Prof. Lisette Gebhardt blickt zurück auf eine spannende Veranstaltung mit 350 Teilnehmenden.

Vom 20. bis zum 22. August 2025 organisierte die Frankfurter Japanologie den 19. Deutschsprachigen Japanologentag. In siebzehn Sektionen und vier Panels wurde im Seminarhaus am Campus Westend von ethnologischen bis hin zu wirtschaftswissenschaftlichen Themen das aktuelle Spektrum der deutschsprachigen Japanwissenschaften behandelt. Als Motto hatten die Frankfurter Japanologen die Archivierung von Wissen bzw. Wissenschaft gewählt, nicht zuletzt deshalb, weil die Tagung in das Jahr des 100-jährigen Jubiläums der Asienwissenschaften an der Goethe-Universität fällt – setzt man die 1925 offiziell als „Seminar für Chinakunde und -Forschung an der Universität Frankfurt“ anerkannte Einrichtung des Gelehrten Richard Wilhelm (1873–1930) als deren Ausgangspunkt an.
Zur diesjährigen Fachtagung war auch Abe Ken’ichi aus Tōkyō angereist. Abe, Professor an der renommierten Universität Tōkyō und aktuell verantwortlich für das dort eröffnete Ōe-Kenzaburō-Archiv, hatte die Einladung als Keynote-Speaker angenommen; im Rahmen einer Publikation zu dem weltbekannten Schriftsteller Ōe Kenzaburō arbeitete der Literaturwissenschaftler zuvor schon mit der Frankfurter Japanologie zusammen. In seinem auf Japanisch gehaltenen, mit Bildmaterialien unterlegten Eröffnungsvortrag sprach er über die digitale Texterfassung, die neue Möglichkeiten für die Erschließung des Werks von Ōe bietet – Ziel des Archivs sei es, alle vorliegenden Dokumente zu digitalisieren, um sie erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Literaturnobelpreisträger, der bis zu seinem Tod im März 2023 als der literarische Vertreter seines Landes galt, vermachte seinen gesamten schriftstellerischen Nachlass der Universität, an der er selbst in den 1950ern Romanistik studiert und von deren intellektuellem Klima er profitiert hatte. Anhand von Abbildungen, die Ōes meist mit Füller und blauen Buntstiften getätigte Markierungen in den Manuskriptseiten zeigen, erläuterte Abe anschaulich das Prinzip der Ōe’schen Textgestaltung per „Streichung“.
Die im großen Hörsaal A des SKW-Gebäudes versammelten Zuhörer folgten gespannt den Ausführungen des Gastredners. Das Leitmotiv des Archivierens, das generell auf viel Zuspruch traf, fand sein Echo in weiteren Beiträgen. Die Vortragenden bezogen sich, wie Abe, sowohl auf praktische Aspekte, d.h. auf technische Dimensionen und zeitgemäße Archivierungsstandards, als auch auf Vermittlung lebendigen Wissens. Nicht zuletzt präsentierte die Konferenz im Zeichen des sich im August 2025 zum 80. Mal jährenden zeitgeschichtlichen Ereignisses „Hiroshima“ eine Kunstinstallation im Foyer des SKW-Gebäudes. Die Installation stammte von Stefan Soltek, Emeritus des Klingspor Museums Offenbach. Ihm hatte der Grafikdesigner Uwe Loesch ein Originalplakat mit dem ikonischen Fotomotiv des „Little boy “ (1994) für die Zeit des Japanologentags überlassen. Soltek erläuterte den Gästen des Eröffnungsabends in einem kürzeren Kommentar die Implikationen des Werks, das einen kleinen, verloren wirkenden Jungen in Brustansicht vor schwarzem Hintergrund zeigt, um dann allgemein die Visualisierung der Atombombe in der grafischen Kunst anzusprechen.

