Ein Trainingsraum für angehende Apotheker*innen

Bei Übungen in der Trainingsapotheke und mit dem Onlinetool „MyDispense“ können Pharmazie-Studierende ihre Beratungs- und Fachkompetenz testen und erweitern.

Studentin vor dem Online-Tool "MyDispense" © Peter Kiefer
© Peter Kiefer

In einem Seitengang des Gebäudes N260 auf dem Campus Riedberg, im Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie, verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Holztür eine Trainingsapotheke, die noch nie eine Patientin oder ein Patient betreten hat. Der Raum ist zwar klein, aber es ist alles da: Tablettenpackungen, braune Flaschen und eine Rezepturwaage, das deutsche Apothekenschild mit rotem A und weißer Äskulapnatter, übergroße Pappschachteln, die für medizinische Shampoos werben, ein Verkaufstisch mit Apothekenkassensystem, ein Rezeptscanner, ein Zahlteller. Und hinter dem Tisch stehen natürlich eine freundliche Dame oder ein freundlicher Herr in weißem Kittel, die fragen: „Was kann ich für Sie tun?“ Dass sich trotzdem hierher nie echte Patientinnen oder Patienten mit Rezepten verirren, liegt nicht an der versteckten Lage des Raums: Er dient ausschließlich zu Trainingszwecken für Pharmazie-Studierende, die hier Beratungen üben, wie sie täglich hundertfach in jeder Apotheke stattfinden.

Heute steht in einer solchen Übung Jonah Tutsch hinter dem Tisch. Er studiert im achten Semester Pharmazie und steht kurz vor dem zweiten Staatsexamen. In die Rolle der Patientin ist die approbierte Apothekerin Catarina Santos Carvalho geschlüpft. „Hallo. Ich habe hier ein Rezept. Und außerdem tut’s mir im Mund weh. Können Sie mir was dagegen geben?“, sagt sie und legt ein Rezept für ein Inhalationspulver gegen Asthma auf den Tisch. Jonah Tutsch fragt nach, seit wann die Schmerzen auftreten, wie sie sich äußern, ob die Patientin das Medikament schon länger nimmt. Nein, bei der Ärztin war sie nicht, sagt Santos Carvalho, dort hat sie nur das Rezept abgeholt, und wie sie den Pulver-Inhalator nutzen muss, weiß sie auch nicht so richtig. Jonah Tutsch ist nun gefordert, er vermutet eine Pilzinfektion im Mund, die als Nebenwirkung des inhalierten Pulvers auftreten kann und gibt Santos Carvalho ein rezeptfreies Gel mit („Bitte wenden Sie es viermal täglich im Mund an.“). Außerdem empfiehlt er einen weiteren Besuch bei der Ärztin, und er zeigt der „Patientin“, wie sie den Inhalator richtig bedienen muss: „Vollständig ausatmen, Mundstück ganz umschließen, tief einatmen, kurz Luft anhalten, laaaangsam ausatmen.“

Spiel mit Nachbesprechung

Das Beratungsgespräch in der Trainingsapotheke. © Peter Kiefer
Das Beratungsgespräch in der Trainingsapotheke. © Peter Kiefer

Kritisch beobachtet wird das Gespräch von Johanna Saumer und Rekia Sinderwald, beides Doktorandinnen im Arbeitskreis Oppermann am Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie. Sie haben bereits ihre Approbation als Apothekerin erhalten, arbeiten neben ihrer Promotion in der Klinischen Pharmazie in öffentlichen Apotheken und kennen die Herausforderungen von Beratungsgesprächen. Unter der Anleitung von Dr. Sina Oppermann, Professorin für Klinische Pharmazie, hat Saumer die Trainingsapotheke eingerichtet und sich um die Installation des Kassensystems gekümmert. „Das war schon sehr gut“, meint Sinderwald zu Tutsch. „Du hast vollkommen richtig auf die Pilzinfektion getippt, die Dosierungsanleitung hast Du gegeben und Deine Demo mit dem Inhalator war prima. Du hättest allerdings noch fragen können, ob die Patientin vielleicht weitere Medikamente wie zum Beispiel einen Betablocker einnimmt, weil die ja die Wirkung des inhalierten Wirkstoffs reduzieren.“ Und Saumer ergänzt: „Du, Catarina, hättest noch erwähnen können, dass Du laktoseintolerant bist.“ Letzteres stand so nämlich in den Briefings, die Saumer für die Übung geschrieben hat. Dort schildert sie den Arbeitsauftrag an den Apotheker („Finden Sie im Laufe des Beratungsgespräches mit gezielten Fragen Folgendes heraus …“) und die Anweisungen an die Patientin („Eigenschaften: peinlich berührt und deshalb sehr zögerlich und zurückhaltend; gibt Infos erst auf Nachfrage“).

