Wann genau sich nach einem Aufstand wieder Ordnungen bilden, ist rückblickend oft schwer zu definieren
von Andreas Fahrmeir
Irgendwann ist jede Revolution zu Ende. An die Stelle revolutionärer Unordnung tritt eine neue Ordnung. Wann das genau passiert, ist nicht einfach festzustellen. Das liegt nicht nur daran, dass die Forschung sich viel mehr für die Ursachen und Anlässe von Revolutionen interessiert. Es liegt auch daran, wie Revolutionen enden.
Für die deutschen Revolutionen von 1848 ist völlig unstrittig, dass sie im März begannen. Aber wann waren die Verhältnisse wieder stabil? Im Mai 1849, als wichtige Staaten wie Österreich, Preußen, Hannover und Sachsen der Frankfurter Nationalversammlung die Legitimität absprachen? Im Juni 1849, als die nach der Auflösung des Paulskirchenparlaments verbliebenen und nach Württemberg umgezogenen Abgeordneten aus Stuttgart vertrieben wurden? Im Juli 1849, als die Reichsverfassungskampagne endete, welche die Paulskirchenverfassung doch noch durchsetzen sollte? Im Herbst 1850, als das von Preußen betriebene Projekt der Erfurter Unionsverfassung begraben wurde? Oder erst im Mai 1851, als der Deutsche Bund wieder unverändert seine Arbeit aufnahm?
Zu Beginn revolutionärer Situationen, in dem Moment, an dem offen ist, wo politische Macht angesiedelt ist, scheint es unmöglich, die bisherige Ordnung aufrechtzuerhalten. Im März 1848 hatten die allermeisten Obrigkeiten deutscher Staaten erhebliche Zweifel, ob sie angesichts der breiten öffentlichen Proteste eine Konfrontation überstehen würden, zumal die Loyalität von Militär und Bürokratie unsicher war. Daher machten sie weitreichende Konzessionen – was wiederum zur Folge hatte, dass die meisten Monarchen, Befehlshaber und Verwaltungsbeamte in ihren Ämtern verblieben.
Neue Institutionen, alte Machtmittel
Im Verlauf der Revolution stießen die in parlamentarischen Debatten und öffentlichen Diskussionen entwickelten Zukunftsentwürfe auf Zustimmung, aber auch auf Widerspruch, der bis zu gewaltsamen Angriffen auf neue Institutionen und ihre Vertreter reichte. Daher stützten sich Teile der neuen Institutionen alsbald stärker, als sie es zu Beginn für notwendig gehalten hatten, auf die bisherigen Machtmittel: Nach dem gewaltsamen Tod zweier Abgeordneter am 18. September 1848 in Frankfurt sah sich die demokratisch legimitierte Nationalversammlung genauso auf den Schutz der preußischen und österreichischen Garnison angewiesen wie vorher die monarchisch eingesetzte Bundesversammlung.
Die Ablehnung der revolutionären Kaiserkrone durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. Anfang April 1849 erfolgte vor dem Hintergrund dieser politischen Polarisierung und heizte sie noch weiter an. In vielen preußischen Städten kam es zu intensiven Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, die bereit waren, ihre Abgeordneten in der Nationalversammlung weiter zu unterstützen, und Gruppen, die das Ende der gesamtdeutschen Verfassungsberatungen begrüßten.
Wehrvereine sollten Revolution vollenden
Die Reichsverfassungskampagne im Mai 1849 war der Versuch, die Stimmung vom März 1848 wiederzubeleben. Während die Nationalversammlung am 6. März an »die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden und das gesamte deutsche Volk« appellierte, die Reichsverfassung durchzusetzen, unterstrichen Delegierte der Märzvereine die Forderung durch den Aufruf zur Gründung von »Wehrvereinen« bewaffneter Männer. Allerdings war die Resonanz deutlich geringer als im März 1848. Nur in wenigen Regionen – in Sachsen, der bayerischen Pfalz und Baden – gelang es, der monarchischen Obrigkeit (die sich ihrer militärischen Ressourcen nun wieder deutlich sicherer war) zumindest zeitweise die Stirn zu bieten.
Dabei strahlte vor allem die badische Republik, die vom Mai 1849 bis zur Kapitulation der Festung Rastatt am 23. Juli 1849 bestand, weit aus, da sie viele Aktivistinnen und Aktivisten der republikanischen Linken aus West- und Süddeutschland anzog. Obwohl erhebliche Teile des badischen Militärs die Republik unterstützten und Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung im Juni eine breite Legitimität garantieren sollten, erwies sich das preußische Militär als stärker. Der radikaldemokratische Bonner Student Carl Schurz, der sich als einer der Offiziere der Republik in der Festung aufhielt und sich nach der Kapitulation zunächst verstecken und dann in die Schweiz retten konnte, verwies in seinen, allerdings erst 1907 publizierten, Memoiren auf die Grenzen der populären Unterstützung des republikanischen Experiments. Er sah sie darin begründet, dass die Abschaffung der Feudallasten (also Abgaben oder Arbeitsverpflichtungen gegenüber Lehnsherren) im Frühjahr 1848 eine für alle ländlichen Räume zentrale Forderung erfüllt hatte, auch wenn sich die tatsächliche Umsetzung noch hinzog. Die kampflose Übergabe der Festung Rastatt erfolgte – zumindest in Schurz’ Darstellung – auch aus Rücksicht auf die in der Stadt lebenden zivilen Familien, die nicht unmittelbar an der Revolution beteiligt waren. (Allerdings verdankte er genau diesen Unbeteiligten, dass er nicht an die preußischen Truppen übergeben wurde, sondern entkommen konnte.)
