Goethe, Deine Forscher: Sandra Eckert, Politikwissenschaftlerin

Sandra Eckert, Politikwissenschaftlerin; Foto: privat

Großbritannien verlässt die Europäische Union (EU), in nationalen Wahlkämpfen wie zuletzt in Frankreich streiten Kandidaten über das Fortbestehen der EU, und spätestens nach den Bundestagswahlen im Herbst steht die Frage an, wie es mit der Europäischen Integration weitergehen soll. Am politikwissenschaftlichen Institut des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften widmet sich Juniorprofessorin Sandra Eckert in Forschung und Lehre europapolitischen Themen.

Die zunehmende Verquickung von nationaler und europäischer Politik etwa analysiert sie mit Studierenden derzeit in einer Lehrveranstaltung zum „Superwahljahr“ in Frankreich, Großbritannien und Deutschland. „Es ist eine spannende Zeit für uns Europaforscher, vieles ist in Bewegung geraten, und die Politik muss jetzt die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, die sich ihr bieten.“

Denn auch jenseits des Brexits stellen wachsende wirtschaftliche und soziale Disparitäten und europaskeptische Strömungen in den verbleibenden Mitgliedstaaten eine Herausforderung für den Zusammenhalt Europas dar. Eckert fügt hinzu: „Mit diesen Herausforderungen ist ja auch die Chance verbunden, die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa neu zu justieren, insofern bin ich für das Projekt ,europäische Integration‘ vorsichtig optimistisch.“

Das Brexit-Votum hat viele Beobachter überrascht, das war bei den Studierenden der Politikwissenschaft an der Goethe-Universität nicht anders als in der deutschen Öffentlichkeit: Im Auditorium ihrer Vorlesung „Das politische System der EU“ habe kurz vor der Abstimmung im Juni 2016 kaum jemand für möglich gehalten, dass die Mehrheit der Briten für „Leave“ stimmen würde, erinnert sich Eckert.

Die innenpolitische Debatte in England sowie Einschätzungen britischer Kollegen hätten jedoch darauf hingewiesen, dass es knapp werden könnte. „Auch wenn also mit dem Ergebnis zu rechnen war, ist der Brexit dennoch ein ziemlicher Schock für mich“, so Eckert.

Nicht der Anfang vom Ende

Den Austritt des Vereinigten Königreichs betrachtet sie aber nicht als den Auftakt zu einem lang anhaltenden Desintegrationsprozess: „Das muss nicht der Anfang vom Ende der EU sein. Natürlich bedeutet der Brexit eine Zerreißprobe für die restliche Union. Aber beileibe nicht die erste Zerreißprobe“, stellt sie klar und erinnert an Krisen wie etwa die „Politik des leeren Stuhls“, mit der der französische Präsident Charles de Gaulle in den 1960er Jahren verhindern wollte, dass der Europäische Rat Mehrheitsentscheidungen fällt, und an das „Nein“ der Niederländer und Franzosen zum Verfassungsvertrag 2005, der deswegen nicht in Kraft trat.

„Außerdem wird die Anziehungskraft des großen Binnenmarktes auch weiterhin für Integrationsfortschritte sorgen“, ist Eckert überzeugt. „Denken Sie etwa an europäische Energieeffizienzstandards für Waschmaschinen oder Kühlschränke: Produkte, die in den Mitgliedstaaten verkauft werden, müssen den europäischen Standards entsprechen, das gilt natürlich auch für Produzenten außerhalb der EU.“ Um solche energie- und umweltpolitische Vorgaben geht es in dem neuen Buch, an dem Eckert derzeit arbeitet.

Sie untersucht darin die Rolle von Wirtschaftsakteuren in der Entwicklung und Umsetzung des europäischen Regelwerkes. „In einigen Bereichen, die zum Gemeinwohl beitragen, spielen private Akteure eine zentrale Rolle, zum Beispiel in der Stromversorgung – eine Herausforderung für die politische Kontrolle.“ Hier müssten Korrektive auf die wirtschaftliche Macht einwirken, auch durch öffentlichen Druck und die Rolle von Umwelt- oder Verbraucherschutzverbänden.

Die aktuellen politischen Entwicklungen schlügen sich auch hier nieder: „Gerade für den Strombinnenmarkt müssen mit dem Vereinigten Königreich künftig pragmatische Lösungen gefunden werden, ähnlich wie das jetzt schon mit der Schweiz der Fall ist; schließlich bleibt das angrenzende Irland Mitglied der EU.“

Keine Einbahnstraße

Dass europäische Integration keine Einbahnstraße ist, möchte Eckert ihren Studierenden anschaulich vermitteln: „Europa wirkt sich auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aus, bietet aber auch Chancen der Mitgestaltung“, betont sie. Diese Dynamik untersuchen Studierende in ihrer Seminarreihe „Europa in Frankfurt“, das als innovatives Lehrformat mit Praxisbezug und einem Kontakt zur Stadtgesellschaft von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft gefördert wird.

Anhand konkreter Beispiele untersuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kleingruppen selbstgewählte Fragestellungen. Im letzten Semester führten sie zu Themen wie Umsetzung europäischer Energieeffizienzvorgaben, europäische Bildung und Interessenvermittlung im europäischen Kontext Experteninterviews in der Abteilung Energiemanagement der Goethe Uni, an Frankfurt Schulen und bei hiesigen Unternehmensverbänden.

Neben dem Praxisbezug liegt Eckert in der Lehre auch die Interdisziplinarität am Herzen. So bietet sie derzeit mit dem Institut für romanische Sprachen und Literaturen eine Veranstaltung zum „Superwahljahr“ an, die vom Förderfonds Lehre unterstützt wird. Studierende der Romanistik und der Politikwissenschaft planen gemeinsam stadtöffentliche Diskussionen mit Gästen aus Deutschland und Frankreich. Eckert betont: „Der Austausch mit den Studierenden, mit Praktikern sowie mit interessierten Frankfurterinnen und Frankfurtern gibt mir auch neue Impulse für meine eigene Europaforschung.“

[Autorin: Stefanie Hense]

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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