Michael Maaser und Wolfgang Schopf über eine vielschichtige Eröffnung.

Am 28. August 2025, ab „mittags mit dem Glockenschlage zwölf“, strömten Gäste in die Dantestraße 9, jene Adresse gegenüber Juridicum, Senckenberg und Institut für Sozialforschung, unter der das Universitätsarchiv Frankfurt (UAF) fortan firmiert. Die Besucher folgten der Einladung zur Eröffnung einer Immobilie, die während der letzten zwei Jahre den gestiegenen Anforderungen angepasst wurde, die das Archiv gegenüber Präsidium und Verwaltung, den Fachbereichen und den Studierenden ebenso zu erfüllen hat wie gegenüber der wissenschaftlichen und publizistischen Öffentlichkeit. Worin diese Anforderungen liegen, vermittelte das Archiv in einem visuellen und performativen Programm, das sich bis in den Abend des Eröffnungstags erstreckte.
Exponate im Dialog

Ausgangspunkt für die Erkundung war der Ausstellungsraum im Erdgeschoss, in dem zwanzig Positionen einen „Blick in Bestände, Editionen und Ausstellungen“ des Archivs ermöglichten. Schon die erste Serie der Exponate repräsentiert die drei Bereiche, in denen das Archiv arbeitet: Universitäts-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte: Auf dem Vertrag über die Gründung einer Universität in Frankfurt am Main von 1914 wurde alles Weitere gebaut, in dessen Zentrum immer die Studierenden stehen, was die Ausweiskarte Universität Frankfurt 1929–1931 von Gisèle Freund andeutet. Wissenschaft als Ganzes und deren Verquickung mit Zeitgeschichte bildet sich in einem Brief von Albert Einstein an Max von Laue aus Oxford, 16. Mai 1933 ab. Ein Brief des Buchmalers an Eva Demski aus der Ausstellung zu 100 Jahre Goethe-Universität und Notizen von Wim Wenders zu Paris, Texas aus FUNDUS. Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–2019 unterstreicht die Rolle des Archivs im Konzert der kulturellen Institutionen. In der zweiten Serie wird eine Montage zu 60 Jahre Frankfurter Poetikvorlesungen von einem Faksimile aus Franz Kafkas Quartheft (aus 20 Jahre Institut für Textkritik) und einer Revue von Titelblättern der Streit-Zeit-Schrift aus der Eremiten-Presse von V. O. Stomps umrahmt, in der dritten ein vom Schreibtisch der Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen stammendes Porträt von Theodor W. Adorno durch eine Collage von Ror Wolf und ein illustriertes Manuskript der Alumna Silke Scheuermann. In der vierten Serie trifft die von „Wilhelm, König von Preussen“ ausgestellte Satzung für die Universität zu Frankfurt a. M. von 1914 auf den „Roten Stern“ des Stroemfeld Verlags und einen Liebesbrief von Herbert Achternbusch an Burgel Zeeh, der ewigen Vorzimmerchefin von Siegfried Unseld. Er folgen ein Bild der 1968 am Hauptportal mit Pinsel und Farbe versuchten Umbenennung der „Johann Wolfgang Goethe-Universität“ in „Karl Marx-Universität“ neben solchen der Nachlässe von Walter Boehlich und Horst Bingel, schließlich ein Blatt von F.K. Waechter, Der rote Wolf (Ausstellung 2017), eine Weltkarte, deren Landmasse aus den Buchumschlägen der Übersetzungen von Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt (100 Jahre Goethe-Universität) gebildet wurde, und ein Brief des Verlegers Peter Suhrkamp an seine Ehefrau Annemarie Seidel aus dem Gestapo-Gefängnis Berlin, Lehrter Straße, November 1944, aus einer unserer großen Editionen.
