Volkswagenstiftung gibt mehr als eine halbe Million Euro für Projekt in der Förderinitiative „Pioniervorhaben – Explorationen des unbekannten Unbekannten“
Es war ein langer Kampf, bis die Republik Namibia im Jahr 1990 endlich unabhängig wurde. Welche Rolle hat die Verflechtung von Politik, Kirche und Theologie im Freiheitskampf gegen die südafrikanische Mandatsverwaltung gespielt? Dieser Frage geht ein neues Forschungsprojekt am Fachbereich Evangelische Theologie an der Goethe-Universität nach, das von der Volkswagenstiftung finanziert wird.
Insgesamt 541.400 Euro hat die Volkswagenstiftung für das Projekt mit dem Titel „Decolonizing Postcolonialism. Zur Verflechtungsgeschichte von Politik, Kirche und Theologie im namibischen Freiheitskampf (1957-1990)“ zugesagt. Antragsteller ist Prof. Stefan Michels, der am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität historische Theologie lehrt. „Die religionshistorische und theologische Forschung zu Namibia bezieht sich meist auf die Kolonialzeit. Hinsichtlich der kirchlichen Zeitgeschichte Namibias gibt es bislang kaum Forschung. Ich bin sehr froh darüber, dass die Volkswagen-Stiftung unser Projekt als Risikovorhaben finanziert und wir den Wissensstand erweitern können. Dem Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung (ZiAF) bin ich sehr dankbar für die Unterstützung in der Vorbereitungsphase“, sagt Prof. Michels.
Namibias politische Identität ist von einer wechselvollen Geschichte zwischen Fremdherrschaften und freiheitlicher Selbstbestimmung geprägt: Im Jahr 1884 wurde das riesige Gebiet im Südwesten Afrikas zum „Schutzgebiet“ des Deutschen Reiches erklärt und blieb bis zum Ende des Ersten Weltkriegs deutsche Kolonie mit dem Namen „Deutsch-Südwestafrika“. 1920 kam es unter die Mandatsverwaltung von Südafrika und damit in die Hoheitsgewalt des Nachbarstaates, der durch das System der Apartheid geprägt war. Die Unabhängigkeit erlangte Namibia am 21. März 1990 nach militärischen Auseinandersetzungen insbesondere zwischen 1960 und 1989 (sog. „Namibischer Befreiungskampf“) zwischen der namibischen „People’s Liberation Army of Namibia“ (PLAN) und dem südafrikanischen Militär.
Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind vielfältige Emanzipationsbewegungen entstanden, die mit Blick auf die politischen, aber auch die kirchlichen Beziehungen zu Europa und Südafrika in den Kampf um politische Unabhängigkeit mündeten. Während der Kolonialisierung Namibias im 19. Jahrhundert, deren Schatten die gesellschaftlichen Diskurse im Land bis heute prägen, etablierten sich die christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften im Land, die auch in nachkolonialer Zeit in engem Austausch mit den Kirchen ihrer Herkunftsländer blieben.
Das Projekt zielt darauf ab, die Verflechtung von Politik, Kirche und Theologie zu analysieren. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Frage, welche Rolle insbesondere die Theologie der Befreiung für ein freies Namibia gespielt hat. Bisher nicht erfasstes Archivmaterial soll untersucht, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sollen befragt werden. Die Erkenntnisse über die Verflechtung von Kirche und Politik könnten im Sinne einer Netzwerkanalyse das grundlegende Verständnis der Geschichte der Emanzipierung unterdrückter Freiheitsbestrebungen sowie der Rolle der Kirchen und der Religion verbessern. Zudem erlauben sie einen weiteren Einblick in die ‚Black Liberation Theology‘ im südlichen Afrika.
Ob die Rolle der vielen unterschiedlichen Kirchen und kirchlichen Gruppen im Befreiungskampf Namibias eher als positiv oder als unrühmlich beschrieben werden kann, diese Frage gehen Michels und sein Team – das Projekt beinhaltet zwei Hilfskraft- und eine Postdoc-Stelle – ganz offen an. Die Vorrecherchen hätten gezeigt, dass es durchaus Widerstand gegen die Befreiungsbewegung gab – aus Sorge vor einer weiteren kommunistisch motivierten Aggression. Andererseits hätten einzelne Partnerkirchen in Deutschland die Bewegung proaktiv unterstützt. Um einen möglichst umfassenden Überblick zu erhalten, will Michels eng mit namibischen Wissenschaftsteams zusammenarbeiten. Für ihn ist das Projekt möglicherweise erst der Anfang eines noch größeren Forschungsvorhabens.
Die Initiative „Pioniervorhaben: Explorationen des unbekannten Unbekannten“ der VW-Stiftung fördert 15 risikobehaftete Projekte mit insgesamt 7,9 Millionen Euro. Man fördert bewusst Forschungsvorhaben, die große Durchbrüche in der Grundlagenforschung erbringen könnten – oder ihre Ziele verfehlen. Die Option des Scheiterns könne ausdrücklich einkalkuliert sein, da nur so entsprechende Risiken eingegangen würden und im Erfolgsfall hohes Erkenntnispotenzial bestehe, heißt es in der Pressemitteilung der Volkswagenstiftung.