An den beiden Folgetagen herrschte im Seminarhaus reger Konferenzbetrieb. Einer „Anthropologie der Zukunft“ widmete sich die Sektion Ethnologie, die Alte Geschichte betrachtete „Krankheiten in historischer Perspektive“, die Moderne Geschichte „Frieden und Krieg im modernen Japan“. Die Informations- und Ressourcenwissenschaften hatten das Konferenzthema aufgegriffen und wandten sich u. a. gegen den digital monolingualism (Cosima Wagner). Die Sektion Kunstgeschichte folgte dem Motto „Ausstellen, Digitalisieren, Wegwerfen, Zurückgeben?“ Nicht ganz auf KI wollte die Organisation der älteren Literatur (Motto: „Herausforderung Übersetzung“) vertrauen, die moderne Literatur (Lisette Gebhardt und Christian Chappelow) setzte sich auf die eine oder andere Art mit der Archivthematik auseinander, während sich die Sektion Medien wiederum der KI zuwandte. In der Sektion Philosophie und Ideengeschichte (Michael Kinski und Raji Steineck) wagte man erneut einen Blick auf die „Vorstellungen von Mensch und Natur“. Die Politiksektion sichtete „Japans (Inter-)Nationalisierungstendenzen“, die Rechtssektion unter der Leitung von Moritz Bälz und Ruth Effinowicz befasste sich mit der „neuen Rolle für Japans Gerichte“, und die Sektion Religion stellte Überlegungen zu den Techniken des „Erhaltens und Konservierens von religiösem Wissen“ an. „Einsamkeit und soziale Isolation“ bildeten den Schwerpunkt der Sektion Gesellschaft. In der Theatersektion stand die Verschriftlichung von Aufführungen im Mittelpunkt der Referate. Die sogar vier Sitzungen umfassende Wirtschaftssektion wurde u.a. von Cornelia Storz betreut.
Insgesamt war der Japanologentag an der Goethe-Universität mit ca. 350 Gästen, darunter zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Japan, äußerst gut besucht. Er bot inklusive des Rahmenprogramms und seiner Panels viel Anregungen und akademischen Diskussionsstoff – erwähnt seien an dieser Stelle noch das Panel „Schallplatten als Quellen historisch orientierter Japanforschung“ und „80 Jahre danach. Erinnerungskultur und Friedenserziehung in Hiroshima heute“. Durchwegs lobten die Teilnehmer die Organisation der Konferenz und zeigten sich beeindruckt vom Campus Westend. Zur guten Stimmung hat sicher das wohltemperiert sonnige hessische Wetter während der drei Tage beigetragen. Bewunderung für das Ambiente brachte ebenfalls Abe Ken’ichi zum Ausdruck – vor allem im Laufe des Grillabends auf dem Dach des Casinos. Rasch fand man dort jenseits der wissenschaftlichen Materie zu lockeren, persönlicheren Gesprächen, zumal Abe-sensei (jap. Anrede: „verehrter Lehrer Abe“) sich als Sprachgenie erwies, das mühelos von Japanisch über Englisch zu Tschechisch und Deutsch wechselte. Am Ende des Abends wurde manche Visitenkarte getauscht, Besuche vereinbart und neue Kooperationen ins Auge gefasst. Auch die Studierenden, die sich monatelang im Vorfeld der Konferenz bei ihrer Vorbereitung stark engagiert hatten, konnten erste wichtige Kontakte knüpfen.
Bei der Nachbetrachtung innerhalb des von Christian Chappelow geleiteten studentischen Organisationsteams gab es ein durchwegs positives Fazit. „Da hat sich unsere Mühe wirklich gelohnt!“, meinte Ike Brede, ein junger Frankfurter Japanologe mit Interesse an Manga. „Es war außerdem schön, jetzt endlich einmal zu allen Namen aus der Sekundärliteratur die Gesichter zu kennen“, ergänzt Nastasja Scholl aus dem japanologischen Literaturschwerpunkt.











