Serie Seniorprofessuren / Prof. Lothar Brock im Interview

Wer sind eigentlich die knapp 30 Seniorprofessorinnen und –professoren an der Goethe-Universität, die sich auch nach ihrer Pensionierung noch in der Lehre engagieren? In einer mehrteiligen Serie werden sie hier vorgestellt. 

Um die Betreuungsrelationen zu verbessern und ein zusätzliches hochqualifiziertes Lehrangebot anbieten zu können, besteht seit Ende 2009 an der Goethe-Universität die Möglichkeit, Seniorprofessuren einzurichten. Pensionierte oder emeritierte Professorinnen und Professoren der Goethe-Universität oder anderer Universitäten mit ausgewiesener Lehrkompetenz kommen für eine Seniorprofessur infrage und können somit auch nach ihrer Pensionierung weiterhin in der Lehre tätig sein. Das Lehrdeputat liegt zwischen vier und acht Semesterwochenstunden und schließt die Verpflichtung zu prüfen ein.

Teil 14 – Prof. Lothar Brock

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Prof. Lothar Brock (79) ist seit 2004 Seniorprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität. Sein Lehrdeputat beträgt zwei Semesterwochenstunden. Foto: HSFK

 

 

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Herr Prof. Brock, wie kam es zu der Entscheidung für eine Karriere als Hochschullehrer und die anschließende Seniorprofessur? Was war Ihre Motivation, sich für weitere Lehrjahre zu entschieden, statt ihre freie Zeit zu genießen?

Als ich vor vielen Jahren Austauschschüler in den USA war (es war in der zweiten Amtszeit Eisenhowers, den meine amerikanische Gastmutter, eine stramme Demokratin, als Marionette der Sowjets geißelte) – damals also wurde ich zu vielen Organisationen eingeladen, um über Deutschland zu berichten. Ich hatte zuvor in einem norwegischen Lager für europäische Flüchtlingskinder den Weg zurück in ein normales Nachkriegsleben gefunden und war von dem Gedanken der Völkerverständigung durchdrungen.

Das hat meinen frühen Reden im ländlichen Pennsylvania offenbar etwas Leidenschaftliches gegeben; jedenfalls meinte ein Veranstalter nach meinem Auftritt, ich würde später sicherlich ein wortstarker Pastor werden. In späteren Jahren (ich war noch auf der Suche nach einem mich erfüllenden Beruf) wurde ich in einer mexikanischen Kneipe mit dem damals weltbekannten spanischen Stierkämpfer El Cordobés verwechselt, was mich nach der Enttarnung eine Runde Tequila kostete. Noch später (aber immer noch früh im Leben) wurde ich als Karikaturist oder Kurzgeschichtenschreiber angesprochen.

Das ergab insgesamt eine krause Mischung von Lebensperspektiven. Von allem ist etwas hängen geblieben: das Reden (vor, nicht von der Kanzel), eine gewisse Beweglichkeit (wenn auch nicht im Kampf auf Leben und Tod, so doch im Meinungsstreit), das Zeichnen (von Tafelbildern) und die Neigung sich schriftstellerisch zu betätigen. Das alles hat mich in die Universität gebracht und dort so gepackt, dass ich bis heute nicht davon losgekommen bin. Und darum bin ich – fünfzehn Jahre nach der Pensionierung immer noch in der Lehre und Textproduktion engagiert.

Gab es Situationen, in denen Sie Ihre Entscheidung bereut haben?

Ich habe mich natürlich oft gefragt, ob ich auf meine späten Jahre nicht doch mal versuchen sollte, in anderer Form gesellschaftlich nützlich zu sein, als immer nur Seminare zu veranstalten, Arbeiten zu betreuen und Papiere zu schreiben, die zweifellos nicht die Aufmerksamkeit erregen, die sie aus meiner Sicht verdient hätten. Aber zum einen gibt es in Forschung und Lehre eigentlich keine Wiederholung des ewig Gleichen: Im Umgang mit den Kollegen und mit den Studierenden bleibt beides spannend. Und zweitens werde ich – wenn dann doch mal der Hang zu etwas ganz Anderem größer wird – in meiner Entscheidungsfindung immer wieder von der sich beschleunigenden Zeit überholt.

