
Von Inseln ist Severin Irl begeistert: Am Fachbereich Geowissenschaften/Geographie der Goethe-Universität hat er seit 2018 die Professur für Biogeographie und Biodiversität inne, erforscht also die Vielfalt von Lebewesen – in seinem Fall: Pflanzen – in verschiedenen Regionen der Erde.
Auf Inseln mit ihrer durch Wasser begrenzten Ausdehnung ist das natürlich wesentlich leichter zu organisieren als in der Wüste, im Dschungel oder im Ozean: „Hier sind es abgeschlossene Systeme mit ganz klaren Grenzen, sodass sich Evolutionsprozesse in Echtzeit beobachten und studieren lassen“, hebt Irl hervor, „gleichzeitig gibt es auf größeren Inseln, zum Beispiel auf Gran Canaria, Maui oder Madagaskar, viele verschiedene Klimazonen und somit auch Vegetationszonen auf engem Raum.“
Um auf Inseln Flora und Fauna zu erforschen und zu vergleichen, müssten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht Hunderte von Kilometern über einen ganzen Kontinent hinweg zurücklegen, betont Irl. Stattdessen fänden sie „evolutionäre Labors“ vor und könnten die fundamentalen Prozesse studieren, bei denen Biodiversität in drei Dimensionen entstehe: taxonomisch (als Artenvielfalt), funktional (mit unterschiedlichem Aussehen und folglich anderen Eigenschaften) und phylogenetisch (mit vielfältigen Verwandtschaftsbeziehungen).
Um auf Inseln Biodiversität in diesen drei Dimensionen zu erforschen, stecken Irl und seine Arbeitsgruppe dort Gebiete ab und stellen fest, welche Pflanzenarten darin in welcher Anzahl vorkommen. Sie vermessen die Eigenschaften der Pflanzen, um herauszufinden, welche Funktionen diese in ihren jeweiligen Lebensräumen wahrnehmen. Und anhand der Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen aus der Biologie, die das Erbgut der Pflanzen analysieren, erfährt Irl etwas über die Verwandtschaftsbeziehungen der Pflanzen, die er gefunden hat, also über die phylogenetische Diversität auf der jeweiligen Insel.
Lieber im Gelände als im Labor
„Mich begeistert es, dass ich mit meiner Forschung zum besseren Verständnis beitrage, wie die Natur grundsätzlich funktioniert“, schwärmt Irl und berichtet, wie diese Begeisterung über die Jahre gewachsen ist: Schon als Kind und Jugendlicher, aber auch als Abiturient und als Student habe er sich lieber im Gelände als im Labor aufgehalten und sich für ganz verschiedene ,Outdoor-Naturwissenschaften’ interessiert, von Vulkanologie über Geoökologie, Glaziologie (Gletscherforschung) und Bodenkunde. „Im Laufe des Studiums habe ich dann schließlich in der Biodiversitätsforschung und Biogeographie für mich genau das Richtige gefunden.“
Allerdings verweist Irl auf den menschengemachten Klimawandel, auf die Zerstörung von natürlichen Habitaten durch geänderte Landnutzung und auf das Auftreten invasiver Tier- und Pflanzenarten und fügt hinzu: „Meine Forschung soll zeigen, wie wir mit unserer Lebensgrundlage umgehen: Wie wir unsere Ökosysteme und die einzigartige Biodiversität beeinflussen und sogar zerstören. An diesem Erkenntnisgewinn mitzuwirken, das empfinde ich als großes Privileg.“
Eines dieser Ökosysteme, die Irl so faszinieren, liegt auf den Kanarischen Inseln. Hier hat er sich beispielsweise intensiv mit endemischen, also nur dort vorkommenden Pflanzenarten beschäftigt: „Ein wichtiges Ergebnis aus den letzten Jahren ist beispielsweise, dass vom Menschen eingeschleppte Pflanzenfresser wie etwa Kaninchen sich sehr viel mehr von endemischen Arten ernähren als von Pflanzen, die auch woanders wachsen.“ Das liege daran, dass die endemischen Arten auf den Inseln entstanden seien, als es dort noch keine Kaninchen gab – diese Arten hätten also keine Chance gehabt, Verteidigungsmechanismen gegen ihre Fressfeinde zu entwickeln. „Dabei haben die endemischen Arten, die es ja nur auf den Kanaren gibt, von vorneherein ein höheres Aussterberisiko; durch die vom Menschen eingeschleppten Fressfeinde sind diese Arten also stärker bedroht als nicht-endemische Nahrungspflanzen der Kaninchen“, erläutert Irl.
Kontakt auf Augenhöhe
Wenn Irl seine Begeisterung an die Studierenden weitergibt, ist er dabei künftig nicht auf Hörsaal und Seminarraum begrenzt: Für März 2026 plant er mit zwölf Studierenden eine Exkursion nach La Palma: „Die Studierenden werden an eigenen kleinen Forschungsprojekten arbeiten; ich freue mich darauf, ihnen da auf Augenhöhe zu begegnen – noch mehr, als das hier im Studienalltag an der Goethe-Universität möglich ist.“
Er beschäftigt sich allerdings auch mit Inseln im übertragenen Sinn, die also nicht von Wasser umgeben sind: mit den Quarz-Inseln in der südafrikanischen Karoo-Halbwüste, also mit runden oder ovalen Flächen, mehrere Hundert Quadratmeter bis einige Quadratkilometer groß, die von einer dicken Schicht fast reinweißer, etwa golfballgroßer Quarzbruchstücke bedeckt sind: „Diese Quarzinseln bieten eine unglaubliche Vielfalt an ungewöhnlichen Lebensformen, die in keiner anderen Gegend der Welt existieren – wir haben hier einen echten globalen Biodiversitäts-Hotspot“, schwärmt Irl. Mit einzigartigen Bodenbedingungen, speziellen chemischen Verhältnissen, geringer Nährstoffverfügbarkeit und – teilweise – hohem Salzgehalt höben sich die Quarzinseln deutlich von den umgebenden Bodeneigenschaften ab, erläutert er und folgert aus seinen Beobachtungen: „Um den Lebensraum der Quarzinseln besiedeln zu können, mussten sich die Pflanzen durch Veränderungen ihrer Morphologie und Biologie an diese Extremstandorte anpassen, was zur Entstehung neuer, hochspezialisierter Arten geführt hat.“
Stefanie Hense










