Lange-Müller „verweigert das Erwartbare“, hatte Prof. Susanne Komfort-Hein bei der Einführung der neuen Poetikdozentin bereits angekündigt. Und in der Tat wählte die Schriftstellerin Lange-Müller („Böse Schafe“) einen eigenwilligen Einstieg in ihre Frankfurter Poetikvorlesungen, die den Titel „Das Problem als Katalysator“ tragen. „Bin ich hier falsch, vielleicht fehl am Platze?“, fragte sie keck das Publikum. Sie habe kein Abitur, dürfe während des Vortrags leider nicht rauchen und sehe sich darüber hinaus auch gar nicht als Rednerin, betonte Lange-Müller, um dann aber doch zu dozieren: über ihre literarische Sozialisation, ihre schriftstellerischen Gewährsleute und ihren Begriff von guter Literatur.
Die ausgebildete Schriftsetzerin, Absolventin des Leipziger Instituts für Literatur und Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim (1989) beschreibt, wie sie in jungen Jahren in der DDR als „Betäubungsleserin“ alles Mögliche aus der elterlichen Bibliothek verschlang, darunter Bücher mit dem wenig einladenden Titel „Diensthunde richtig führen“. Erst Melvilles „Bartleby der Schreiber “ habe sie auf eine andere Fährt gebracht:
Die Geschichte des ewigen Verweigerers, der seiner Umwelt ein „Ich möchte lieber nicht“ entgegenhält, sei ihr Freund und Alter ego geworden. Fortan sei aus der Leserin Lange-Müller auch eine potenzielle Schreiberin geworden. Dies sei keine Selbstverständlichkeit, betonte die Autorin, sei sie als Linkshänderin doch von ihren Lehrern zum ‚normalen‘ Schreiben mit rechts genötigt worden. Deswegen habe sie lange Zeit das Schreiben förmlich gehasst.
Literarische Texte sind für Lange-Müller wie Brühwürfel: Sie müssen erst noch vom Leser zu etwas anderem gemacht werden. Auch wenn sie ein großer Fan von Melvilles voluminösem Roman „Moby Dick“ ist („kein Wort zu viel“), bevorzugt sie als Gattung die schlankere Erzählung. Denn die mache „aus Elefanten eine Mücke, wobei die Mücke ebenso ein Schwergewicht bleibt“. Je weniger Wörter ein literarischer Text habe, desto wichtiger sei jedes einzelne.
Hier verweist sie auf die so genannte „Eisberg“-Theorie des für seine knappen und verdichteten Erzählungen bekannten Ernest Hemingway, nach der 7/8 einer Erzählung unsichtbar seien. Auch über das Verhältnis des Autors zu seinen fiktionalen Geschöpfen hat sich Lange-Müller einige Gedanken gemacht: Figuren seien keine Bauchrednerpuppen, die einfach Meinungen ihres Erzeugers vertreten. Vielmehr entwickelten diese ein Eigenleben.
So will Lange-Müller im kreativen Schreibprozess auch etwas Neues von ihren Figuren erfahren. Originäre Literatur, so ihre These, müsse zwingend geschrieben werden – der Autor werde förmlich von der Idee ergriffen und müsse dann kreativ werden. Wenn dagegen Journalisten oder Moderatoren aus anderen Motiven etwas zu Papier brächten, sei das keine wahre Literatur. Recht schnörkellos beendet Lange-Müller ihre erste Vorlesung, nämlich mit dem charmanten Hinweis ans Publikum: „Ich bin jetzt eine rauchen, Sie können mich aber gerne draußen ansprechen!“
Videobericht von Rhein-Main-TV
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Die nächsten Termine der Frankfurter Poetikvorlesungen im Sommer 2016:
21./28. Juni; 5./12. Juli, 18 Uhr c.t., Hörsaal 1&2, Campus Westend.
Abschlusslesung im Literaturhaus am 13. Juli.
Begleitausstellung im „Fenster zur Stadt“, Braubachstr. 18-22.
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