Andere Narrative erforderlich: Podiumsdiskussion zum anti-muslimischen Rassismus

Im Rahmen der Vorlesungsreihe des Cornelia Goethe Colloquiums „Whose Gender? Whose Sex? Zur Polyvalenz der Geschlechterverhältnisse im Islam“ fand am 7. Juli eine abschließende Podiumsdiskussion statt, in der ein „kritischer Blick auf Narrative des anti-muslimischen Rassismus“ geworfen werden sollte.  

Prof. Helma Lutz, die gemeinsam mit Dr. Marianne Schmidbaur und Dr. Meltem Kulaçatan die Vorlesungsreihe konzipiert hatte, wies in ihrer Einleitung unter anderem auf die Anschläge in Hanau hin, die auch bei Studierenden der Goethe-Universität, die in der Stadt leben, eine große Betroffenheit ausgelöst haben. Dies hätte unter anderem auch den Ausschlag gegeben, den letzten Abend der Vorlesungsreihe, die sich im Schnittfeld von religionswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven bewegt und dabei auch soziale Praktiken und Bewegungen zu erfassen versucht habe, auf das Thema anti-muslimischen Rassismus auszurichten.

Moderatorin Anne Chebu (hr-Fernsehen/ZDF), fragte einleitend in die Runde, ob der anti-muslimische Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werde. Schirin Amir Moazami, Professorin für Islam in Europa am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin, zeigte sich zum einen erfreut darüber, dass seit einiger Zeit auch in Deutschland über verschiedene Formen von Rassismus intensiver diskutiert werde; allerdings werde die Debatte noch verkürzt geführt. Manchmal beiße man sich in akademischen Debatten zu sehr an Fragen wie der fest, ob es „anti-muslimisch“ oder „islamophob“ heißen solle. Tatsache sei, dass der Rassismus nicht nur am rechten Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sei. Saba Nur Cheema, pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank und Dozentin an der Frankfurt University of Applied Sciences, erinnerte daran, dass es bereits vor den Anschlägen in Hanau anti-muslimischen Rassismus gegeben habe; 9/11 sei eine Zäsur gewesen, die Buchveröffentlichung von Thilo Sarrazin im Jahre 2011 habe den Diskurs befeuert. Im Unterschied zu anti-Schwarzem Rassismus gehe es beim anti-muslimischen Rassismus immer auch um Religion, um Kritik an Geschlechterrollen, Stichwort Kopftuch, um Antisemitismus oder um Gewaltbereitschaft.

Michael Tunç, Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft an der HAW Hamburg, sprach über die Folgen anti-muslimischen Rassismus für männliche Jugendliche; das Bild des „gefährlichen Islam-Machos“ werde immer auch im Kontext islamistischen Terrors gedacht. Muslimische Männer würden meist nur als potentielle Täter, nicht hingegen als Opfer gesehen. Dabei sei die Vielfalt in muslimischen Milieus groß, es gebe Formen moderner Männlichkeiten. Im Unterschied dazu habe die feministische Bewegung es bislang weitaus mehr vermocht, das Empowerment von jungen muslimischen Frauen voranzutreiben.
Schirin Amir Moazami sieht ein Problem darin, dass das Bild der unterwürfigem Muslima, das sich aus einem kolonialen Kontext speise, in der Kopftuchdebatte gewissermaßen reproduziert werde; der Fragerahmen der Mehrheitsgesellschaft sei falsch gewählt, weder Forscher*innen noch religiös gekleidete Frauen verspürten noch eine Bereitschaft, auf die Frage von unterdrückt oder emanzipiert zu antworten. Hier sei es notwendig, eine neue Blickrichtung zu wählen: Warum werde zum Beispiel nicht danach gefragt, was muslimische Frauen zur islamischen Ethik zu sagen haben. Auch Michael Tunç plädiert für neue Narrative; jedoch sei es für muslimische Männer noch schwieriger, gegen stereotype Bilder bestimmte Widerstandspositionen zu etablieren. Einigkeit auf dem Podium bestand in der Einschätzung, dass es in der Mehrheitsgesellschaft den Drang zu einer „Überthematisierung“ des Islams gebe; auch Medienmacher und politische Autoritäten reflektierten noch zu wenig darüber, dass alles, was suspekt sei, gleich dem islamischen Extremismus zugeordnet werde. Demgegenüber werde eine „deviante Männlichkeit“ in der katholischen Kirche oder in der MeToo-Debatte weder dem Christentum zugeordnet noch kulturell begründet. Für die Bildungsarbeit sei wünschenswert, dass Kinder nicht nur mit dem allgegenwärtigen Negativbild des Islam sozialisiert werden; positive Bilder, beispielsweise von emanzipierten Muslima, seien noch zu selten.

Ein Mitschnitt der Podiumsdiskussion steht auf YouTube zur Verfügung.

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