Die achte Bad Homburg Conference widmete sich der aktuellen Frage, wie KI unsere Zukunft formt.
Spätestens wohl seit der Verbreitung von ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz im allgemeinen Bewusstsein präsent. Doch wie kommen KI-Systeme zu ihren Aussagen und Prognosen, was können uns diese tatsächlich über die Zukunft sagen und wo sind ihre Grenzen? Welche Vorannahmen, Verzerrungen oder Machtverhältnisse sind dabei im Spiel? Wie verändern sie unser Handeln und unsere Entscheidungen? Und wie wirken sie sich auf das Selbst- und Weltverständnis von Individuen und Gesellschaften aus? Diese und noch weitere Fragen standen im Fokus der diesjährigen Bad Homburg Conference, zu der das Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität, das Center for Critical Computational Studies (C3S) der Goethe-Universität und die Stadt Bad Homburg v. d. Höhe eingeladen hatten. Die Interaktion zwischen Mensch und KI sei entscheidend, betonte Juliane Engel, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität und Gründungsdirektorin des Center for Critical Computational Studies (C3S), in ihrer Begrüßung. Die Frage laute nicht nur, wie KI unsere Zukunft formt, sondern auch, wie wir die Zukunft der KI formen.
Die Philosophin Prof. Stefania Centrone (TU München) analysierte in ihrem Vortrag die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Prognosen und deren Folgen für Individuen und Gesellschaft. Warum wollte und will der Mensch das Denken mechanisieren, fragte sie und zeigte – mit Blick auf philosophische Diskussionen seit der Antike – grundlegende Argumente für und gegen die Mechanisierung auf. KI stolpere heute noch über ganz triviale Probleme, bemängelte Centrone; so etwas wie ein „gesunder Menschenverstand“, fehle ihr (noch).
In der von Prof. Matthias Lutz-Bachmann moderierten Podiumsdiskussion „KI in Politik und Kunst – Zwischen Manipulation und Freiheit“ stellte Eileen O’Sullivan, Dezernentin für Bürgerinnen, Digitales und Internationales der Stadt Frankfurt a. M., einleitend die großen Herausforderungen einer Kommune wie Frankfurt dar. In den nächsten 10 Jahren werde die Stadt 28 Prozent der Belegschaft einbüßen, der Fachkräftemangel verschärfe zusätzlich die personelle Situation. Gleichzeitig stiegen die Aufgaben der Verwaltung, ohne dass der Haushalt wachse. Vor diesem Hintergrund biete KI die Chance, handlungsfähig zu bleiben. Sie führte das Beispiel Wohngeldanträge ein; Regelfälle könnten automatisiert werden, dafür hätten die Mitarbeitenden mehr Zeit für Spezialfälle. Man könne auf der Basis von KI den Bürgerservice verbessern, als Arbeitgeber werde die Stadt attraktiver. Gleichzeitig müsse man sehen, welche Daten beim Einsatz von KI verwendet werden. Man benötige eine stärkere Regulierung, auch um den Einsatz von KI-Tools zwecks populistischer Verzerrungen von Gesellschaft zu begrenzen.
Benjamin Rathgeber, Professor für Natur- und Technikphilosophie an der Hochschule für Philosophie München, sah das Grunddilemma darin, dass einerseits KI in immer mehr gesellschaftliche Bereiche eindringe, die neue Technologie auch gebraucht werde, andererseits diese Bereiche von Akteuren übernommen werden sollten, die auch Verantwortung übernehmen könnten. Dies könne die Künstliche Intelligenz aber noch nicht. Man solle mehr darüber nachdenken, wie überhaupt über KI gesprochen werde. KI sei weder als Akteur noch als Objekt zu denken. Er sprach in diesem Zusammenhang vom spannungsvollen Verhältnis von Autonomie und Autonomisierung: Die Letztgenannte entlaste Menschen, schaffe potenziell Freiräume, jedoch dürfe man nicht in das gefährliche Fahrwasser geraten, dass man sich nicht mehr autonom zur Technik verhalten könne.
