Gemüsegarten, grüne Oase, Forschungsstätte und Bildungsort: Die neuen Campusgärten der Goethe-Universität sollen weit mehr bieten als das Ernten von Obst und Gemüse. Dazu haben sich Studierende mit der Initiative Goethe’s Green Office, dem Wissenschaftsgarten der Universität, dem AStA sowie dem Arbeitskreis „PermaKulturInseln“ der GemüseheldInnen und des Ernährungsrats Frankfurt zusammengetan.
Abends nach der Arbeit auf dem Campus Westend einen Salatkopf pflücken? Dazu Erdbeeren, Kartoffeln und Kürbisse ernten und Kräuter zupfen? Gemeinsam mit anderen Städterinnen und Städtern Unkraut jäten, sich an Wasserstellen, Wildblumen und Gemüsebeeten erfreuen? Was vollkommen märchenhaft klingt, wird mit der Zusage der Universität zu PermaKulturInseln auf dem Campus bald schon Wirklichkeit werden.
„Als Biologe freue ich mich natürlich ganz besonders über die Initiative unserer Studentinnen und Studenten und habe sie auch nachdrücklich unterstützt“, begrüßt Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität, das Projekt. „Die Permakulturgärten bieten ja nicht nur lokal ganz konkrete Lösungen für globale Umweltprobleme und helfen uns dabei, dazu weiter zu forschen. Sie zeigen außerdem aufs Schönste, wie Universität und Stadt miteinander verbunden sind: durch junge Menschen mit kreativen Ideen und der Entschlossenheit, diese Ideen vor Ort, inmitten der Stadt, inmitten der Universität, umzusetzen.“
Erste Schritte auf dem Weg zu den PermaKulturInseln sind die Studierenden mit den GemüseheldInnen und dem Ernährungsrat, beide getragen vom Verein BIONALES e.V. – Bürger für regionale Landwirtschaft und Ernährung, schon gegangen: Für die verwilderten Campusflächen wurden Konzepte erdacht, Beete angelegt, Samen in die Erde gebracht und Jungpflanzen angezogen – dass der biozertifizierte Kohlrabi „Enrico“ mit seinem Namen eine lockere Verbindung zum Unipräsidenten herstellt, ist durchaus beabsichtigt. Unterstützt wurden die Studierenden von Robert Anton, dem Leiter des Wissenschaftsgartens und universitärer Ansprechpartner für die Campusgärten. „Mit seiner Hilfe konnten die Flächen noch rechtzeitig vor dem Vogelschutz vorbereitet werden“, freut sich Campusgärtner Silas Büse. „Jetzt sind wir unglaublich glücklich, zur Tat schreiten zu können. Bei vielen Studierenden kommt das Projekt bereits sehr gut an.“
800 Quadratmeter auf dem Riedberg und 2.000 Quadratmeter auf dem Campus Westend hat die Universität derzeit für Permakultur bereitgestellt. Will heißen: für hochproduktive essbare Ökosysteme, die dauerhaft funktionieren. Um das zu erreichen, werden traditionelle Methoden mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft. Oder in den Worten von Juliane Ranck und Laura Setzer, den Gründerinnen der „GemüseheldInnen“: „In der Permakultur wird jedes Element so platziert, dass es sich optimal entfalten kann.“ Dies gilt für alle am System Teilhabenden: Pflanze, Tier, Mensch und ihre Umgebung.
Vielfalt zählt: Für die Campusgärten bedeutet dies, „dass bestehende Habitate um geeignete Elemente ergänzt werden – wie Obstbäume, Wildobststräucher, Totholzhecken, Kompost, Gemüsebeete oder Feuchtbiotope“, erklärt Moritz Schmitthenner vom Goethe‘s Green Office, Student der Politikwissenschaft und Soziologie. „So stehen beispielweise Sumpfdotterblumen unter schattenspendenden Obstbäumen neben mediterranem Gemüse und duftenden Kräuterspiralen.“ Maximale Artenvielfalt auf minimaler Fläche könne zudem bis zu zehnmal produktiver sein als konventioneller Ökolandbau, wissen die Campusgärtnerinnen und –gärtner. Und: „Allein die Ästhetik dieses biodiversen Naturschauspiels hat einen besonderen Wert und kann dem Wohlbefinden des Menschen unglaublich guttun. Das bringt wiederum auch einen ökonomischen und gesellschaftlichen Wert mit sich“, sagt Silas Büse.