Dann ist die Nächste an der Reihe, die vor der Tür gewartet hat: Xenia Reznitski, Pharmaziestudentin im achten Semester, wird zur Apothekerin, und Paul Herkert, der das Studium bereits beendet hat und sein Praktisches Jahr im Arbeitskreis Oppermann absolviert, spielt den Patienten. „Du hast gute Fragen gestellt“, meint Saumer anschließend, „und Dein Hinweis auf die Website der Atemwegsliga war super.“ Auch Herkert, der einen sehr schwierigen Patienten gegeben hat, grinst: „Ich habe mich von Dir gut beraten gefühlt.“

In der Nachbesprechung sind sich die Studierenden einig, dass ihnen eine solche Trainingsapotheke viel helfen kann. „Im Studium macht man sonst dazu nichts“, meint Tutsch. Auch die Tätigkeiten während der achtwöchigen Famulatur, einem Praktikum, das im Grundstudium zum Teil in einer öffentlichen Apotheke absolviert werden muss, beschränken sich dort meist auf das Backoffice. Hier geht es um Warenwirtschaft oder Rezeptur. Beratungsgespräche dürfen die angehenden Pharmazeuten erst im Praktischen Jahr nach dem zweiten Staatsexamen und nur im Beisein eines Apothekers oder einer Apothekerin führen. Vorher ist das nicht erlaubt, auch nicht, wenn die Studierenden in einer Apotheke jobben.

Komplexes Wissen in realitätsnahen Situationen

Johanna Saumer, Prof. Dr. Sina Oppermann, Rekia Sinderwald © Peter Kiefer
Johanna Saumer, Prof. Dr. Sina Oppermann, Rekia Sinderwald © Peter Kiefer

Johanna Saumer erklärt: „Rekia und ich haben selbst an der Goethe-Universität Pharmazie studiert. Wir hätten uns eine stärker praxisorientierte Lehre gewünscht, insbesondere für die Vorbereitung auf das Praktische Jahr. Da steht man oft vom ersten Tag an vor echten Patientinnen und Patienten, das kann schnell überfordern.“ Rekia Sinderwald fügt hinzu: „Mit solchen Trainings wollen wir den Studierenden die Möglichkeit geben, mehr Übung und dadurch Sicherheit zu bekommen im Umgang und der Beratung von Patientinnen und Patienten.“ „In der Trainingsapotheke sollen die Studierenden lernen, wie sie ihr komplexes Wissen in realitätsnahen Situationen anwenden können. Studierenden fällt es zum Beispiel häufig schwer, Verbindungen zwischen verschiedenen Indikationsgebieten herzustellen“, erklärt Prof. Sina Oppermann. „Sie lernen zum Beispiel in den Vorlesungen und Seminaren etwas zum Thema Diabetesmedikamente, dann im nächsten Seminar etwas über Wirkstoffe gegen Herzerkrankungen, und bisher wird das Wissen auch Thema für Thema abgeprüft. Im Beratungsgespräch steht dann aber ein Patient, der nimmt fünf Medikamente gleichzeitig, zum Beispiel gegen Bluthochdruck, Asthma, Diabetes, und er geht zu Hausärztin, Lungenarzt und Diabetologin. Da kommt schnell ein kompliziertes Behandlungsschema zusammen, und es wird schwierig für den Patienten, im Blick zu halten, welches Mittel er wann nehmen muss. Außerdem kann es gefährlich werden – nämlich dann, wenn schwerwiegende Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Medikamenten nicht erkannt werden.“

Daher müssten Beratungsgespräche gut trainiert werden, sagt Oppermann, denn Apothekerinnen oder Apotheker müssten die möglichen Wechselwirkungen aller verordneten Medikamente abklopfen, auch solche mit nicht rezeptpflichtigen Medikamenten sowie mit Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln. Gegebenenfalls müsse auch telefonische Rücksprache mit Ärztin oder Arzt gehalten werden, erläutert sie, solch ein Szenario werde in der Trainingsapotheke ebenfalls geübt. Künftig könnten sogar Schauspieler*innen zum Zuge kommen, die Ärztin oder Patient mimen, um die Szenarien noch realitätsnäher zu gestalten. Als Vorbereitung für das Berufsleben sei das bitter nötig, so die Pharmazie-Professorin, denn jedes Jahr stürben bis zu 25 000 Menschen an den Folgen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, wie auch Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten.

