Nachfahren des bedeutenden Arbeitsrechtlers besuchen den Campus Westend
Im Gedächtnis der Universität hat Hugo Sinzheimer wieder einen festen Platz, seit im vergangenen Jahr eine Biografie über den Architekten des kollektiven Arbeitsrechts und Verfassungspolitiker in der Reihe „Gründer, Gönner und Gelehrte“ erschienen ist. Ende Oktober wurden nun für Hugo Sinzheimer, seine Frau Paula und die vier Kinder sechs Stolpersteine im Nordend verlegt – vor dem Haus in der Voelckerstraße 11, aus dem die jüdische Familie 1933 in die Niederlande fliehen musste.
Aus diesem Anlass waren zwölf Nachfahren der Familie aus Holland und den USA nach Frankfurt gekommen und besuchten auch den Campus Westend und das Hugo-Sinzheimer-Institut. Es war ein sehr bewegender Moment für die Angehörigen – unter ihnen auch drei Enkel von Hugo Sinzheimer, die die Konzentrationslager in Bergen-Belsen und Theresienstadt überlebt hatten –, als sich die Anwesenden Hand in Hand um die zuvor verlegten Steine gruppierten und u. a. diese Worte des Rabbiners Andrew Steiman verlesen wurden: „Durch das Gedenken sollen diejenigen wieder dazugehören, die einst von hier gewaltsam verjagt wurden.“
Flucht in die Niederlande
Das Schicksal der Verfolgung durch das Nazi-Regime ereilte Anwalt Hugo Sinzheimer, der ab 1919 als „ordentlicher Honorarprofessor“ die erste Professur für Arbeitsrecht in Deutschland innehatte und maßgeblich an der Weimarer Verfassung mitgewirkt hatte, als Jude und Sozialdemokrat. So wurde er auch bald nach der sogenannten Machtergreifung am 23. März 1933 in „Schutzhaft“ genommen und saß bis Ende März im Gefängnis.
Einer zweiten, sich abzeichnenden Verhaftung entging er durch die Flucht in die Niederlande, die Familie folgte im Sommer. Seine Frau kehrte noch einmal nach Frankfurt zurück, um das Wohnhaus in der Voelckerstraße verlustreich zu verkaufen. Von dem niedrigen Verkaufserlös musste die Familie noch fast 10.000 Reichsmark „Reichsfluchtsteuer“ zahlen. Sinzheimer erhielt an der Universität Amsterdam einen außerordentlichen Lehrstuhl für Rechtssoziologie, ab 1936 lehrte er auch an der Universität Leiden.
Als Carl Schmitt im Oktober 1936 die Tagung des NS-Rechtswahrer-Bundes über „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ initiierte, reagierte Sinzheimer scharf und schnell – dazu der Rechtshistoriker Prof. Michael Stolleis, der die Nachfahren Sinzheimers auf dem Campus Westend begrüßte: „Sinzheimer veröffentlichte 1938 in Amsterdam Biografien herausragender jüdischer Rechtsgelehrter. Sein Buch ‚Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft‘ ist ein unvergessenes Dokument der Standhaftigkeit und Menschenwürde. Es wurde 1953 in Frankfurt mit einem Geleitwort von Franz Böhm neu aufgelegt.“
Familie wird deportiert
Im Mai 1940 marschierte die Wehrmacht in Holland ein, und es begann auch dort die Verfolgung der Juden. Im Frühsommer 1941 wurde Hugo Sinzheimer verhaftet und im grenznahen Kleve inhaftiert, seiner Frau Paula gelang es unter Einsatz vielfältiger Kontakte, seine Freilassung Ende August 1941 zu erwirken. Anschließend tauchte die Familie unter, verschiedene niederländische Familien konnten sie zunächst vor der Deportation in Konzentrationslager bewahren.
Allerdings entgingen die Tochter Gertrud und ihre beiden Kinder Gabriele und Frank sowie die Tochter Eva, ihr Mann und ihre beiden Kinder Lex und Acci dem Transport in die Konzentrationslager nicht. Sie alle überlebten knapp: Denn Gertrud und die Kinder kamen in Bergen-Belsen in das „Sternlager“ – in diesem sogenannten „Aufenthaltslager“ für „Austauschjuden“ wurden die jüdischen Häftlinge interniert, die gegen deutsche Zivilinternierte im Ausland ausgetauscht werden sollten.
Eva und Familie gehörte zu dem kleinen Kontingent von Inhaftierten in Theresienstadt, das im Rahmen der „Himmler-Musy- Vereinbarung“ (Menschen gegen Devisen, Fahrzeuge und Waffen) im Februar 1945 dem Internationalen Roten Kreuz in der Schweiz übergeben wurde. Hugo Sinzheimer erlebte die Befreiung der Niederlande zwar noch, doch hatten ihn die Jahre im Exil, im Versteck und die Sorge um seine Familie sehr geschwächt. Er starb am 16. September 1945 im Alter von 70 Jahren – einen Tag vor seiner Abschiedsvorlesung an der Amsterdamer Universität.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »