Christoph Butterwegge sprach an der Goethe-Uni über Kinderarmut und Fluchtmigration

Der Kölner Politikwissenschaftler Prof. Christoph Butterwegge referierte zum Auftakt der Vorlesungsreihe „Gesellschaft in Bewegung. Interdisziplinäre Perspektiven auf Flucht und Migration“ über die Gefahren einer größer werdenden Kluft zwischen Reich und Arm in einem wohlhabenden Land wie Deutschland. Butterwegge war von 1998 bis 2016 Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien. 2016 wurde er bei der Wahl des Bundespräsidenten von der Partei Die Linke als Gegenkandidat zu Frank-Walter Steinmeier nominiert und kam in der Bundesversammlung auf 128 Stimmen. Butterwegge beschäftigt sich bereits seit den 90er Jahren mit dem Thema Armut. Mit großer Offenheit berichtete der Forscher bei seinem Vortrag auch von eigenen Erfahrungen als prekär Beschäftigter im Wissenschaftssystem. 2005 trat Butterwegge aus Enttäuschung über die Sozialpolitik der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder aus der SPD aus. Sein Buch „Armut in einem reichen Land“ ist ein Bestseller, Butterwegge ist daher ein gefragter Experte auch in Talkshows.

Einleitend stellte Butterwegge die Begriffe „absolute“ und „relative“ Armut vor. Vergessen werde, so seine Kritik, dass es auch in einem reichen Land wie Deutschland absolute Armut gebe, etwa bei Obdachlosen, Drogenabhängigen und Straßenkindern, die weder über einen Wohnsitz noch über ausreichende Ernährung verfügten. Butterwegge merkte selbstkritisch an, dass seine ursprüngliche Hoffnung, mit dem Thema „Kinderarmut“ die Gesellschaft für soziale Ungerechtigkeit zu sensibilisieren, sich nicht erfüllt habe. Kinder und Jugendliche würden zwar von der Gesellschaft als „würdige Arme“ betrachtet, die „ohne eigene Schuld“ in ihre Situation hineingeraten wären. Hingegen würden Erwachsene, die von Armut betroffen sind, häufig als „Sozialschmarotzer“ abgetan.

„Relative Armut heißt, nicht ausreichend an Gesellschaft partizipieren zu können“, beklagt Butterwegge, und nennt das Beispiel einer Mutter, die aufgrund eines sehr geringen Einkommens erleichtert ist, wenn ihr Kind nicht auf einen Geburtstag eingeladen wird und das Geld für ein Geschenk gespart werden kann. Es sei gewissermaßen in einer reichen Gesellschaft sogar erniedrigender, so Butterwegge, arm zu sein. Kinder würden aufgrund billiger Kleidung sehr schnell stigmatisiert und ausgegrenzt. Er warnte davor, Armut und Benachteiligungserfahrungen zu relativieren. „Vor 50 Jahren war für Kinder ein eigenes Zimmer sicherlich noch kein Standard in deutschen Haushalten, das hat sich seitdem aber geändert.“ Kritisch betrachtet der Politikwissenschaftler die Tendenz in der öffentlichen Debatte, soziale Probleme, die es bereits deutlich vor der Flüchtlingskrise gegeben habe, nun ursächlich mit der gestiegenen Zahl an Asylsuchenden und Migranten in Verbindung zu setzen. Beispielsweise hätten die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Lockerung des Kündigungsschutzes den Druck auf untere Schichten nachhaltig erhöht. Butterwegge sieht zudem in der „ethnischen Unterschichtung der Gesellschaft“ die Gefahr, dass nur noch Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund als arm wahrgenommen werden: „Umgekehrt wäre es wichtig, den Armutsbegriff auszuweiten. Eine wohlhabende Gesellschaft sollte viel sensibler sein für Fragen von sozialer Ungleichheit“, fordert der Politikwissenschaftler.

Kritisch äußerte sich Butterwegge auch zur aktuellen Bildungsdebatte: Die von vielen Politikern immer wieder bemühte Formel, dass Bildung vor Armut schütze, sei nicht zutreffend. Drei Viertel der im Niedriglohnsektor Beschäftigten verfügten über ein Berufsabschluss. Auch die Tatsache, dass viele Reiche keinen akademischen Abschluss vorweisen können, zeige, dass der Kausalzusammenhang zwischen Bildung und Wohlstand keineswegs so eindeutig sei. Wer den Leistungsbegriff heute hochhalte, müsse sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Reichtum zunehmend weniger erworben als vererbt werde. Abschließend forderte Butterwegge eine Großoffensive gegen Kinderarmut; zentrale Maßnahmen seien die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die Ausweitung des Ganztagsschulangebotes, mehr Gemeinschaftsschulen sowie der Abbau von Sanktionen bei Sozialleistungen.

Fotos: Dettmar

Butterwegges Vortrag war der Auftakt der Veranstaltungsreihe im Rahmen der Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“, gestiftet von der Deutsche Bank. Eine Übersicht aller weiteren Termine gibt es hier »

Relevante Artikel

Öffentliche Veranstaltungen

Die Frankfurt Alliance feiert!

Jetzt schon im Terminkalender notieren: Das Science Festival Frankfurt findet am Samstag, 28. September 2024, auf dem Frankfurter Roßmarkt statt.

You cannot copy content of this page