Serie Seniorprofessuren / Prof. Manfred Gerspach im Interview

Wer sind eigentlich die knapp 30 Seniorprofessorinnen und –professoren an der Goethe-Universität, die sich auch nach ihrer Pensionierung noch in der Lehre engagieren? In einer mehrteiligen Serie werden sie hier vorgestellt. 

Um die Betreuungsrelationen zu verbessern und ein zusätzliches hochqualifiziertes Lehrangebot anbieten zu können, besteht seit Ende 2009 an der Goethe-Universität die Möglichkeit, Seniorprofessuren einzurichten. Pensionierte oder emeritierte Professorinnen und Professoren der Goethe-Universität oder anderer Universitäten mit ausgewiesener Lehrkompetenz kommen für eine Seniorprofessur infrage und können somit auch nach ihrer Pensionierung weiterhin in der Lehre tätig sein. Das Lehrdeputat liegt zwischen vier und acht Semesterwochenstunden und schließt die Verpflichtung zu prüfen ein.

Teil 7 – Prof. Manfred Gerspach

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Prof. Manfred Gerspach (67) ist seit dem Wintersemester 2015 Seniorprofessor am Institut für Sonderpädagogik der Goethe-Universität. Sein Lehrdeputat beträgt vier Semesterwochenstunden.

 

 

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Herr Prof. Gerspach, wie kam es zu der Entscheidung für eine Seniorprofessur und was war Ihre Motivation, sich für weitere Lehrjahre an der Goethe-Uni zu entschieden, statt Ihre freie Zeit zu genießen?

Ein Kollege von der Goethe-Uni, Dieter Katzenbach, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, hat mich sehr eindringlich gebeten, die Stelle anzutreten. Nach kurzer Bedenkzeit habe ich schließlich für eine halbe Stelle zugesagt. Damit schließt sich für mich auch gewissermaßen der Kreis, weil ich dahin zurückgekommen bin, wo ich als Student angefangen habe. 1970 habe ich in Bockenheim begonnen Erziehungswissenschaften zu studieren, vier Jahre später meinen Abschluss gemacht und später über 20 Jahre lang an der Hochschule Darmstadt im Bereich Behinderten- und Heilpädagogik gelehrt.

Und auch an anderer Stelle schließt sich der Kreis: Ich betreue derzeit das Modul Psychoanalytische Theorien zur Genese der Subjektivität, das vom Erziehungswissenschaftler Aloys Leber entwickelt worden ist. Ich habe beim ihm studiert und bin nun richtig dankbar, das Modul in seinem Sinne fortführen zu dürfen, was mir in meinem eigenen Studium so viel gebracht hat. Hierzu passen auch meine Seminare zur Psychoanalytischen Heilpädagogik und zu den Grundfragen der Pädagogik bei geistigen Behinderungen.

Gab es Situationen, in denen Sie Ihre Entscheidung bereut haben?

Nein, ich habe auch soeben wieder meinen Vertrag verlängert. Meine Frau ist vor eineinhalb Jahren gestorben. Wir haben zwei Drittel unseres Lebens miteinander verbracht. Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, hat mir die Arbeit nochmal Struktur und Halt gegeben. Das war sehr wichtig.

Büro vs. Homeoffice, Gehalt vs. Rente, junge Kollegen vs. Senioren – wie haben sich die Rahmenbedingungen für Sie verändert?

In Darmstadt war ich von 2000 bis 2005 auch Dekan des Fachbereichs und habe den Umbruch der Hochschulstrukturen mitgestaltet. Das war ein anderes Eingebundensein, auch mit den gewachsenen Aufgaben der Selbstverwaltung. Jetzt im Institut für Sonderpädagogik ist die Atmosphäre sehr angenehm. Im Sekretariat habe ich immer jede Unterstützung bekommen, die ich brauchte. Inzwischen bin ich auch hier wieder geradezu routiniert, habe ein Arbeitszimmer und schätze den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Die Bedingungen sind für mich geradezu ideal.

Wenn Sie an Ihre allererste Vorlesung als Dozent zurückdenken und sie mit heute vergleichen: Was hat sich für Sie grundlegend in Ihrer Lehrtätigkeit gewandelt?