10 000 laufende Meter Akten
Die nostalgische Anmutung war ein didaktischer Trick, mit dem Fährten hin zum heutigen Tagesgeschäft des Archivs gelegt wurden, das dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kooperationspartner in Werkstattbesuchen vorstellten: Mit „Aktenstöße … liegen wie der Thurm von Babylon“ wurde plastisch, welch immense Voraussetzungen zu erfüllen sind, um einen Bestand von 10 000 laufenden Metern Akten einer akademischen Behörde „arbeitsfähig“ zu halten und in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen. Die Funktion einer wissenschaftlichen Handbibliothek wurde erläutert, ebenso in die Photographische Sammlung und die Kunstsammlung eingeführt.
Als Anwendungsbeispiele unserer Mittel und Methode dienten aktuelle Projekte: So die erstmalige Dokumentation aller jüdischen Studierenden an der Universität Frankfurt; erst damit wird das Ausmaß der bislang vorrangig durch die Austreibung jüdischer Wissenschaftler dokumentierten Selbstzerstörung der Universität ab 1933 nachvollziehbar. Oder die Aufarbeitung der buchstäblichen „Leichen im Keller“ des Edinger-Instituts für Hirnforschung bzw. von dessen Institutsgeschichte im Nationalsozialismus. Die Tiefe des Raums im Nachlass des Astronomen Ernst Zinner wurde ebenso ausgelotet wie ein Geschichtsstudium an der Seite Friedrich Schlegels, „Goethe und die Panzerknacker“ standen für „Fröhliche Wissenschaft“, Freud und Leid der Edition großer Briefe wurde am Beispiel solcher von Siegfried Kracauer an Theodor W. Adorno, von Wolfgang Koeppen an Siegfried Unseld, von Rainer Werner Fassbinder an Karlheinz Braun erlebbar. Rudi Deuble stellte die Herausgabe von Schriften aus dem Nachlass am Beispiel von Peter Kurzek vor, Eva Demski ihre Poetologie der kleinen Dinge.
Sich auf so weiten Feldern zu bewegen, war bei der Gründung des Archivs nicht abzusehen. Die erfolgte informell 1914 mit Gründung der Universität, in Funktion als deren stiefmütterlich behandelte „Ablage“. Seine Moderne läutete Notker Hammerstein mit den Vorarbeiten zu seiner dreibändigen, 1989/2012/2013 erschienenen, insgesamt 2 164 Seiten umfassenden Universitätsgeschichte ein, wofür jede Akte, jedes Dokument lesbar und bewertbar gemacht werden musste; jedes Blatt „Altpapier“ wandelte sich zur „Quelle“. Mit den gewohnten Instrumenten war das nicht zu leisten, weshalb 2002 die Halde im Keller des Juridicums durch das Präsidium von Rudolf Steinberg zur Institution erhoben wurde. Deren Ausstattung verlief so schleppend wie kontinuierlich. Das Archiv siedelte sich fachlich am Historischen Seminar an, verortet wurde es innerhalb der Verwaltung, was auch seine ersten drei Standorte im Juridicum zeigten.
Fusion der Archive
Ebenfalls 2002 ging die Universität eine Kooperation mit der Peter Suhrkamp Stiftung ein, um die Archive der Verlage Suhrkamp und Insel an der Goethe-Universität anzusiedeln, zu erschließen und wissenschaftlich auszuwerten. Als Vorbild diente das Uwe Johnson-Archiv, das sich, betreut von Eberhard Fahlke, dem Geschäftsführer des Dekanats des Fachbereichs Neuere Philologien, ab 1985 zu einem Forschungszentrum von internationalem Rang entwickelt hatte. Die Erfolgsgeschichte wurde im Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung an der Goethe-Universität fortgeschrieben, fand allerdings mit dem Verkauf der Verlagsarchive an das Deutsche Literaturarchiv Marbach, dies im Zusammenhang mit dem Umzug von Suhrkamp nach Berlin, 2010 ihr Ende. Damit sollte die fünfundzwanzigjährige Expertise nicht aufgegeben werden, vielmehr wurde sie vom Literaturarchiv der Goethe-Universität auf Basis des Archivs der Frankfurter Poetikvorlesungen weiterentwickelt: Als Kooperation von FB 10 und UAF, mit einer Vielzahl neuer Partner, allen voran Eva Demski und der Verlag der Autoren samt seiner Autorenstiftung. 2011 fusionierte das Literaturarchiv mit dem Universitätsarchiv auch räumlich und zog in dessen Räume im Juridicum.
