Verstehen, Anwenden und Hinterfragen

Im Projekt „Critical Computational Literacy @ GU Future Skills and Beyond“ wird ein modernes, skalierbares und zertifizierbares Lehrangebot zu KI & Co für alle Mitglieder der Goethe-Universität entwickelt.

Wenn Franziska Matthäus über die Genese des Projektes spricht, klingt das nach einer fast schon wunderbaren Koinzidenz: Zum einen hatte Santander Universitäten großes Interesse gezeigt, das Thema „Future Skills“ an die Goethe-Universitäten zu tragen. Zum anderen beschäftigte sich das 2023 gegründete Center for Critical Computational Studies (C3S) schon länger mit dem Vorhaben, Lehrstrukturen aufzubauen, die einerseits der gestiegenen Bedeutung des Computationalen Rechnung tragen und neben Grundkompetenzen im technischen Bereich auch eine Reflexion über den damit verbundenen Einfluss digitaler Technologien auf Gesellschaft und Machtverhältnisse ermöglichen. „Das hat wunderbar zusammengepasst“, betont Matthäus. „Unsere Grundüberlegung damals war, Lehrformate so in der Uni zu verankern, dass sie eine möglichst große Reichweite entfalten; das deckte sich auch mit dem Interesse von Santander Universitäten.“

Franziska Matthäus © Uwe Dettmar, Goethe-Universität Frankfurt
Franziska Matthäus © Uwe Dettmar, Goethe-Universität Frankfurt

Einstiegskurse zu Programmieren, KI und kritischer Reflexion – für alle Interessierten

Die Idee des neuen Zertifikatsprogramms ist es, Studierenden und Mitarbeitenden der Goethe-Universität grundlegendes Wissen und technische Fähigkeiten zu vermitteln sowie auch Grundlagen im Bereich des kritischen Umgangs mit rechnergestützten Methoden. Das Computationale soll damit als nutzbar für die eigene akademische Forschung und die persönliche akademische Entwicklung erfahren werden sowie als gestaltbar im Sinne gesellschaftlicher Ziele und Werte. Im technischen Bereich geht es um den Einstieg zu Daten & Algorithmen, um Grundkenntnisse im Programmieren, Mathematik und Statistik sowie Grundlagen von KI. Ziel ist es hier, dass die Teilnehmer lernen, eigene Probleme computationaler Art selbstständig zu lösen und in gewissem Maße dadurch unabhängig von kommerzieller oder intransparenter Fremdsoftware werden. Das Lehrangebot soll zum einen neuartige Computertechnologie demystifizieren und zum anderen auch zu einer gewissen Eigenständigkeit ermächtigen. Zum Beispiel gibt es Sprachmodelle, die im europäischen Raum entwickelt wurden und die man auch selbst trainieren kann. Das ist auch weniger schwierig als oft gedacht.

Im Bereich der kritischen Reflexion geht es um grundlegende gesellschaftliche, ethische und rechtliche Fragestellungen zu Daten, Algorithmen und KI. Anvisiert sind hierbei z.B. Kurse im Bereich Philosophie, Ethik oder Recht. Die Lehrangebote sollen dazu anregen, unseren Umgang mit dem Computationalen zu hinterfragen, soziale Implikationen bestimmter Praktiken zu analysieren sowie Auswirkungen auf soziale Dynamiken und Machstrukturen zu diskutieren.

Die Grundlagenkompetenzen sollen insbesondere auch den interdisziplinären Dialog zwischen verschiedenen Wissenschaftskulturen an der Goethe-Universität befördern. Studierende und Mitarbeitende gewinnen sowohl Kenntnisse zu neuen technischen Möglichkeiten als auch zu den damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen. Das Kursangebot zu technischen Hintergründen richtet sich dabei insbesondere an die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, wäh-rend besonders für MINT-Fächer Kurse zu ergänzenden kritischen Perspektiven angeboten werden sollen. Dadurch wird die Hürde zum Diskurs über gesellschaftliche Herausforderungen, aber auch zu neuen Möglichkeiten mit der modernen Technologie, gesenkt.

Niedrigschwelliger Einstieg

Die Kurse sind prinzipiell für alle Statusgruppen der Universität vorgesehen und die Einstiegsvoraussetzungen sollen relativ niedrig sein. Zudem ist das Angebot freiwillig und wird auch skalierbare externe Angebote einbinden, wie Massive Open Online Courses (MOOCs) oder Open Educational Resources (OER). Als Selbstlernressource bieten solche Angebote zahlreiche Vorteile. Einerseits sind inzwischen zahlreiche kostenlose und sehr gut gemachte Angebote vorhanden. Außerdem sind sie skalierbar, d.h. die Teilnehmerzahl ist nicht begrenzt. Der Zugang ist jederzeit möglich und man kann sich Wissen und Kompetenzen aneignen, wenn es gerade nötig ist. Dadurch gibt es keine Bindung an Kurszeiten, wodurch auch Studierende unterstützt werden, die neben dem Studium arbeiten oder Betreuungsaufgaben übernehmen. Vorteilhaft ist hier auch, dass man erstmal schauen und die Kurseinheiten beliebig oft wiederholen kann.

„Für Lehrende ist das Angebot attraktiv, da die Onlinekurse, z.B. im Rahmen eines Flipped-Classroom-Konzepts, in bestehende Präsenzkurse eingebettet werden oder als zusätzliche Lernhilfe genutzt werden können. Und letztendlich bildet das Kursangebot auch neue Möglichkeiten für die Forschung, da bei der Nutzung viele Metadaten erhoben werden können. Damit kann das Angebot auch stetig weiter verbessert und erweitert werden“, betont Franziska Matthäus.

