Vortrag des Frankfurt Cancer Institute (FCI) im Georg-Speyer-Haus
Mikroben machen einen großen Teil unserer Körpermasse aus – im Darm sogar ein bis zwei Kilogramm. Über die wichtige Rolle dieses „Mikrobioms“ ist mittlerweile einiges bekannt. Welche Rolle diese körpereigenen Mikroben im Zusammenhang mit Krebserkrankungen spielen, ist allerdings noch wenig verstanden. Über diesen Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Tumoren berichtete Prof. Dr. Michael Scharl vom Universitätsspital Zürich Anfang Juni in einem spannenden Vortrag des Frankfurt Cancer Institute (FCI) im Georg-Speyer-Haus.
„Das Mikrobiom beeinflusst unser Immunsystem und den Stoffwechsel“, so Scharl. Daher sei es wenig verwunderlich, dass Bakterien auch in allen Krebsgeweben und Immunzellen nachweisbar seien. Dabei lassen sich je nach Tumor bestimmte typische Bakterienkombinationen nachweisen. So ist Fusobacterium nucleatum charakteristisch für Dick- und Mastdarmtumoren. Manche Bakterien wandern kombiniert mit Immun- oder Tumorzellen im Blutstrom, könnten also bei der Metastasierung eine – positive oder negative – Wirkung haben. Hier steht die Forschung noch ganz am Anfang.
Lässt sich das Mikrobiom aber möglicherweise als Therapieoption nutzen? Tatsächlich zeigte eine Studie letztes Jahr, dass sich Bakterien bei Melanompatienten positiv auswirken können: Gereinigte Bakterien aus dem Darminhalt von Gesunden, eingeführt in den Darm der Erkrankten, führten bei jedem dritten Behandelten zu einer besseren Antwort auf ihre Krebstherapie. Ihr Mikrobiom änderte sich deutlich, und bestimmte Abwehrzellen (CD8-Immunzellen) gelangten in den Tumor. Auch Scharls Arbeitsgruppe zeigte kürzlich, dass der Stuhl geheilter Patienten bei zwei Dritteln der schwerkranken Tumorpatienten zumindest das Fortschreiten verzögern konnte.
In eindrucksvollen Bildern führte Scharl vor Augen, dass Bakterien aus der Gruppe der Clostridiales bestimmte Tumoren in Mäusen deutlich schrumpfen lassen. Interessanterweise beobachtete sein Team denselben Effekt, wenn es lediglich den flüssigen Blutanteil (das Serum) solcher Bakterien-behandelter Mäuse einsetzte. Es stellte sich heraus, dass ein bakterielles Zwischenprodukt, 3-OH-Dodecansäure, für diesen Effekt verantwortlich ist. Es gibt erste Hinweise, dass 3-OH-Dodecansäure auch bei bestimmten Krebsstadien in Menschen wirkt. Die Gruppe um Scharl plant derzeit eine Phase-I-Studie mit Clostridiales-Bakterien, um diese Beobachtungen weiter zu verfolgen.
Den vielen interessierten Fragen aus der Zuhörerschaft konnte Scharl im Anschluss an seinen Vortrag häufig nur mit einem Schulterzucken begegnen: „Wir wissen vieles noch nicht, können nur spekulieren und weiter forschen.“ Das dürfte ein Anreiz sein für die vielen anwesenden jungen Interessierten – ebenso wie die beflügelnde und altehrwürdige Atmosphäre im Georg-Speyer-Haus, in dem schon Paul Ehrlich vor mehr als 100 Jahren mit Salvarsan ein erstes Medikament gegen Syphilis entwickelt hatte.
Anja Störiko