Sein Betätigungs- und Forschungsfeld wird oft falsch eingeschätzt: „Die Sportpsychologie befindet sich genau auf der Schnittstelle zwischen der Grundlagenwissenschaft Psychologie und dem Anwendungskontext Sport“, sagt Chris Englert, der seit rund drei Jahren die gleichnamige Professur an der Goethe-Universität innehat. „Anders als viele meinen, kümmern wir uns bei Weitem nicht nur um Leistungs- oder gar Spitzensport. Wir wenden Theorien, Modelle, Ansätze aus der Psychologie auf ganz verschiedene Fragestellungen aus der Sportwissenschaft an“, zählt Englert auf, „da kann es genauso darum gehen, dass ich beim Vielseitigkeitsreiten im Gelände meine Angst vor den Sprüngen überwinde, wie darum, dass ich es beim Bogenschießen schaffe, mich nicht durch Alltagsgedanken aus der notwendigen Konzentration reißen zu lassen.“
Er fügt hinzu: »Wir betrachten übrigens grundsätzlich beide Wirkrichtungen: Einerseits möchten wir wissen, welchen Effekt die Psyche mit ihren verschiedenen Komponenten wie etwa Angst, Motivation, Aggression, Frustration auf die sportliche Leistung hat, und andererseits untersuchen wir, wie sich sportliche Teilhabe auf die psychische Verfassung und Entwicklung der Aktiven auswirkt.“
Insbesondere interessieren er und sein Team sich für die Interaktion zwischen Trainer und Athlet, sagt Englert und erläutert, dass er herausfinden wolle, auf welche Weise Trainer*innen idealerweise mit ihren Schützlingen kommunizierten. „Zwischen diesen beiden entsteht dann eine Atmosphäre der gegenseitigen Wertschätzung, in der die Athletinnen und Athleten ihre Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen können und in den Teams zu echten Gemeinschaften zusammenwachsen.“
Gegen den inneren Schweinehund
Wenn Englert von Leistung spricht, dann geht es ihm allerdings nicht automatisch darum, dass Sportlerinnen und Sportler im lokalen, regionalen, nationalen Wettkampf ihre Spitzenleistungen vergleichen. Tatsächlich widmen er und seine Arbeitsgruppe sich – abhängig von der jeweiligen Fragestellung – nicht nur dem Leistungs-, sondern ebenso dem Breiten- sowie dem Gesundheits- und Rehasport. So zum Beispiel, wenn Englert der Frage nachgeht, wie Menschen dabei unterstützt werden können, dauerhaft einen körperlich aktiven Lebensstil zu entwickeln. „Im Klartext bedeutet das, ich erforsche, wie Menschen es öfter und leichter schaffen, ihren inneren Schweinehund zu überwinden“, erläutert Englert.
„Hier geht es mir natürlich weniger um den Leistungssport“, fügt er hinzu; wer diesen betreibe, habe im Allgemeinen kein Problem damit, sich zum Training aufzuraffen. Stattdessen arbeitet Englert für seine Forschung zur körperlichen Aktivität mit verschiedenen Rehazentren und Breitensport-Vereinen zusammen. Er profitiert davon, dass gerade solche Sport-Anbieter erfahren wollen, wie sie bei Mitgliedern, Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten das Bedürfnis nach körperlicher Aktivität fördern und die individuelle Leistungsfähigkeit steigern können.
„Wer gegen seinen inneren Schweinehund ankämpft, will das eigene Verhalten regulieren“, stellt Englert fest und erläutert, inwiefern sein Forschungsinteresse auch anderen Aspekten des Phänomens „Selbstregulation« gilt: Er untersuche beispielsweise, wie der Organismus von Testpersonen, die mental ermüdet wurden, auf körperliche Belastung reagiert, und ob diese Testpersonen eine anstrengende Aufgabe auf dem Fahrrad-Ergometer genauso gut bewältigen können wie in geistig ausgeruhtem Zustand. Oder Englert beobachtet Bundesliga-Fußballer, die ihre Reaktionen extrem schnell und genau regulieren müssen, wenn sie mithilfe eines Geräts namens „Footbonaut“ trainieren, Bälle aus wechselnden Richtungen anzunehmen und in diejenige Richtung weiterzuspielen, die ihnen gerade durch ein Licht vorgegeben wird (oder aber beispielsweise in die genaue Gegenrichtung).
Erfahrung im Spitzensport
Englert kennt den Spitzensport sowohl als Forschungsgegenstand als auch aus eigener Erfahrung: Von in seiner Heimatstadt Darmstadt stationierten US-amerikanischen Soldaten lernte er die (in Deutschland exotische) Sportart Baseball kennen und übte sie in seiner Jugend so begeistert und erfolgreich aus, dass er vier Jahre lang den Nachwuchs-Nationalmannschaften angehörte, bevor er sich durch Trainertätigkeiten sowohl sein Psychologie-Studium als auch teilweise die nachfolgende Promotion finanzierte.
Seit 2021 ist er Leiter des Arbeitsbereichs Sportpsychologie am Fachbereich 05 der Goethe-Universität und vertritt dort sein Fach in Forschung und Lehre. Insbesondere Letztere liegt ihm am Herzen, weil er dem akademischen Nachwuchs nicht nur Fakten aus der Sportpsychologie beibringen, sondern auch die Normen und Werte guter wissenschaftlicher Praxis vermitteln möchte: „Wie sie akademisches Fehlverhalten vermeiden, damit sollten sich die Studierenden schon zu Beginn ihrer Uni-Laufbahn und während des gesamten Studiums auseinandersetzen – nicht erst, wenn sie kurz vor ihrer Promotion stehen“, betont Englert.
Als Baseball-Trainer ist er immer noch tätig: Indem er die Jugend der „Frankfurt Eagles“ trainiert, gibt er seine eigene Baseball-Begeisterung an die nächste Generation weiter, und zwar nicht nur an die Kids im Verein: Sein älterer Sohn spielt mit seinen sechs Jahren schon seit zwei Jahren regelmäßig Baseball, und dessen jüngerer Bruder ist erst drei Jahre alt, hat aber schon seine ersten Baseball-Trainings absolviert.
Stefanie Hense