Virtuelle Apotheke

Um die Studierenden auf die organisatorisch aufwendigeren Beratungsgespräche in der Trainingsapotheke vorzubereiten, arbeitet Oppermann zusammen mit Sinderwald an der Etablierung eines Onlinetools, das künftig ebenfalls in den Pharmazie-Lehrplan integriert werden soll. Bei dem System MyDispense kommt ein Patienten-Avatar in eine virtuelle Apotheke, das Gespräch wird über Sprechblasen geführt, und anschließend gibt das Programm dem Studierenden Rückmeldung zu seinen Entscheidungen und Kompetenzen. MyDispense greift auf verschiedene Datenbanken zurück und kann so Patienten-Avatare vom Kind bis zum alten, multimorbiden Menschen generieren. Sinderwald erläutert: „Mit MyDispense können die Studierenden komplexe Gespräche durchspielen, zum Beispiel die Betreuung einer schwangeren Patientin. Anders als in der Trainingsapotheke kann man auch mal in Ruhe nachdenken oder einen Fall beliebig oft wiederholen, bis das Thema wirklich sitzt. Das ist weniger stressig, denn man muss sich nicht gleichzeitig sein Fachwissen abrufen und auf eine Patientin oder einen Patienten einstellen, sondern kann sich zunächst strukturiert Gedanken machen und dann seine Antworten an die virtuellen Patienten im System eintippen.“

MyDispense stammt ursprünglich von der Monash University in Australien, wurde an der Universität Greifswald übersetzt und an das deutsche Arzneimittelgesetz angepasst. Durch die Kooperation mit der Universität Greifswald war es Oppermann möglich, eine deutsche Instanz des Tools auch für die Goethe-Universität zu erhalten. Die muss nun für die an das Frankfurter Curriculum adaptiert werden. Denn für die Lehre im Pharmaziestudium gibt es zwar die deutsche Approbationsordnung für Apotheker, die den Ausbildungsrahmen vorgibt, also die Stunden und die Themen der einzelnen Lehrveranstaltung. Doch leider gibt es bisher keinen einheitlichen Lehrplan in Deutschland, bedauert Oppermann. „Die Einrichtung der Trainingsapotheke war schon bis zum jetzigen Zeitpunkt sehr aufwendig und auch nicht günstig. Wir sind sehr froh, dass wir dieses Projekt mit Unterstützung von dafür eingeworbenen Projektmitteln, die jährlich von der Goethe-Universität im Zuge der Qualitätssicherung Lehre für Innovative Lehrprojekte ausgeschrieben werden, bis hierher realisieren konnten“, sagt Oppermann. „Im kommenden Wintersemester 2025/26 werden wir damit beginnen, die Trainingsapotheke ins Studium zu integrieren.“

Zusammen mit der noch ausstehenden Etablierung von MyDispense wird das nochmal ein Kraftakt. Denn die Vorbereitung der Fälle sowie das Einpflegen von Übungen in MyDispense ist zeitaufwendig. Oppermann: „Über die Aufbauarbeit meiner Doktorandinnen hinaus ist weiteres Personal essenziell, denn mal eben so – neben den Forschungsprojekten – lässt sich ein solches Projekt kaum realisieren. Daher sollen studentische Hilfskräfte und Pharmazeutinnen und Pharmazeuten im praktischen Jahr bei diesen Projekten langfristig unterstützen.“ Damit die Projekte den größtmöglichen Nutzen erbringen, setzt die Pharmazieprofessorin auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Universitäten, die Trainingsapotheke oder MyDispense bereits für die Lehre im Pharmaziestudium nutzen. Neben Greifswald sind das zum Beispiel die Universitäten Bonn, Düsseldorf, Halle, Heidelberg, Mainz und München. Gleichzeitig soll durch die Zusammenarbeit die Lehre im Fach klinischer Pharmazie standortübergreifend harmonisiert werden.

„In unserer Trainingsapotheke und später hoffentlich auch mit MyDispense werden die Studierenden mit all dem konfrontiert, was schwierig ist und bei der Medikamentenabgabe schiefgehen kann“, sagt Oppermann. „Klar, solche Trainings bedeuten natürlich einen gewissen Stress für die Studierenden. Aber wir sind uns alle einig: Die universitäre Ausbildung der Pharmazie-Studierenden gewinnt dadurch enorm an Qualität, und der Standort Frankfurt wird attraktiver für junge Menschen, die Pharmazie studieren wollen.“

Weitere Informationen:
Über Sina Oppermann in »Goethe, Deine Forscher«

Literatur: Frank Dörje et al:
Patientenorientierte Lehrformate in der Klinischen Pharmazie – zum Status quo in der deutschen universitären Apothekerausbildung.

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