ChatGPT: Die Zukunft hat schon begonnen

ChatGPT, der Prototyp eines Chatbot, von dem amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt, ist im Augenblick in aller Munde. Gefragt wird auch: Stellt diese Software eine Herausforderung für den Bildungsbereich dar, werden künftig damit Haus- und Abschlussarbeiten erstellt? Prof. Uwe Walz, Professor für VWL, insbesondere Industrieökonomie an der Goethe-Universität, hat den Chatbot bereits im laufenden Wintersemester mit Studierenden analysiert.

UniReport: Herr Prof. Walz, welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Seminar mit ChatGPT gemacht?

Uwe Walz: Wir untersuchen seit einigen Jahren in einem Seminar, was die ökonomischen Auswirkungen von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz auf verschiedene Produkt-, Arbeits- und Finanzmärkte sind. In dem Zusammenhang bietet ChatGPT die Möglichkeit, den Studierenden zu vermitteln, wie ein Bot funktioniert, wie sein Algorithmus aufgesetzt ist. Es handelt sich natürlich nicht um ein technologisch ausgerichtetes Informatik-Seminar. Wir haben vielmehr versucht zu vermitteln, wie Algorithmen Daten verwenden und welche Rolle die Trainingsdaten bei der Qualität der Vorhersagen spielen. Zudem ging es auch ganz konkret um Auswirkungen dieser Technologie auf die Arbeitsmärkte der Studierenden.

Wie schätzen Sie die Herausforderungen für Bildungsinstitutionen ein?

Man hörte sogar Stimmen, die dafür plädierten, ChatGPT unter Studierenden erst gar nicht bekannt zu machen. Man muss zuerst einmal ChatGPT ausprobieren, um sein großes Potenzial, aber auch seine Grenzen zu erkennen: Wenn man beispielsweise heute den Bot fragt, wie das Wetter morgen wird, kann er keine Antwort geben, weil er mit Daten bis Ende 2021 trainiert wurde. Wir stehen sicherlich am Anfang der Entwicklung, da gibt es noch einige Schwächen. Dennoch: Stand heute ist, dass er schon erstaunlich gut ist. Spätestens wenn die großen Tech-Firmen wie Microsoft ChatGPT in ihre Programme integrieren, bekommt der Bot immer mehr Daten und wird dadurch lernen und immer besser werden. Es wird ein gewisses Rennen sein: ein Wettlauf gegen die, aber auch mit der Technik. Junge Leute finden leicht Zugang zu dieser Technik. Es wäre schon sehr naiv, sie davon fernhalten zu wollen, das Programm muss man mittlerweile als bekannt voraussetzen. Wie auch bei anderen technischen Entwicklungen werden wir darauf reagieren müssen, wegschauen bringt nichts. Ganz im Gegenteil, wir müssen unbedingt darüber nachdenken, wie wir diese Technologie auch produktiv in die Lehre einbringen können. Das Ganze bietet auch eine große Chance.

Für Prüfungen könnte das eine Herausforderung sein: Im Unterschied zum Plagiat wird ein Text ausgespuckt, dessen Herkunft nicht zurückzuverfolgen ist, oder?

ChatGPT produziert noch teilweise generische Resultate, ohne große Variationen. Und ich glaube, dass eine Plagiatssoftware wie Turnitin das annäherungsweise erkennen könnte. Meine Reaktion auf diese Herausforderung wäre allerdings: Wir dürfen als Lehrende, zumindest in meinem Fachgebiet, eben nicht mehr nur standardisiertes, repetitives Wissen abfragen, stattdessen den Studierenden komplexere Aufgaben stellen. Und sie darin ausbilden, wofür Universitäten stehen: nämlich für Strukturwissen.

Könnte die mündliche Prüfung wieder an Wert gewinnen?

Das wäre eine denkbare Reaktion, aber im Massenstudium von den Ressourcen her gesehen wiederum schwer vorstellbar. Zudem könnte man fragen: Warum sollte man im Mündlichen etwas abfragen, was auch der Algorithmus könnte? Wir werden uns das in meinem Fachbereich genau anschauen, diskutieren und überlegen, wie wir damit umgehen. In Abschlussarbeiten sollte noch viel mehr kritische Analyse erfragt werden. Kritisch auf einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu schauen, ist nicht der komparative Vorteil des Algorithmus.

Fragen: Dirk Frank

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