Ein Gourmetführer konstitutiert einen Markt
Der Zauber guten Essens kulminiert in der Sterneküche. Sie steht für das gute Leben und auch für Luxus und eine Marktnische im Bereich der Gastronomie. