Rückschau: 16. Mainzer Mediengespräch

blog_mainzer-gespraech„Staatsfunk – Lügenpresse – Mainstreamfernsehen? Haben die Medien einen gesellschaftlichen Auftrag?“ Das 16. Mainzer Mediengespräch im Atrium Maximum der Universität Mainz befasste sich mit einem hochaktuellen Thema, das spätestens seit der Flüchtlingskrise und dem Erstarken von Pegida und AfD breit diskutiert wird. Moderator Prof. Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, fragte einleitend die Intendantin des MDR und Vorsitzende der ARD, Prof. Karola Wille, ob die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien darin liege, den gesellschaftlichen Mainstream abzubilden. „Eine Polarisierung, Fragmentierung und auch Radikalisierung in der Gesellschaft ist deutlich spürbar.

Die Medien haben auch deswegen den Auftrag, integrierend zu wirken, und dies verstärkt im Dialog mit den Menschen“, unterstrich Wille. Denn die digitalen Medien hätten dazu geführt, dass jeder Mensch potenziell nicht nur Empfänger, sondern auch Sender von Nachrichten sei. Dr. Paulina Starski vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg lenkte den Blick nach Polen: Das so genannte „Große Mediengesetz“ könne als Teil eines Rechtspopulismus begriffen werden; die polnische Regierung wolle eine Art von Diktatur der Mehrheit errichten. Dass über die Medien Werte in die Gesellschaft getragen werden, sei partiell aber auch in Deutschland zu beobachten, betonte Starski.

„Hat der öffentliche-rechtliche Rundfunk in Deutschland überhaupt den Auftrag einer Wertevermittlung?“, wollte Moderator Dörr vom Medienrechtler Prof. Matthias Cornils (Universität Mainz) wissen. „Ein Auftrag zur Integration ist nicht unproblematisch, wenn damit auf eine Homogenität von Meinungen abgezielt wird. Viel wichtiger wäre, dass die Medien eine Meinungsvielfalt sicherstellen“, erklärte Cornils. Prof. Otto Depenheuer vom Seminar für Staatsphilosophie und Rechtspolitik der Universität Köln pflichtete ihm bei: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe keinen Integrationsauftrag, müsse jedoch Diskussionen ergebnisoffen moderieren.

Die Gesellschaft sei historisch betrachtet seit Luther und der Reformation nicht integriert. Die Freiheit des Andersdenkenden sei ein wichtiger Wert. Depenheuer wies auf die ökonomischen Unsicherheiten seit der Finanzkrise hin; auch im Hinblick auf die Flüchtlingskrise seien viele Bürgerinnen und Bürger besorgt, jedoch habe das gesellschaftliche Establishment nicht offen und ehrlich auf die Lage reagiert. Es sei ein Fehler gewesen, sich im Wahlkampf nicht intensiver mit der AfD auseinanderzusetzen: „Der Begriff ‚Lügenpresse‘ hat da anscheinend den Nerv getroffen“, betonte Depenheuer.

Prof. Marcus Maurer vom Institut für Publizistik an der Universität Mainz betonte, dass es nicht Aufgabe von Journalisten sei, Werte zu vermitteln. Vielmehr sollten sie der Öffentlichkeit objektiv Informationen liefern, um den Menschen die Bildung einer eigenen Meinung zu ermöglichen. Maurer wies ferner darauf hin, dass der Begriff Lügenpresse keineswegs nur von Extremisten verwendet werde, sondern auch von jenen, die ansonsten recht großes Vertrauen in die Arbeit der Medien hätten.

„Wenn die öffentlich-rechtlichen Medien nicht die Vielfalt in der Gesellschaft abbilden, entsteht Misstrauen, was durch Social Media noch verstärkt wird“, ergänzte Karola Wille. Der MDR habe sich aber durchaus dem Dialog mit Andersdenkenden gestellt. So seien Pegida-Anhänger eingeladen worden, Journalisten bei der Arbeit zu begleiten. „Dadurch hat sich bei ihnen der Vorwurf der Lügenpresse relativiert“, sagte Wille. Dieter Dörr fragte in die Runde, ob es denn zutreffe, dass Journalisten die Realität beschönigten: Habe man beispielsweise nach den Übergriffen von Köln die Hintergründe der Taten verschleiert? „Das ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr schwierig, zu ergründen – man kann die Journalisten ja nicht selber fragen, ob sie Fakten zurückgehalten haben“, konzedierte Marcus Maurer.

Otto Depenheuer stellte unumwunden fest: „Ich bin heute von der Qualität der öffentlich-rechtlichen Medien nicht mehr überzeugt.“ Beim Fall des kürzlich von einer Jugendgang in Bad Godesberg erschlagenen jungen Mannes seien Informationen erst zögerlich veröffentlich worden. Matthias Cornils beklagte, dass öffentlich-rechtliche Medien früher stärker die Staatsnähe vermieden hätten. Das politische Kabarett sei mittlerweile fast komplett von Comedy verdrängt worden. „Wenn man heute kritische Positionen jenseits des Mainstreams sucht, dann wird man eher in einer Zeitung wie der FAZ fündig.“

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