Überhaupt ist das Team mit inzwischen mehr als 40 Mitgliedern rundum bestens ausgebildet: Viele „Gemüseheldinnen“ haben internationale Kurse über Permakultur und Market Gardening besucht und absolvieren derzeit das Basisjahr der dreijährigen Ausbildung zur Permakultur-Designerin; dass im Garten statt Umgraben umfangreiches Mulchen angesagt ist, gehört inzwischen zu ihren Grundkenntnissen. Andere Campusgärtner*innen bringen Wissen aus naturwissenschaftlichen Studiengängen ein. „In unserem Studium lernen wir, was z.B. in der Landwirtschaft falsch läuft und wie sie unsere Erde nachhaltig beeinträchtigt“, sagt Umweltwissenschaftler Silas Büse. Städtische PermaKulturInseln bedeuten deshalb auch, Auswege aus dem „Falschen“ zu suchen und konstruktive Lösungen aufzuzeigen. Es versteht sich bei dem universitären Projekt von selbst, dass es wissenschaftlich begleitet wird – aktuell z.B. durch umweltanalytische Bodenbeprobung der Bodenbeschaffenheit und der chemischen Belastung. Alle Schritte in der Gartenentwicklung werden akribisch dokumentiert, damit das Projekt Schule machen kann. „Wir wollen, dass unsere essbaren Inseln in Frankfurt zu einem Modellprojekt werden, das anderen Städten und Universitäten als Vorbild dient“, sagen die Campusgärtner*innen.
Was auf dem Campus geschieht, soll in die Stadt hineinwirken. Und dies geht das Team methodisch an. Von der Miquelallee in Richtung Campus Westend wird bald ein mehrere Meter breiter Banner zu lesen sein: „Stadtgemüse: Frankfurter Studierende bauen an“. Anwohnerinnen und Anwohner des Riedbergs haben bei der vor ihren Häusern wachsenden Gartenanlage bereits ihre Mitarbeit angeboten, ein Kindergarten in der Nähe des Campusgartens Westend hat Interesse an regelmäßigen Besuchen bekundet. Aktive Neugierde ist ganz im Sinne der Campusgärtner*innen, die ohnehin „Bildungstransfer“ auf ihrer Agenda stehen haben. In den Campusgärten sollen Kurse für alle Lebensalter angeboten werden. Jeder kann mitmachen und ernten. Dabei ist Inklusion mitgedacht, wenn etwa Hochbeete für Menschen im Rollstuhl angelegt werden sollen. Das Miniaturmodell einer PermaKulturInsel macht das Projekt in Kürze bei der Ausstellung „Gärtnern Jetzt“ im Historischen Museum bekannt. Und am 24. Juni wird das Buch von Laura Setzer und Juliane Ranck veröffentlicht: „Urban Farming. Gemüse anbauen, gemeinschaftlich gärtnern, Ernährungssouveränität schaffen“. So viel Aufbruch war selten.
Auch die Finanzierung ist bedacht. Der Ernährungsrat Frankfurt unterstützt das Projekt bereits, ein Antrag auf weitere Förderung beim Land Hessen ist gestellt. Um die Kosten möglichst gering zu halten, gehen die Campusgärtner*innen ganz im Sinne der Permakultur vom Naheliegenden aus: Was ist schon vorhanden? Was können wir nutzen? Wo gibt es „Abfall“, der in einen Kreislauf eingebracht werden kann? Das städtische Entsorgungsunternehmen (FES) versorgt die PermaKulturInsel auf dem Campus Westend mit hochwertiger Komposterde und Holzhäckseln, die Insel auf dem Riedberg profitiert vom Grünschnitt des Wissenschaftsgartens. „Wir brauchen allerdings noch eine Menge Beerensträucher“, sagt Campusgärtner und Philosophiestudent Emil Unkrig. „Über Sachspenden würden wir uns sehr freuen!“
Vom Kohlrabi „Enrico“ bis zum Klimawandel – neben der Arbeit mit Erde und Spaten geht es bei den PermaKulturInseln um das große Ganze: „Wir wollen eine positive Vision verwirklichen“, sagt Juliane Ranck. Die ersten Schritte auf dem Weg dorthin beginnen hier und jetzt. An Ort und Stelle. In Frankfurt. Auf den beiden Campi.
Die Schönheit des Urban Farming der englischen Kleinstadt Todmorden habe zu einem regelrechten Gemüsetourismus geführt, erzählen die Campusgärtner*innen im Onlinegespräch. Am Wochenende wandelten dort Familien zwischen den Gemüsebeeten und ernteten. Frankfurt als Modellprojekt, als Deutschlands schönste Gemüsestadt? Die Campusgärtner*innen hätten gegen diese Vorstellung nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie legen es geradezu darauf an.
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