Adorno: Denken im Widerspruch


Zum Gedenken an Theodor W. Adorno aus Anlass seines 50. Todestags

Von Rainer Forst

Prof. Rainer Forst, Co-Sprecher des Exzellenzclusters Die Herausbildung normativer Ordnungen (Foto: Uwe Dettmar)

So wie das Verstehen der Texte Adornos eine nicht geringe Denkaufgabe ist, so ist es auch das Gedenken seiner als Wissenschaftler und Intellektueller. Denn sein Werk und Wirken, das die Goethe-Universität nachhaltig geprägt und dazu beigetragen hat, dass Frankfurt im Geistesleben der Bundesrepublik zum Ort der Aufklärung und Kritik wurde, lässt sich nicht auf wenige Begriffe reduzieren oder – wie er gesagt hätte – museal verdinglichen. Es lebt fort, dieses Denken, aber nur im Ein- und Widerspruch, und dieser bleibt aktuell, weil er sich nicht nur auf Vergangenes richtet, sondern auf all die Gestalten und Spuren des Unmenschlichen, die die Gegenwart aufweist. Sein jetzt neu edierter Text über den Rechtsradikalismus, der aus dem Jahre 1967 stammt, belegt dies eindrucksvoll.

Adorno war vieles – Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker, Komponist, politischer Intellektueller, und die Art, in der er diese Rollen separierte und doch verband, war einzigartig und exemplarisch für das, was „kritische Theorie“ genannt wird. Während seine Philosophie noch in den fortschrittlichsten Theorien der Aufklärung die Momente des Beherrschungsdenkens ausmachte, das sie eigentlich überwinden wollten, war seine Soziologie materialistisch geerdet und suchte die Verbindung zu den avanciertesten Wissenschaften seiner Zeit, etwa der Psychoanalyse, um zu erklären, aus wie vielen Quellen sich die Möglichkeit des Umschlags des sozialen Lebens in Gewalt und Barbarei speist. Sein Festhalten an den ästhetischen sowie den moralischen Kriterien der Moderne blieb dabei ebenso unbeirrt wie seine scharfe Kulturkritik und sein aktiver Einsatz für die Erziehung zu Autonomie und Demokratie sowie die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, was ihn mit der studentischen Emanzipationsbewegung verband, von der er sich zum Ende seines Lebens jedoch entfremdete und missverstanden sah.

Letztlich war es ein Grundmotiv, das Adorno bewegte. Seit der mit Max Horkheimer im amerikanischen Exil verfassten Dialektik der Aufklärung war er der Überzeugung, dass die Moderne eine Art des Denkens hervorgebracht hatte, das ihre Gegenstände, ob Mensch, Tier oder Natur, primär als Objekte des Beherrschens begriff. Der instrumentellen oder „identifizierenden“ Vernunft gilt nur als wirklich, was sich bestimmten Kategorien fügt, die im Extrem alles auf ökonomische Verwertung und Tausch reduzieren. Gegen alle Formen solchen reduktionistischen Denkens, Handelns und Ordnens erhebt Adorno Einspruch, in immer neuen, auch selbstkritischen Wendungen bis an den Rand des bewusst riskierten Selbstwiderspruchs, denkt man an die wichtigen Werke der Minima Moralia oder die Negative Dialektik, das philosophische Hauptwerk.

Ein solch singuläres Denken lässt sich nicht einfach fortsetzen oder gar kopieren. Aber wie Jürgen Habermas jüngst in einer auf die Gegenwart bezogenen Reminiszenz an seinen Lehrer sagte, bleibt es eine Verpflichtung, den Geist dieses kritischen Theoretikers erneuernd zu bewahren und die Wissenschaft darauf auszurichten, in der Wirklichkeit das Falsche nicht als das Wahre oder Unveränderliche zu betrachten.

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