Antje Krause-Wahl, Professorin für Gegenwartskunstgeschichte an der Goethe-Universität, kritisierte, dass KI zwar in den letzten Jahren bereits Thema vieler Kunstausstellungen gewesen sei; dort sei aber leider festzustellen, dass die Faszination der Möglichkeiten von KI dominiere, kritische Positionen dagegen in den Hintergrund gerieten. Sie halte es für notwendig, erst einmal das Kunstverständnis zu klären: Präferiere man einen experimentell-affirmativen Umgang mit Technik, oder wolle man eine Kunst, die im Umgang mit ihrem Material einen kritischen Blick auf Gesellschaft werfe. Sie plädierte für Letzteres. In der sogenannten Post-Internet-Kunst hinterfrage eine Generation, die bereits mit dem Internet aufgewachsen sei, diese neuen digitalen Technologien. Krause-Wahl nannte als Beispiel ein Kunstwerk, in dem die Gesichtserkennungssoftware kritisch thematisiert werde. Sie ergänzte, dass durchaus Künstlerinnen auch ein kritisches Potenzial in KI-Tools sehen: Beispielsweise werde im Bereich queerer Kunst der heteronormativen Welt Imaginationen anderer Körper gegenübergestellt.
Ina Neddermeyer, Direktorin des Museum Giersch der Goethe-Universität, bestätigte die Einschätzung von Antje Krause-Wahl. Als Museumsdirektorin interessiere sie, welche diskursiven Räume man entwickeln könne, um dem Hype und der Mystifizierung um KI etwas entgegenzusetzen. Als Beispiel nannte sie Kate Crawfords Arbeit „Atlas of AI“, in der gewissermaßen der Hintergrund der Technik aufgezeigt werde, unter anderem der riesige Bedarf an Rohstoffen für die Produktion digitaler Geräte. Mit der für das nächste Jahr geplanten Ausstellung „Fixing Futures“ solle gezeigt werden, wie auch über KI verschiedene Zukünfte generiert und diskutiert werden können. Gleichzeitig werde an Museen aber auch die Frage herangetragen: Wen erreicht man, wie abgehoben sind die Diskurse zur neuen Technologie, wie kann man das einem breiten Publikum vermitteln?
Weitere Themen und Akteurinnen der diesjährigen Bad Homburg Conferences: Der Soziologe Prof. Armin Nassehi (Ludwig-Maximilians-Universität München) sprach über die gesellschaftlichen Erwartungen an KI und die technischen und sozialen Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft stellen sollte. Der Informatiker Prof. Kristian Kersting (TU Darmstadt) skizzierte die Vision einer „Vernünftigen KI“, die mit einer Art „gesundem Menschenverstand“ über die Welt denkt und kontinuierlich dazulernt. Ferner standen die Themen Recht und Wirtschaft, Politik und Kunst sowie Bildung und Gesundheit im Fokus von drei Podiumsdiskussionen mit zwölf Expertinnen aus Wissenschaft und Gesellschaft. Dabei ging es um die Frage, wie sie durch den Einsatz von KI beeinflusst werden könnten.
Die Bad Homburg Conferences werden seit 2017 gemeinsam vom Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität und der Stadt Bad Homburg veranstaltet. Alljährlich im Herbst bieten sie ein öffentliches Forum der Reflexion über wichtige gesellschaftliche Fragen der Gegenwart. Seit 2020 sind die Conferences auf dem YouTube-Kanal des Forschungskollegs Humanwissenschaften nachzuhören. @FKHbadhomburg
10. Oktober 2024, 18.00 Uhr, Vortrag
Russland und der Westen. Dynamik einer neuerlichen Entfremdung
Katharina Bluhm (FU Berlin)
Forschungskolleg Humanwissenschaften,
Am Wingertsberg 4, 61348 Bad Homburg, Vortragsraum
21. November 2024, 19.00 Uhr, Podiumsdiskussion
Die USA nach der Wahl
Manfred Berg (Universität Heidelberg), Christian Lammert (FU Berlin), Greta Olson (Universität Gießen), Johannes Völz (Goethe-Universität und FKH, Moderation)
Forschungskolleg Humanwissenschaften,
Am Wingertsberg 4, 61348 Bad Homburg, Vortragsraum
12. Dezember 2024, 18.15 Uhr, Democratic Vistas Lecture Series:
Was heißt „Demokratische Lebensform“?
„Absolute Freiheit aller Geister“.
Zur Ästhetik der Demokratie bei Hölderlin und Rancière
Achim Geisenhanslüke (Goethe-Universität)
Goethe-Universität, Campus Westend, Casino CAS 1.811,
Nina-Rubinstein-Weg 1, 60323 Frankfurt am Main