„Recht ist nichts, was vom Himmel gefallen ist“

Seit 2008 ist der Fachbereich 01 auf dem Campus Westend zu finden. Das RuW-Gebäude teilen sich die Juristen mit den Wirtschaftswissenschaftlern.
Seit 2008 ist der Fachbereich 01 auf dem Campus Westend zu finden. Das RuW-Gebäude teilen sich die Juristen mit den Wirtschaftswissenschaftlern.

Was ist „typisch Frankfurt“ bei den Gesellschaftswissenschaftlern, Physikern, Historikern oder Medizinern? In einer neuen Serie stellen wir die Fachbereiche der Goethe-Universität im Kurzprofil vor. Den Anfang macht der Fachbereich 01 – die Rechtswissenschaft.

„Jura können Sie an vielen Universitäten in Deutschland studieren, aber was Sie nirgendwo so mitbekommen wie in Frankfurt, ist die Verbindung zwischen den Grundlagen des Rechts und ihrer konkreten Umsetzung bis hin zur anwaltlichen oder gerichtlichen Praxis“, bringt Georg Hermes, Dekan des Fachbereichs und Professor für Öffentliches Recht, die Ausrichtung der Frankfurter Rechtswissenschaft auf den Punkt.

Die Grundlagenorientierung ist einer der Schwerpunkte des Fachbereichs. Hermes: „Das Rechtsspektrum ist durch die gesellschaftliche Differenzierung, durch Europäisierung und Globalisierung so groß und unübersichtlich geworden, dass man Schwerpunkte setzen muss. Manche Universitäten konzentrieren sich darum auf wenige Spezialgebiete. Das tun wir zwar auch, aber kombiniert mit den Grundlagen – als Basis, um in einem beliebigen Bereich der Rechtswissenschaft arbeiten zu können.“

Grundlagen, das bedeutet vor allem Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie. Die Studierenden sollen lernen, die historische Entwicklung von Gesetzen und Recht zu reflektieren und sich mit den Grundfragen einer gerechten Staats- und Gesellschaftsordnung auseinandersetzen. „Das mittelalterliche Recht war beispielsweise ganz anders als unser neuzeitliches Recht. Weil Recht eben nicht etwas ist, was vom Himmel gefallen ist, sondern eine Antwort aus der Gesellschaft heraus auf Fragestellungen und Probleme“, erklärt Dr. Susanne Pelster, die Leiterin des Dekanats.

[dt_quote type=“pullquote“ font_size=“h4″ background=“fancy“ layout=“left“ size=“3″]„Gerade im Bereich Law and Finance werden rechtstheoretische Ansätze fruchtbar gemacht“[/dt_quote]

Ein natürlicher und enger Partner des Fachbereichs ist daher das ebenfalls auf dem Campus Westend angesiedelt Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, dessen Direktor Thomas Duve ebenfalls Professor am Fachbereich 01 ist.

Der zweite Schwerpunkt der Frankfurter Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dreht sich um die Verknüpfung von Unternehmen und Finanzen. „Wenn man unsere beiden Schwerpunkte auf einem Foto zusammenbringen wollte, müsste man eigentlich das Institut für Sozialforschung im Westend mit den Banktürmen im Hintergrund zeigen“, sagt Hermes. Wobei die beiden Themen nicht so gegensätzlich seien, wie man vermuten könnte: „Gerade im Bereich Law and Finance werden rechtstheoretische Ansätze fruchtbar gemacht und bilden die Grundlage, Entwicklungen kritisch zu hinterfragen“, stellt der Dekan klar.

Forschende Juristinnen und Juristen müssen in erster Linie von morgens bis abends lesen

Wer im Bereich Recht forscht, bezieht eigentlich immer benachbarte Disziplinen wie Geschichte, Philosophie, Politik und Ökonomie mit ein. „Wir überprüfen keine Thesen im Labor – forschende Juristinnen und Juristen müssen in erster Linie von morgens bis abends lesen: nicht nur Rechtsquellen, auch historische Quellen oder zum Beispiel Texte von Psychologen im Strafrecht oder Naturwissenschaftlern im Umweltrecht, um die Realität, die das Recht steuern und bewältigen soll, besser zu verstehen“, erklärt Hermes.

Diese Forschung liefere dann entweder eine weitere Antwort zu einer Fragestellung oder strukturiere den bisherigen Wissensstand, um so Erkenntnisfortschritt zu schaffen. Einer seiner Doktoranden, gibt Hermes ein Beispiel, befasse sich mit dem Konflikt zwischen Fluglärm und dem Recht auf Gesundheit. Dafür habe er erst einmal einen Überblick erstellt, was in den letzten 20 Jahren über Lärmwirkungen erforscht wurde. Auf dieser Basis untersuche er dann, ob das Recht diese Erkenntnisse adäquat aufgenommen habe oder ob Anpassungsbedarf bestehe. Arbeiten wie diese werden auch gerne in der Praxis genutzt, etwa wenn sich ein Richter mit neuen Lärmschutzregelungen befassen muss.

[dt_quote type=“pullquote“ font_size=“h4″ background=“fancy“ layout=“right“ size=“3″]„Eine gute Vorlesung im grundständigen Studium verbindet immer Forschung und Lehre“[/dt_quote]

Um gesellschaftliche Grundfragen wie Gerechtigkeit oder die Entstehung und Bewältigung von Konflikten geht es im Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ und im LOEWE-Schwerpunkt „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“, an denen Professorinnen und Professoren des Fachbereichs 01 beteiligt sind.