Büro vs. Homeoffice, Gehalt vs. Rente, junge Kollegen vs. Senioren – wie haben sich die Rahmenbedingungen für Sie verändert?

Die Rahmenbedingungen meiner Arbeit haben sich mit der Pensionierung insofern dramatisch verbessert als ich jetzt nur jeweils eine Lehrveranstaltung je Semester durchführe und nicht mehr vier. Für die Durchführung der Lehrveranstaltung, die Betreuung und Prüfung der Studierenden steht mir ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz im Zimmer der Emeritierten und Pensionierten zur Verfügung. Den Platz nehme ich jeweils an einem Tag in der Woche in Anspruch (wenn die anderen nicht da sind). Ich bin damit physisch am Fachbereich präsent, allerdings nur noch als Angehöriger, aber nicht mehr als Mitglied des Fachbereichs. Das kann ärgerliche (und zuweilen auch als kränkend empfundene) Konsequenzen bei Promotionen haben. Andererseits habe ich den Eindruck, dass unsere Universität den in den „Ruhestand“ Gehenden bessere Arbeitsmöglichkeiten bietet als Universitäten im europäischen Ausland das tun. Außerdem verfüge ich als assoziierter Forscher noch über ein Arbeitszimmer im Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

Wenn Sie an Ihre allererste Vorlesung als Dozent zurückdenken und sie mit heute vergleichen: Was hat sich für Sie grundlegend in Ihrer Lehrtätigkeit auch hinsichtlich der Studierendenschaft gewandelt?

Dass Lehre und Forschung stets ein spannendes Unterfangen bleiben, heißt zugleich, dass die Universität sich in einem ständigen Veränderungsprozess befindet. Die Studierenden von heute leben in einer anderen Welt als die der 1970er Jahre. Und die Lehrenden tun das auch. Was sich dabei auf Seiten der Studierenden besonders geändert hat, ist die Form ihres Engagements. Noch in den Auseinandersetzungen der 1970er Jahre konnte es einem passieren, dass man sich im Seminar bei hitzigen Debatten plötzlich in einer auch physisch bedrohlichen Lage sah. Die heutigen Studierenden nehmen sich viel stärker zurück. Auch stehen sie mehr als ihre Vorgängerschaft unter dem Druck, ein vorgegebenes Pensum abzuarbeiten. Andererseits bieten die Arbeitszusammenhänge, die durch die Einwerbung größerer Forschungsprojekte geschaffen werden, einer Reihe von Studierenden neue Chancen, sich selbst weit über das „Pensum“ hinaus zu qualifizieren. Insofern ist trotz zurückgefahrener gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen ziemlich viel Leben in der Bude.

Gelingt es Ihnen als Seniorprofessor viel mehr Zeit mit Dingen zu verbringen, die nicht mit Ihrer Profession zu tun haben? Haben Sie in der frei gewordenen Zeit neue Leidenschaften für sich entdeckt?

Insgesamt hat sich mein Arbeitspensum eher verschoben als wesentlich verringert. Für neue Hobbys war bisher keine Zeit. Aber das kann ja noch kommen.

Wann ist Schluss?

Die Frage kann ich noch nicht beantworten. Auf jeden Fall wird Schluss sein, wenn meine Kolleginnen und Kollegen anfangen ihrer Verwunderung darüber Ausdruck zu verleihen, dass ich immer noch da bin, und die Studierenden das Interesse an meinen Themen verlieren. Dazu gehört seit einiger Zeit das Verhältnis von Völkerrecht und Politik – eine Thematik, die einem den Schweiß auf die Stirn und selbst bei heißem Wetter immer wieder auf einen Cappuccino ins studentische Café bei den Studentengemeinden treibt.

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