Track-Professor*innen – und hier insbesondere die Frauen – für andere Universitäten ebenfalls sehr attraktiv sind. Möglicherweise können wir hier eine interessante Entwicklung des angestrebten Kulturwandels beobachten, die mit der Signalwirkung einer Professur zusammenhängt.

Es scheint ein Problem beim engen zeitlichen Rahmen der TT-Professur zu geben: Was könnte hier getan werden?

Hier liegt das Ausgestaltungspotenzial primär in der rechtlichen und der organisationalen Dimension. Landeshochschulgesetze sollten hier den Rahmen zum Beispiel durch die Berücksichtigung von Care-Aufgaben schaffen, den die Hochschulen ausgestalten können, zum Beispiel Verlängerungen, wie sie im Rahmen der Corona-Pandemie von den Wissenschaftsförderorganisationen gewährt wurden, auch auf Tenure-Track-Professor*innen anzuwenden.

Welche Probleme bestehen im Hinblick auf Ressourcen?

Wenn zur Berechnung von Lehrkapazitäten nicht die Tenure-Track-Professur mit Lehrdeputatsreduktion, sondern die hinterlegte Professur mit vollem Lehrdeputat herangezogen wird, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Ressourcen des betreffenden Fachbereichs haben. Für einen gelingenden Kulturwandel wäre diese Differenz im Lehrbedarf anderweitig auszugleichen. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2021 angedachte Anpassung der Kapazitätsverordnung könnte hier Abhilfe schaffen und damit neben den landesgesetzlichen Adaptionen ein wichtiger Baustein für die erfolgreiche Implementierung von Tenure-Track sein. Zudem ist fraglich, wie bereitwillig Universitäten beispielsweise in kostspielige Laborumbauten und Geräte investieren werden, mit der Option auf eine möglicherweise negativ ausfallende Tenure-Track-Evaluation. Über Fragen der Primärausstattung hinaus, wäre auch ein hochschulpolitischer Diskurs über Arbeitszeitressourcen und eine Weiterentwicklung des Zugangs zu Drittmittelressourcen wünschenswert. Anpassungen in den Förderbedingungen von Drittmittelprogrammen wären dafür förderlich, so beispielsweise die Öffnung des Professor*innen-Programmes des Bundes oder die Einrichtung spezieller Programmlinien für Tenure-Track-Professuren.

Im Rahmen einer TT-Professur neue Gremien einzuführen, sei eine Herausforderung, argumentieren Sie in dem DUZ-Beitrag.

Neue Gremien könnten als zusätzliche Arbeit, als erhöhter administrativer Aufwand verstanden werden. Es kann zu Friktionen in den internalisierten Logiken kommen, die Adaptionsprozesse erforderlich machen. Eingeübte Qualitätsstandards müssen eventuell durch neue, auch neu auszuhandelnde, ergänzt oder gar ersetzt werden. Der Kulturwandel bedeutet auch, sich auf Veränderungen einzulassen.

Sie sprechen aber auch von »fachspezifischen Herausforderungen«.

Beispielsweise Fachdisziplinen, in denen die Habilitation eine zentrale Rolle für die Berufbarkeit spielt, werden möglicherweise die Tenure-Track-Professur als weniger passend für sich empfinden. Gleichzeitig bietet die Tenure-Track-Professur auch viele Gestaltungsmöglichkeiten, etwa das Erschließen neuer Forschungsräume oder den Ausbau von Potenzialfeldern.

Auch »habituell« sei eine Entscheidung für eine negative Evaluation schwierig.

Wenn die Evaluierenden einer Tenure-Track-Professur es für fraglich halten, ob das deutsche Wissenschaftssystem im Falle einer negativen Evaluation bereits genügend berufliche Alternativen bietet, wird dies in ihre Entscheidungen möglicherweise ebenfalls miteinfließen

Wie kann man eigentlich den Vergleich zur Juniorprofessur beschreiben?

Die Möglichkeit von Tenure-Track als Zusatz bei der Ausschreibung wurde im Rahmen der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes 2002 mit der Einführung der Juniorprofessur geschaffen, jedoch in der Realität wenig genutzt. Umgesetzt wurde die Juniorprofessur zumeist als eine zunächst auf drei Jahre, nach erfolgreicher Zwischenevaluation um weitere drei Jahre verlängerte, das heißt insgesamt auf sechs Jahre befristete Professur. Die grundsätzliche Herausforderung der wissenschaftlichen Qualifikation bei gleichzeitiger Ungewissheit der weiteren wissenschaftlichen Karriere wurde mit der real gelebten Juniorprofessur somit nicht gelöst. Der Begriff Tenure-Track, der dem US-amerikanischen Wissenschaftssystem entlehnt ist, bedeutet „Weg zur Anstellung auf Lebenszeit“ auf eine Professur und möchte damit eine verlässlichere Perspektive aufzeigen, die allein von der eigenen wissenschaftlichen Leistung abhängt. Während in vielen Bundesländern der Begriff Juniorprofessur auch für die Tenure-Track-Professur beibehalten wurde, zeigt Hessen mit seinem Begriff im Hessischen Hochschulgesetz (HessHG) Qualifikationsprofessur mit Entwicklungszusage auf, worum es im Wesentlichen geht.

Wie könnte die Diskussion fruchtbar fortgeführt werden, welche Rahmenbedingungen bedarf es?

Wir benötigen dafür insbesondere strukturelle Anpassungen etwa im Kapazitätsrecht; weitere Adaptionen in den rechtlichen Rahmenregelungen; eine stärkere Berücksichtigung der Tenure-Track-Professur in den Programmen der Wissenschaftsförderorganisationen sowie einen Ausbau und eine Verstetigung des Tenure-Track-Programms wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2021 angekündigt.

Sie haben die operative Leitung des Wisna-Projekts inne, was hat es damit auf sich?

Um das System Tenure-Track nachhaltig zu stärken und flächendeckend zu implementieren, wurde 2016 das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Wisna) ins Leben gerufen. Ziele des Programms sind transparentere, verlässlichere und familienfreundlichere Karrierewege zu schaffen und die internationale Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems zu steigern. Mit einem Volumen von einer Milliarde Euro für insgesamt 1000 geförderte Tenure-Track-Professuren hat das Programm zum Ziel, einen Kultur- und Strukturwandel an Universitäten voranzutreiben sowie die akademische Personalstruktur diverser und durchlässiger zu gestalten.

Fragen: Dirk Frank

Der Beitrag Kulturwandel: Transformation gestalten ist erschienen in der DUZ WISSENSCHAFT & MANAGEMENT, Ausgabe 10/2022, 2. Dezember, abrufbar hier.

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