Mit der Suche nach einem optimalen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte und ihre Akteure setzt sich unter anderem das LOEWE-Zentrum SAFE (Sustainable Architecture for Finance in Europe) auseinander, an dem ebenfalls Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fachbereichs 01 beteiligt sind. Aber wie viel von dieser Forschung kommt bei den Studierenden an?

„Eine gute Vorlesung im grundständigen Studium verbindet immer Forschung und Lehre“, stellt Dekan Hermes klar. Durch den gesetzlichen Anforderungskatalog an die juristische universitäre Ausbildung sei das Studium zweigeteilt: Auf der einen Seite stehe die grundständige Lehre, die zwei Drittel des Studiums ausmache. Für sie ist klar vorgeschrieben, welche Kenntnisse und Qualifikationen Studierende bis zum Examen erworben und welche Rechtsgebiete sie abgedeckt haben müssen. Typische Veranstaltungsform dort: Die (Massen-)Vorlesung mit integrierter Übung.

Keine Angst vorm Paragraphendschugel: Im Hauptstudium können die Studierenden echte Forschungsnähe erleben.
Keine Angst vorm Paragraphendschugel: Im Hauptstudium können die Studierenden echte Forschungsnähe erleben.

Forschungsnähe erleben die Studierenden erst in ihrem gewählten Schwerpunktbereich, der zu einem Drittel ins Examen einfließt. Dort treffen sie im Seminar in kleineren Gruppen zusammen, die den intensiveren Gedankenaustausch ermöglichen. Eine wissenschaftliche Hausarbeit, für die sich die Studierenden acht Wochen vertieft mit einer Fragestellung auseinandersetzen, gehört dabei zu den Frankfurter Besonderheiten.

Auch wenn interdisziplinäres Arbeiten für die Forschenden selbstverständlich ist: Es sei nicht einfach, im Uni-Alltag zwischen Lehrveranstaltungen, Antragschreiben und Gremienarbeit Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch unter Fachbereichskolleginnen und -kollegen zu finden, berichtet Hermes. Ausnahmen seien Ring- oder Antrittsvorlesungen, auch Vorträge im Rahmen von Habilitationsverfahren, bei denen dann alle gemeinsam diskutierten. Aber, so Hermes: „Wir sitzen für mein Empfinden zu viel in verwaltenden Gremien, sind zu viel mit Organisationsfragen beschäftigt, und der Anteil wissenschaftlicher Gespräche unter Kolleginnen und Kollegen ist zu niedrig.“

Intensiv gepflegt wird aber der Dialog mit der Bürgerschaft – etwas, das wieder typisch für Frankfurt ist. Sehr viele Veranstaltungen sind öffentlich. Am „Tag der Rechtspolitik“ etwa kommen engagierte Bürgerinnen und Bürger gerne in die Universität; können dann zum Beispiel mit dem Justizminister oder einem Richter des Bundesverfassungsgerichts diskutieren. „Beim vorletzten Tag ging es um den ‚Wutbürger‘ – da waren etliche Vertreter von Bürgerinitiativen da, die ihre Anliegen auch engagiert vorgetragen haben. Das ist dann schon sehr bürgernah“, erzählt Pelster.

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Fachbereich 01 auf einen Blick

  • 34 Professuren
  • 4.302 Studierende
  • Leibniz-Preisträger: 1991: Michael Stolleis (Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte)
    2014: Armin von Bogdandy (Honorarprofessor Rechtswissenschaft MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg)

Der FB 01 ist beteiligt am Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“, am LOEWE-Schwerpunkt „Außergerichtliche & gerichtliche Konfliktlösung“, weitere Kooperationen u.a. mit dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, dem LOEWE-Center „Sustainable Architecture for Finance in Europe“, Wilhelm-Merton-Zentrum für europäische Integration und internationale Wirtschaftsordnung, Institut für Europäische Gesundheitspolitik und Sozialrecht, Interdisziplinären Zentrum für Ostasienstudien, Institute for Monetary and Financial Stability, Institute for Law and Finance, International Center for Insurance Regluation, Cornelia Goethe-Zentrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse sowie dem Institut für Sozialforschung.

Studierende können aus 6 Schwerpunktbereichen wählen: Internationalisierung und Europäisierung des Rechts, Unternehmen und Finanzen (Law and Finance), Grundlagen des Rechts, Verfassung, Verwaltung, Regulierung, Arbeit, Soziales, Lebenslagen, Kriminalwissenschaften

ERASMUS-Kooperationen mit 14 internationalen Hochschulen; Studienprogramm in französischer Sprache in Kooperation mit der Université Lumière Lyon 2.

Vertreterinnen und Vertreter des Fachbereichs haben immer wieder bedeutende öffentliche Ämter bekleidet: So kam mit Prof. Spiros Simitis der erste hessische Datenschutzbeauftragte von der Goethe-Universität, Prof. Manfred Zuleeg war Richter am Europäischen Gerichtshof und Prof. Winfried Hassemer war Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Prof. Ute Sacksofsky ist aktuell Vizepräsidentin des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen.

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