Preußens Monarchie will neue Ordnung
Die revolutionäre Unordnung eröffnete jedoch auch den Herrschenden neue Möglichkeiten. Das galt beispielsweise für die preußische Monarchie, die sich bereits im Frühjahr 1848 rhetorisch an die Spitze einer deutschen Nationalbewegung gestellt hatte. Ihr Ziel war, das geopolitische Ergebnis der Frankfurter Nationalversammlung – eine Vereinigung aller deutschen Staaten unter Ausschluss Österreichs unter preußischer Führung – mit einer konservativeren Verfassung zu verbinden. Zu diesem Zweck fanden seit dem Mai 1849 Regierungsverhandlungen über den Inhalt einer solchen Verfassung statt; eine nach dem Drei-Klassen-Wahlrecht abgehaltene Wahl zu einer zweiten Nationalversammlung, die von der politischen Linken boykottiert wurde, folgte im Winter 1849/50. Die Beratungen des »Parlaments der Deutschen Union« begannen am 20. März 1850 und endeten am 29. April nach der Annahme der Verfassung und der Übergabe von Änderungsvorschlägen.
Auch diese Verfassung wurde nie umgesetzt, denn was aus der Berliner Perspektive als ein Übergang zu einer neuen Ordnung erschien, wirkte aus Wiener Sicht wie eine Fortsetzung der Unordnung. Der am 28. Juni 1848 als provisorisches Oberhaupt einer provisorischen deutschen Regierung zum »Reichsverweser« gewählte Erzherzog Johann von Österreich legte sein Amt erst im Dezember 1849 nieder, allerdings nicht, wie man in Berlin hoffte, zugunsten des Königs von Preußen. Vielmehr gingen seine Kompetenzen – darunter die nominelle Kontrolle der deutschen Truppen in Schleswig-Holstein und der Bundesfestungen – an eine im September 1849 vereinbarte Bundeskommission über, die von Österreich und Preußen paritätisch besetzt wurde. Diese sollte bis zum 1. Mai 1850 entweder eine Rückkehr zum bisherigen Deutschen Bund oder eine alternative Verfassungsordnung erreichen. Die Frage, welche Verfassung nun die Beziehungen zwischen den deutschen Staaten regelte, ob Interventionen einer Gruppe von Staaten zugunsten oder gegen bestehende Verfassungen rechtmäßig oder rechtswidrig waren, beherrschte die deutsche Politik auch im weiteren Verlauf des Jahres 1850, bis vor dem Hintergrund von Mobilmachungen in Preußen und Österreich unter massivem russischem Druck die Rückkehr zum Deutschen Bund durchgesetzt wurde.
Stabilisierung erfolgt nur schrittweise
Für die Akteure der Revolution von 1848/49 brachten diese Schritte sehr unterschiedliche Sanktionen mit sich, die sich mit der Zeit immer weiter verstärkten: In Baden erfolgten die Bestrafungen oder der Zwang zum Exil rasch und besonders brutal, in Preußen strebte die Regierung dagegen länger eine Kooperation mit den konservativeren Teilen der liberalen Opposition an, bis diese mit dem Schwinden einer Aussicht auf eine »Deutsche Union« ebenfalls stärker unter Druck geriet. Je nachdem, auf welche Dimensionen politischer Ordnung sich der Blick vor allem richtet – auf Institutionen, auf Legitimationen oder auf Amtsinhaber –, ergeben sich somit (nicht nur nach 1848) ganz unterschiedliche Endpunkte: Während am Anfang einer Revolution alle drei gleichzeitig unter Druck stehen, erfolgt ihre (Re-) Stabilisierung vielfach zu sehr unterschiedlichen Zeiten.
Der Autor
Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Jahrgang 1969, hat seit Oktober 2006 die Professur für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts am Historischen Seminar der Goethe-Universität inne. Fahrmeir hat an der Goethe-Uni Mittlere und Neuere Geschichte, Geschichte der Naturwissenschaften und englische Philologie studiert. 1997 wurde er in Cambridge promoviert, anschließend war er am Deutschen Historischen Institut London tätig. Nach der Habilitation 2002 in Frankfurt war er hier bis 2004 Heisenberg-Stipendiat der DFG. Von 2004 bis 2006 lehrte er als Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stadt und Bürgertum, Britische und Deutsch-Britische Geschichte, Migrationsgeschichte und Politische Geschichte des 19. Jahrhunderts.