Grenzen sehen, ausloten, durchbrechen, für den Kick des Lebens: Der Anatomieprofessor Jörg Stehle nimmt am 14. Oktober zum ersten Mal am Ironman auf Hawaii teil, dem härtesten Triathlon der Welt.
Grenzen sehen, ausloten, durchbrechen, für den Kick des Lebens. Ein Leben als Vollblutsportler. Einer, der nach 3,8 Kilometern schwimmen und 180 Kilometern Rad fahren noch einen Marathon läuft, um alles aus sich herauszuholen – und noch viel mehr. Auf dieses »mehr« bereitet sich Jörg Stehle derzeit eisern vor.
Der 63-jährige Anatomieprofessor am Universitätsklinikum Frankfurt nimmt am 14. Oktober zum ersten Mal am Ironman auf Hawaii teil, dem härtesten Triathlon der Welt. Es erwarten ihn eine schattenlose Laufstrecke, starke Winde auf der Radetappe durch die fast 40 Grad heiße Lavawüste und eine Schwimmstrecke im offenen Meer ohne Neoprenanzug.
Seit 2009, seitdem er Langdistanzen absolviert, träumt Stehle von Hawaii: »Für mich als Triathlet ist es das größte Abenteuer überhaupt.« Mehrere Male verpasste er nur knapp die Qualifikation, die er sich jährlich bei einem von 30 Langdistanz-Triathlon-Wettbewerben weltweit in seiner Altersklasse sichern kann.
Beim Ironman vor drei Jahren in Frankfurt führt Stehle bei Kilometer 20 der Marathonstrecke seine Altersklasse an, sein Ticket nach Hawaii ist so gut wie gelöst, dann passiert es: Er gönnt sich eine Cola am Versorgungsstand. Läuft danach nicht weiter. Steigt aus. Körperlich geht es ihm gut. »Der Kopf hat einfach nicht mehr mitgemacht. Das verzeihe ich mir nie«, berichtet Stehle von dem Ereignis am Main.
Dies zeigt, wie wichtig neben körperlicher Fitness auch die mentale ist, um bei einem solchen Wettkampf bestehen zu können. »Gewonnen oder verloren wird zwischen den Ohren, sagt mein Trainer Mario Schmidt-Wendling immer«, erzählt Stehle. Letztes Jahr in China klappt es dann mit der Qualifikation, das langersehnte Ziel ist erreicht.
Nun gilt es, neue Vorhaben auszuloten. »Mein Ziel für Hawaii ist es, in unter zwölf Stunden über die Ziellinie zu laufen, kriechen oder meinetwegen auch zu krabbeln, Hauptsache nicht vorher aussteigen«, sagt Stehle schmunzelnd.
Ambitionen haben ihren Preis
»Ich gebe zu, man muss einen an der Birne haben, wenn man so versessen ist, fanatisch einem Ziel nacheilt, das vielfältige Entbehrungen fordert«, gibt der Anatomieprofessor offen zu und meint damit auch sein Privatleben. Sozialkontakte und auch das Familienleben leiden unter der für das Erreichen des Ziels Hawaii notwendigen Disziplin, manchmal nachhaltig.
Urlaubsträume wie eine mehrwöchige Neuseelandreise mit dem Wohnmobil sind derzeit nicht umsetzbar. Der Trainingsplan könnte dann nicht eingehalten werden. »Ich werde den Sport immer brauchen, das wissen auch meine Familie und Freunde«, sagt Stehle. Zusätzlich zu der oft 60-stündigen-Arbeitswoche am Uniklinikum stehen noch 15 Stunden Trainingseinheiten in der Woche auf dem Plan.
Vier Wochen vor Hawaii schraubt sich diese Zahl nochmals nach oben, dann treibt Stehle bis zu 25 Stunden in der Woche Sport. Seit acht Jahren arbeitet er mit seinem Trainier zusammen, der ihn pusht: »Ich bin ein Abarbeiter, wenn der Trainingsplan fünf Stunden Radfahren vorsieht und es draußen in Strömen regnet, wird trotzdem gefahren«, sagt Stehle.
Die Trainingseinheiten absolviert er vor, während und nach einem Arbeitstag: morgens mit dem Rad von Mainz nach Frankfurt, mittags eineinhalb Stunden Laufen am Main und abends die Kraultechnik im Schwimmbad verbessern. Dies ist seine schlechteste Disziplin. »Ich bin froh, dass es zuerst ins kalte Nass geht, denn ich bin lieber Jäger als Gejagter«, sagt Stehle.
Er verliert dabei bis zu 20 Minuten auf seine Konkurrenten, die es gilt, schnell wieder aufzuholen. Das gelingt meist schon beim Radfahren, seiner stärksten Disziplin. Stehle brennt für die Dinge, die er tut. Disziplin, Zielstrebigkeit, Ehrgeiz – drei Eigenschaften, die ihn antreiben. Die ihn zu dem machen, was er ist: ein Leistungssportler und einer der besten Wissenschaftler auf seinem Gebiet.
»Gut ist nicht gut genug, es geht immer noch ein bisschen besser. Das sind Ansprüche, die ich an mich selbst stelle, die ich aber auch an meine Mitarbeiter stelle, manchmal zu deren Leidwesen«, sagt der studierte Biologe. Wissenschaft ist das einzige, worüber er sein Training vergessen kann. »Mein Beruf bringt mich nach wie vor zum Brennen.«
So gern Stehle auch forscht, wenn er noch einmal jung wäre, würde er den Beruf des Profisportlers wählen, verrät er. Unausstehlich wird er, wenn er durch Krankheit gezwungen ist, vom Sport zu pausieren, wie er selbst sagt. Er verzeihe es sich nicht, dass sein Körper schlappt macht.
Mit gutem Beispiel voran
Als jemand, der sich beruflich mit dem menschlichen Körper in der Ausbildung von Medizinstudierenden beschäftigt, ist es Stehle auch privat ein Anliegen, seine Erfahrungen weiterzugeben. Er weiß, wie wichtig Sport für die Gesundheit und Vorbeugung von Krankheiten ist. »Ich kann mir vorstellen, in drei Jahren, nach meinem Berufsleben, ehrenamtlich in einem Sportverein zu arbeiten und Kindern und Jugendlichen ein Motivator zu sein«, sagt Stehle.
Vom Sport möchte er sich noch nicht in den Ruhestand verabschieden: »Ich trainiere, so lange mein Körper mitmacht.« Der Gedanke daran, einmal keinen Sport mehr treiben zu können, bereite ihm Angst. So lange die Fitness also da ist, werden auch immer neue Ziele angestrebt: »In zwei Jahren möchte ich wieder auf Hawaii starten, dann in der Altersklasse der Männer über 65 und es mindestens unter die ersten Fünf schaffen.«
Katharina Frerichs
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.17 der Mitarbeiterzeitung GoetheSpektrum erschienen.