„Deals“ im Praxistest: Untersuchung zur Realität gerichtlicher Absprachen

Matthias Jahn, Rechtswissenschaftler an der Goethe-Universität, hat mit Kollegen aus Tübingen und Düsseldorf die Praxis der Absprachen an deutschen Gerichten untersucht. (Foto: Dettmar)

Um rasch ein Geständnis zu erreichen und damit das Verfahren zu verkürzen, stellt der Richter Straferleichterung in Aussicht – für diese Art von Absprache gibt es seit 2009 einen gesetzlichen Rahmen. Doch wird der auch eingehalten? In einem Gutachten für das Justizministerium weisen die Rechtswissenschaftler Matthias Jahn (Goethe-Uni), Jörg Kinzig (Uni Tübingen) und Karsten Altenhain (Uni Düsseldorf) nach, dass hier viel Luft nach oben ist.

Absprachen müssen transparent sein, also dokumentiert werden. Geständnisse sind „zwingend“ zu überprüfen. Und die Zusage einer konkreten Straferleichterung ist nicht zulässig, lediglich die Angabe eines „Korridors“, in dem die Strafe liegen wird: Das sind die Regeln der Strafprozessordnung, die seit 2009 für Absprachen vor Gericht gelten, zuvor gab es keine. Schon 2012 jedoch machte eine wissenschaftliche Umfrage deutlich, dass es trotz dieser Regeln nach wie vor „informelle“, also – weniger euphemistisch gesprochen – illegale Deals vor Gericht gibt. 2013 billigte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zwar, formulierte jedoch eine strengere Auslegung der Vorschriften und verpflichtete den Gesetzgeber dazu, die Rechtspraxis fortwährend im Auge zu behalten.

Zusammen mit seinen Kollegen Prof. Dr. Jörg Kinzig und Prof. Dr. Karsten Altenhain hat der Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Jahn von der Goethe-Universität eine umfangreiche Studie erstellt, das zeigen sollte, wie die Realität an den Gerichten aussieht. Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger wurden in unterschiedlichen Modulen daraufhin befragt, ob und in welchem Umfang Absprachen bei ihnen eine Rolle spielen und inwiefern sie sich dabei an die gesetzlichen Vorgaben halten. Selbst Richterinnen und Richter hätten trotz wenig schmeichelhafter Aussagen überraschend ehrlich geantwortet, sagt Matthias Jahn: „Offenbar gab es einen gewissen Gesprächsbedarf.“

Es zeigte sich, dass an den Gerichten gegen sämtliche bestehenden Regelungen verstoßen wird. Nicht eingehalten wird der Untersuchung zufolge häufig die Dokumentationspflicht, das heißt, die Verständigung findet inoffiziell statt. Auch über das ausdrückliche Verbot, punktgenaue Angaben zur zu erwartenden Strafe zu machen, setzen sich viele Gerichte glatt hinweg. Und die abgelegten Geständnisse werden oft nicht ausreichend überprüft. Dabei machten die unterschiedlichen Berufsgruppen durchaus unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit des Phänomens, aus nachvollziehbaren Gründen. Während 80 Prozent der Rechtanwälte mitteilten, sie seien an „Deals“ beteiligt gewesen, sind es aber immerhin auch fast ein Drittel der Richter, die eingestehen, dass sie sich selten bis häufig nicht an das Gesetz halten. „Das ist aus gleich mehreren Gründen alarmierend“, sagt Jahn: Die Urteilsfindung vollziehe sich ohne Beteiligung des Angeklagten, denn die professionellen Prozessbeteiligten handelten das unter sich aus. Außerdem trete der Aspekt der Schuld in den Hintergrund und werde frei verhandelbar. Insbesondere an Amtsgerichten führe das „Dealen“ zudem zu einer Gerechtigkeitslücke für weniger Begüterte: Nicht jeder Angeklagte habe einen Strafverteidiger, aber Richter und Staatsanwälte verhandeln nur mit Anwälten.

Tatsächlich kommen „Deals“ an Amtsgerichten wesentlich häufiger vor als an Landgerichten, was vor allem mit der eng getakteten Arbeitslast zu erklären ist. Richter und Staatsanwälte nannten als Gründe für informelle Absprachen die fehlende Praxistauglichkeit und Unübersichtlichkeit der bestehenden Regelungen. „Hier sollte man in Zukunft ansetzen und das Gesetz wieder praxistauglicher machen“, findet Matthias Jahn. Verständigungen seien unverzichtbar für eine arbeitsfähige Justiz, aber „Deal“-Exzesse müssten vermieden werden.

„Vor dem Hintergrund der Ergebnisse werden wir jetzt prüfen, ob weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, um Defiziten in der gerichtlichen Verständigungspraxis wirksam zu begegnen. Die Erkenntnisse aus der Studie ermöglichen uns dazu eine umfassende rechtspolitische Diskussion“, kommentierte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht die Studie noch am Tag des Erscheinens in einer Pressemitteilung. Ein Projekt für die nächste Legislaturperiode, meint Matthias Jahn. Die Studie ist kostenfrei online nachzulesen.

Open-Access-Publikation: 
www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748922094

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