Tilman Allert über das Phänomen der Absolventenfeiern

Pomp and Circumstance: Die Bachelor-Absolventen der Wirtschaftswissenschaften im Wintersemester 2014/15. Foto: Dettmar
Pomp and Circumstance: Die Bachelor-Absolventen der Wirtschaftswissenschaften im Wintersemester 2014/15. Foto: Dettmar

Die Zunahme von Absolventenfeiern ist eine Entwicklung, die vermutlich eine Reihe von Ursachen hat. Einmal sind diese Feiern Bestandteil einer Selbstsuggestion, eine Art magische Beschwörung des Erfolgs, die in dem Maße zunimmt, in dem das Studium ein Massenphänomen wird. Der akademische Status definiert sich nicht mehr allein über die Mitgliedschaft in einer Diskursgemeinschaft, vielmehr übernimmt die Universität faktisch sozialisatorische Aufgaben. Ein „harmloser“ Bildungsabschluss wird Anlass zu Familienfesten. Die Feiern unterstreichen die Sozialisationsgemeinschaft und versuchen in die Kontinuität eines Bildungsprozesses erinnerbare Zäsuren zu legen. Anstatt jedoch eine Atempause zu erzeugen, unterstreichen die Rituale den Tempodruck – Stichwort „Karriereplanung“ – noch.

Der Aufwand, die festliche Rahmung, die in der Opulenz der Kostümierung zunehmend an so etwas wie eine Oskar-Verleihung erinnern: Hier ist demonstrative Erfolgsgewissheit die leitende Maxime. Darin steckt zum einen der legitime Wunsch, sich nach zumeist erheblichen Anstrengungen als bewährt darzustellen, zum anderen handelt es sich um Statusprätention, also „ein bisserl Übertreibung“. Diese Selbstinszenierung ist die Kehrseite einer Kultur der Formlosigkeit. Formverzicht erzeugt zwar eine höhere Elastizität der Kommunikation, geht jedoch mit der Gefahr des Ästhetikverlusts einher. Vielleicht zeigt sich im Wunsch nach Ritualen das Gefühl, dem allgegenwärtigen Mythos Flexibilität zu sehr geopfert zu haben – man begibt sich in das entlastende Format eines Rituals – eine Art Wiederkehr des Verdrängten.

Ich selbst kann mich an Zeiten erinnern, als man sein Zeugnis beim Dekanat abzuholen hatte, das war´s. Heute spreche ich als jemand, der zu den Alten gehört, gelegentlich auf der Abschiedsfeier meines Fachbereichs und versuche in Erinnerung zu bringen, dass die Universität eine Institution des Akademischen ist und keine Berufsschule, dass Theorie und Methode eine eigene Würde haben, jenseits der beruflichen Welt. Das Feiern halte ich für angemessen, die Studis freuen sich, Oma und Opa auch, die Eltern sowieso, und eine Universität, die diejenigen, die sie nach der Ausbildung entlässt, mit einer Feier würdigt, ist auch nicht das Schlechteste. Und solange die jeweilige Fachkultur den Grad an gewünschter Zeremonialität bestimmt, warum nicht? [Autor: Tilman Allert]

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