Für Onlinekurse kann auch die Anerkennung technisch, z.B. über Badges, erfolgen. „Hier haben wir auch europäische Initiativen im Blick, die Zertifikate und Zeugnisse in digitaler Form an eine speziell dafür entwickelte ID binden wollen.“ Zertifikate, aber auch Microcredentials für einzelne Kurse, wären damit über die ID den Lernenden zuzuordnen. Diese wiederum greifen einfach über eine App auf ihre Zertifizierungen zu.

Bereits zehn Fachbereiche eingebunden

Matthäus hatte bereits in ihrer Funktion als Gründungsdirektorin des Ressorts Lehre am C3S im Vorfeld Kontakt zu verschiedenen Studiendekanaten aufgenommen. Gemeinsam wurde eruiert, wo auf dem Feld computationaler, aber auch kritischer Kompetenz dringende Bedarfe bestehen und wie eine Kooperation aussehen könnte. „Das Ergebnis der Gespräche war: Angebote dazu sind in fast allen Fachbereichen gewünscht. Allerdings reichen die Kapazitäten oft nicht aus, um zusätzliche Lehre einzubringen. Als sich dann durch Santander Universitäten die Möglichkeit des Zertifikatsprogramms er-gab, bin ich zu meinen früheren Gesprächspartnern zurückgekehrt, bei denen ichwusste, dass Interesse an der Thematik besteht. Daraus ist eine Initiative entstanden, in der bereits zehn Fachbereiche mitwirken, dazu Mitarbeiter von studiumdigitale, von den Methodenzentren, der Universitätsbibliothek sowie Studierende. Derzeit erarbeitet die Initiative in verschiedenen Teilarbeitsgruppen die Inhalte und Kompetenzziele der verschiedenen Bausteine des Angebots. Gleichzeitig entwickeln die Kollegen von studiumdigitale eine Moodle-Plattform, über die dann auf die Angebote zugegriffen werden soll.“ Geplant ist auch, für das Zertifikats-programm eine automatisierte Testung anbieten zu können. Auch hierfür sollen aktuelle Neuentwicklungen genutzt werden, z.B. indem Sprachmodelle genutzt werden, um Fragen für den gegebenen Content zu generieren.

In Studiengänge integrierbar

Die Lehrangebote sollen am Ende in einem Zertifikat zusammengeführt werden. Solch ein Zertifikat, erläutert Matthäus, ist vor allem für Studierende relevant, da sie zusätzlich zur curricularen Lehre noch extracurriculare Inhalte nachweisen können. „An der Universität besteht grundsätzlich aber auch die Möglichkeit, das Lehrangebot in die Studiengänge zu integrieren, beispielsweise über das Optional- oder das Wahlpflichtmodul. Die Anerkennung mit Credit Points obliegt aber natürlich jeweils den Studiengangskoordinatoren.“

Für Wissenschaftler, die sich in Forschung und Lehre für das Thema interessieren und Kompetenzen aufbauen möchten, wäre es ein Qualifizierungsangebot, das aus eigener Motivation besucht würde. Ganz ähnlich aber auch bei den administrativ-technischen Mitarbeitenden: Sie wollen beispielsweise besser verstehen, wie KI funktioniert, wie sie rechnergestützte Methoden in ihrer Arbeit nutzen können oder einen Einblick in ethische und rechtliche Fragestellungen bekommen.

Erste Testversionen im kommenden Wintersemester

Matthäus hofft, dass bereits im kommenden Wintersemester die ersten Kurse zumindest als Testversion laufen werden. Unterstützt durch studiumdigitale werden dann Nutzer*innen dazu eingeladen. „Wir erwarten, dass insbesondere die technischen Kompetenzen gut durch vorhandene Kurse abgedeckt werden können, weil es gerade hier viele gut gemachte und kostenfreie Kurse auf dem Markt gibt. „Aber auch im Bereich der kritischen Kompetenzen werden bereits Kurse angeboten, unter anderem vom KI Campus, einer durch den Stifterverband geförderten Initiative, mit der wir auch im Kontakt stehen. Gebiete wie Ethik und Recht in Bezug auf KI sind aber im Moment noch sehr dynamisch. Die Technologie entwickelt sich rasend schnell und daher müssen auch unser Umgang, der normative Rahmen und gesetzliche Richtlinien stetig weiterentwickelt werden. Wir diskutieren daher im Moment noch intensiv, inwieweit in diesem Gebiet feste Kursinhalte geeignet sind oder ob wir eher diskursive Formate anbieten müssen.“

Matthäus wünscht sich prinzipiell eine höhere Sichtbarkeit aller universitären Schlüsselkompetenzen: „Wenn wir das Zertifikatsprogramm ‚Critical Computational Literacy @ GU Future Skills and Beyond’ ausgearbeitet haben, sollte es idealerweise über eine Landingpage für extracurriculare Angebote gut sichtbar in die bestehende Angebotsstruktur integriert werden.

Nicht zuletzt sehen wir die Zertifikatsinitiative auch als einen Piloten für den Aufbau einer Plattform, die durch Anbindung weiterer Kurse wachsen und sich flexibel verändern kann. Wir testen, ob sich die Idee von Selbstlernressourcen bewährt und von Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitern gerne genutzt wird. Damit erreichen wir auch mehrere Ziele auf einmal: Vor dem Hintergrund neuer gesellschaftlicher Herausforderungen bereichern wir die Lehr-Lernkultur in einem wichtigen Themengebiet. Wir gehen aber auch darauf ein, dass Studierende heute anders lernen und gerne diverse Lernmöglichkeiten nutzen. Dazu bieten wir sowohl Lehrenden als auch Lernenden eine weitere Ressource, die flexibel, skalierbar und jederzeit genutzt werden kann.“

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