Dr. Rachel Heuberger hat die bedeutende Judaica- und Hebraica-Abteilung der Universitätsbibliothek aufgebaut. Mit ihrem Team hat sie die Sammlung aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Nun ist sie in den Ruhestand gegangen.
Wie heißt das Gegenteil von Einzelkämpfer? Dr. Rachel Heuberger. Sie ist Anfang Dezember 2019 in den Ruhestand gegangen, nachdem sie fast dreißig Jahre für die Universitätsbibliothek (UB) tätig war, zunächst als Fachreferentin, zuletzt als Leiterin der Abteilung „Judaica und Hebraica“: Zusammen mit rund zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat sie sich dort um jene rund 270.000 Bücher der UB gekümmert, die entweder in hebräischer Schrift geschrieben sind (Hebraica) oder sich aus europäischer/amerikanischer Perspektive mit verschiedenen Aspekten des Judentums auseinandersetzen (Judaica), sei es in lateinischen, sei es in kyrillischen Lettern.
Wenn Heuberger auf ihre Tätigkeit an der Goethe-Universität blickt, sagt sie meist „wir“, setzt manchmal vielleicht noch ein „die Bibliothek“ oder „die Judaica-Abteilung“ hinzu. Und sie erinnert sich als erstes daran, wie diese knapp drei Jahrzehnte durch kollegiale sowie durch nationale und internationale Zusammenarbeit geprägt waren: „Wir arbeiten zum Beispiel sehr intensiv mit anderen großen deutschen Bibliotheken zusammen, so etwa mit der Staatsbibliothek in Berlin und mit der Bayerischen Staatsbibliothek in München.“ Außerdem ist die Abteilung „Judaica und Hebraica“ Mitglied des Open-Access-Konsortiums, dessen Ziel es ist, bedeutende Werke aller Wissenschaftszweige im World Wide Web frei zugänglich zu machen. Und natürlich macht Kooperation nicht an Staatsgrenzen Halt: So verweist Heuberger darauf, dass ihre ehemalige Abteilung und die Nationalbibliothek Israels ihre Bestände bei Bedarf gegenseitig ergänzen und dass die Abteilung und das in New York ansässige Leo-Baeck-Institut einander unterstützen, wenn es darum geht, alte deutsch-jüdische Zeitungen zu digitalisieren, die jüdische Emigranten einst nach Amerika mitgebracht haben.
Heuberger wurde als Tochter polnischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv geboren und kam als kleines Kind mit ihren Eltern nach Frankfurt. Nach dem Abitur am Herder-Gymnasium kehrte sie nach Israel zurück und belegte an der Hebräischen Universität Jerusalem „Jüdische Studien“, Geschichte und Pädagogik, bevor sie – wiederum in Deutschland – ihre Dissertation schrieb, zur Bibliothekarin ausgebildet wurde und 1986 das zweite Staatsexamen in Bibliothekswissenschaft ablegte.
Als Heuberger im Oktober 1991 ihre Stelle an der Bibliothek der Goethe-Universität antrat, fand sie dort eine reichhaltige, aber kaum gepflegte Judaica- und Hebraica-Sammlung vor. Diese war ursprünglich in der Mitte des 19. Jahrhunderts (also noch vor der Gründung der Goethe-Universität) entstanden, als jüdische Gelehrte ihre Büchersammlungen der damaligen Frankfurter Stadtbibliothek hinterließen. Die Nazis wollten diese Bücher ihrem berüchtigten „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ als „Forschungsliteratur“ hinzufügen. Als dann im zweiten Weltkrieg die Bomben der Alliierten auf Frankfurt fielen, verbrannten praktisch alle Hebraica; rund 20 000 Judaica waren noch rechtzeitig in das Frankfurter Umland ausgelagert worden und überstanden den Krieg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erklärte 1949 auf dieser Grundlage die Frankfurter UB zum „Sondersammelgebiet“ für Jüdische Studien; sie finanzierte den Ankauf moderner Fachliteratur über das Judentum und über den – 1948 gegründeten – Staat Israel beziehungsweise in hebräischer Schrift.
Bis zum Ende der 1980er Jahre wurden sowohl diese neue Sammlung als auch die Altbestände durch einen Turkologen mitbetreut. „Aber dieser Turkologe sprach weder Hebräisch noch Jiddisch, so dass er die Judaica und Hebraica höchstens verwalten konnte. Die Sammlung lag in einer Art Dornröschenschlaf“, sagt Heuberger, die selbst Alt- und Neuhebräisch sowie Jiddisch, die Sprache der osteuropäischen Juden, beherrscht. „Von einer angemessenen Pflege konnte keine Rede sein, und es war nur den eingeweihten Expertinnen und Experten bekannt, welch reicher Bücherschatz hier lagert.“
Heuberger weckte mit ihrem Team die Sammlung aus dem Dornröschenschlaf: Sie hat Bücher ausgewählt, für die Frankfurter UB bestellt, und schließlich, wenn die Bestellungen bei ihr eintrafen, inhaltlich erschlossen; sie hat Nutzerinnen und Nutzern falls nötig bei schwierigen Literatursuchen geholfen, und vor allem hat sie – insbesondere bei Studierenden – publiziert, welche Titel ihre Abteilung jeweils neu erworben hatte. Außerdem hat sie die Abteilung ins 21. Jahrhundert geführt, indem sie entscheidend dazu beigetragen hat, die Altbestände ihrer Abteilung zu digitalisieren und online verfügbar zu machen. Diese Datenbanken werden heute weltweit intensiv genutzt.
Welches Buch der Abteilung ihr am meisten am Herzen liegt, vermag Heuberger nicht zu sagen. „Das wäre so, als ob eine Mutter gefragt würde, welches ihrer Kinder sie am meisten liebt“, sagt sie. Aber noch muss sie sich nicht endgültig von ihren „Babys“ verabschieden: Rachel Heuberger wird auch weiterhin im Rahmen ausgewählter Projekte mit dem Bestand der UB-Abteilung Judaica/Hebraica arbeiten.
Stefanie Hense
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1/20 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.