Die kommenden Jahre wurden von drei Faktoren geprägt: Mit dem 2014 anstehenden großen Jubiläum, 100 Jahre Goethe-Universität, schärfte sich das historische Bewusstsein der Universität selbst, zudem wurde ihre Geschichte öffentlich in neuer Qualität wahrgenommen. Ihre Repräsentanz in der Stadt wurde durch neue Schwerpunkte verstärkt, wozu 35 Ausstellungen im vom UAF entwickelten Format Fenster zur Stadt im Restaurant Margarete in der Braubachstraße ebenso beitrugen wie die Einladungen des Archivs an die Stadtgesellschaft auf den Campus der Universität. Schließlich verlangte ein zunehmend kritischer Blick auf die Geschichte schnelle und präzise Antworten, sei es zu Fragen von Provenienz, zur Rolle von Stiftern im und nach dem Nationalsozialismus, zu aktuellen Problemen wie Plagiatsfällen etc.
Vom Provisorium ins Bahlsen-Haus – und dann in die Dantestraße
In dem etatisierten Provisorium, den Räumen des UAF im Juridicum, wurde ein professionelles Arbeiten zunehmend schwierig, weshalb 2017 der Umzug ins Bahlsen-Haus, Zeppelinallee 13 erfolgte. Allerdings stand bereits die Option einer Nutzung des Geländes durch die Max-Planck- Gesellschaft am Horizont, weshalb Schwächen im Zuschnitt des Hauses in Kauf genommen wurden. Mit dem aktuellen Umzug in die Dantestraße 9 gelangt das UAF an das Ziel seiner Reise. Im großen Raum des Erdgeschosses hatte es bereits seit 2014 mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Seminaren neue Formate zur Vermittlung von Wissenschaft entwickelt. Jetzt ist das ganze Haus neben den öffentlichen Flächen wie Lesesaal und Bibliothek mit Arbeitsmagazinen durchzogen, in denen erstmals die Bestände in vernünftigen Einheiten bearbeitet werden können, bevor sie, präpariert für die Zukunft, ins Zentralmagazin zurückkehren. Das bleibt die Voraussetzung für die, neben der Betreuung der Nutzerinnen und Nutzer, zentrale Aufgabe des UAF: die Rolle des Staatsarchivs an der Universität zu erfüllen, um dokumentengestützt Rechtssicherheit im Verwaltungshandeln, in Personal- und Vermögensfragen ebenso herzustellen wie hinsichtlich des akademischen Ertrags der Studierenden, der sich in deren Akten niederschlägt. Dass diese Aufgaben durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeführt werden, die selber in der akademischen Qualifikationsphase sind, im UAF aber ein hohes Maß an Eigenverantwortung tragen, zählt zu den Besonderheiten des Haues, in dem zusätzlich zum wissenschaftlichen Fachstudium methodische und handwerkliche Kenntnisse vermitteln werden.
Als forschendes Archiv beteiligt sich das UAF selbst an der wissenschaftlichen Produktion, was seine Schriftenreihe im Wallstein Verlag ebenso zeigt wie große Editionen bei Schöffling & Co., im Suhrkamp Verlag und im Verlag der Autoren.
So steht das Universitätsarchiv Frankfurt in Dante 9 als physische Präsenz seiner wissenschaftlichen, archivarischen und didaktischen Praxis, im 111. Jahr der Goethe-Universität als Verortung von deren Identität. Herzlich willkommen.
PD Dr. Michael Maaser ist Leiter des Universitätsarchivs der Goethe-Universität, Wolfgang Schopf leitet das Literaturarchiv.