Durch den Bologna-Prozess hat sich natürlich einiges verändert, weil auch die Studiengänge andere Strukturen bekommen haben. Sie sind kleinteiliger, es gibt viel mehr Prüfungen. Ich hatte jetzt erst wieder 40 mündliche Prüfungen und habe auch eine ganze Reihe an Abschlussarbeiten zu betreuen. Es freut mich, noch immer ein gefragter Professor zu sein. Deshalb mache ich das auch, ich habe nach wie vor ein Sendungsbewusstsein und möchte das, was ich weiß und gelernt habe, weitergeben. Diese Rolle erfüllt mich sehr.

Mir war es immer wichtig, und ich glaube den Studierenden geht es auch so, einen persönlichen Bezug zu ihnen zu haben. Das hat auch die Art des Kontaktes eingefärbt. Wenn ich Pädagogik lehre und vermittele, dass Erziehung Beziehung ist, dann gilt das auch für die Beziehung zu den Studierenden. Mit Blick auf die vielen kleinteiligen Module hat sich da vielleicht etwas geändert. Aber insgesamt ist immer noch eine sehr freundliche und arbeitssame Atmosphäre zu spüren.

Ich unterrichte ja vor allem psychoanalytische Pädagogik. Das ist ein Thema, das ein bisschen an den Rand geraten ist in den Erziehungswissenschaften, aber ich merke, gerade bei den jungen Studierenden wieder, dass da plötzlich Neugier entsteht und es eine große Gruppe von Studierenden gibt, die Kontakt zu mir sucht. Das erfüllt mich auch mit einer gewissen Genugtuung.

Wenn Sie an Ihre Zuhörer von heute und damals denken: Wie hat sich das Bild der Studierenden verändert, das Sie wahrnehmen, wenn Sie in den Hörsaal blicken?

Die Studierenden von heute lernen anders. Sie berechnen mehr, welche Seminare oder Vorlesungen sie schnell zum Abschluss bringen und studieren mit Blick auf die rationelle Einteilung ihrer Kräfte, um durchs Studium zu kommen. Ich habe 1970 angefangen, das war noch diese heiße Zeit der auslaufenden Studentenbewegung. Wir hatten viele Freiheiten und man brauchte weniger Scheine, weniger als heute, es war mehr ein selbstgestaltetes Studium. Es gab viele studentische Zirkel in denen man gemeinsam gearbeitet hat, jenseits dessen, was die offizielle Lehre angeboten hat.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Ich habe zu dem Modul Psychoanalytische Theorien zur Genese der Subjektivität, in dem ich lehre, erst in diesem Sommer ein Fachbuch herausgebracht. Die ganze Vorlesung habe ich darin verarbeitet. Außerdem schreibe ich zurzeit gemeinsam mit Kollegen an einer Publikation über Forschungsdesigns im Kontext psychoanalytischer Pädagogik. Das ist die Art von Projekten, die mir noch wichtig sind. Im September ist zudem eine große Tagung zur Grundschulforschung, an der ich teilnehme und ich engagiere mich für das Deutschlandstipendium.

Gelingt es Ihnen als Seniorprofessor viel mehr Zeit mit Dingen zu verbringen, die nicht mit Ihrer Profession zu tun haben? Haben Sie in der frei gewordenen Zeit neue Leidenschaften für sich entdeckt?

Ich bin Gitarrist in der Rockband Mannis Allstars, die 1996 auf eine Initiative von Studierenden und Lehrenden der Hochschule Darmstadt hin entstanden ist. Wir spielen Rockmusik aus den 50er, 60er und 70er. Das ist eine wunderbare Freizeitbeschäftigung. Ich spiele außerdem noch Fußball in der Hochschulsportgruppe für Mitarbeiter über 40. Letztlich kann ich mich als dreifacher Opa auch in meiner Freizeit nicht über Langeweile beklagen.

Wann ist Schluss?

Die fünf Jahre will ich schon voll machen. So lange meine Gesundheit mitmacht und ich weder peinlich wirke noch merke, dass ich immer mehr vergesse, werde ich der Goethe-Uni erhalten bleiben. Die Seniorprofessur ist eine wunderbare Rentnerbeschäftigung.

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