Virtuelles Kunstprojekt: Wenn Ovid auf Covid trifft

Gibt es auch etwas Gutes an der Pandemie? Aus Sicht von Künstlerinnen und Künstlern, insbesondere der Musikbranche, wohl kaum: keine Live-Auftritte, kaum Einnahmemöglichkeiten. Stattdessen viel Zeit. Und hier hat sich dann doch wieder etwas Gutes ergeben: Bernd Herzogenrath, Professor am Institut für England und Amerikastudien., hat für ein ganz besonderes Projekt 133 teils international gefeierte Künstler aus den Bereichen Film, Sound, Text und Fotografie gewinnen können, die sonst wahrscheinlich nicht die Muße für sein Experiment gehabt hätten: ©ovid‘s Metamorphoses spinnen Ovids mythologisches Gedicht nach dem Stille Post-Prinzip weiter und spielen dabei mit unserem Corona-Alltag. Um das genreübergreifende Werk an die Öffentlichkeit zu können, sucht Herzogenrath noch nach Kunstfreunden, die das Projekt auch finanziell unterstützen wollen.

„Ich hatte schon länger vor, etwas zu Ovids Metamorphosen machen zu wollen, und während des ersten Lockdowns 2020 war dann der Freiraum da, um die Idee umzusetzen“, sagt Bernd Herzogenrath. Sein Projektpartner war der Frankfurter Tonkünstler Lasse-Marc Riek; wie Herzogenrath gut vernetzt in die und begeistert von der Kulturszene jenseits des Mainstreams. „Einige Künstler wie den Regisseur Bill Morrison oder den Musiker Richard Reed Parry von der Band Arcade Fire kenne ich durch meine Arbeit persönlich und konnte sie direkt fragen, andere habe ich sozusagen als Fan kontaktiert, weil ich einfach sehr gerne mit ihnen gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollte“, erzählt der Amerikanist. Und: Fast ausnahmslos alle Künstlerinnen und Künstler sagten zu, obwohl es um ein Vorhaben ohne Gage ging. Dabei sind zum Beispiel auch Vincent Moon (Film), Lee „Scratch“ Perry (Sound), Tom McCarthy und Christine Wunnicke (beide Text), die Philosophinnen Jane Bennet und Rosi Braidotti, Anthropologin Anna Tsing, aus der Fotografie Michael Wesely und Tomás Saraceno. „Das ist schon etwas, worauf ich ein Stück stolz bin“, sagt Herzogenrath. Auch lokale Künstler haben sich eingebracht, unter anderem zwei Studierende von Herzogenrath, die als Singer-Songwriter bzw Text/Künstler an den „Verwandlungen“ beteiligt waren.

Ovid unter Covid-Bedingungen weitergedacht: Bernd Herzogenrath, Professor am Institut für England und Amerikastudien, hat für sein Projekt 133 Künstler aus den Bereichen Film, Sound, Text und Fotografie virtuell zusammengebracht.

Bei den neuen Metamorphosen geht es nicht darum, die Wirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft inhaltlich aufzuarbeiten. Stattdessen gibt es 19 Runden (Covid-19), die künstlerisch die Wege der Ansteckung abbilden. Analog zu den Corona-Einschränkungen kommen selbst auferlegte Hindernisse dazu, die in einem Logbuch dokumentiert wurden – wie etwa, dass nur zu einer bestimmten Uhrzeit produziert werden darf. Dabei wird jeweils ein Motiv aus den Metamorphosen von sieben Kunstschaffenden aufgegriffen. Sie haben jeder zwei Tage Zeit haben für ihre künstlerische Antwort (= Quarantänezeitraum). „Ovids Metamorphosen sind natürlich ein Monumentalwerk für die westliche Kultur, allerdings auch eins, das sehr von Gewalt geprägt ist, die sich vor allem gegen Frauen richtet. Mein Auftrag an die Künstlerinnen und Künstler war nun, sich eine der Metamorphosen auszusuchen und diese in einem ‚non-violent, non-gendered way‘ zu gestalten“, gibt Herzogenrath Einblick.  

Wie beim Spiel Stille Post (bei dem sich die Mitspielenden einen Satz weiter von Ohr zu Ohr flüstern, bis am Ende etwas ganz Anderes herauskommt) macht ein Künstler den Anfang mit einem Text-, Film- oder Klangexperiment. Dieses wird dann von den nächsten Künstlern weiter interpretiert, bis der Ursprungskünstler das verfremdete Endergebnis noch einmal aufgreifen darf. Das kann zum Beispiel ein Film sein, der anfangs ohne Ton ausgespielt wird, in der nächsten Runde dann mit einem Soundtrack unterlegt oder durch Fotos oder Texte verändert wird.

Um ©ovid‘s Metamorphoses möglich zu machen, hat Bernd Herzogenrath einige Gelder von privaten Spendern und kleineren Stiftungen erhalten, außerdem auch selbst investiert: „Ich bin absolut überzeugt von unserem Projekt, auch als Kommentar zu dieser besonderen Zeit, aber es fällt durch das klassische Förderraster.“ Um ©ovid‘s Metamorphoses nun öffentlich sichtbar machen zu können, braucht es noch einige helfende (bzw. zahlende) Hände: „Was ich mir wünschen würde, wäre, den Künstlern einen symbolischen Dank zukommen lassen zu können, zum Beispiel mit einer Art limitiertem, hochwertigem Box-Set mit Buch, CD, DVD. Und um die Metamorphosen allgemein sichtbar machen zu können, würden wir gerne Formate wie eine Online-Ausstellung erarbeiten“, so Herzogenrath.

Bisher kennt nur eine Handvoll seiner Studierenden das Projekt, doch sobald ©ovid‘s Metamorphoses online sind, wird Bernd Herzogenrath mit ihnen bestimmt auch dieses Herzensprojekt diskutieren: 2013 machte der der Literatur- und Kulturwissenschaftler den 1. Platz beim 1822-Preis für exzellente Lehre, und seine Studierenden bescheinigten ihm schon damals: „Er schafft Räume und Gelegenheiten für ein Lernen voneinander; ein Lernen, das bleibende Spuren hinterlässt.“ Das, sagt Herzogenrath, funktioniere so richtig nur beim Präsenzunterricht: „Da gibt es dann eine Art chemische Reaktion im Raum, die man nur spürt, wenn Leute zusammenkommen und aufeinander reagieren.“ Und das ist wohl etwas, das Kunst und Lehre wieder ganz eng miteinander verbindet.

Mehr Informationen zu ©ovid‘s Metamorphoses und die Möglichkeit, das Projekt zu unterstützen, gibt es hier: https://covidsmetamorphoses.blogspot.com/

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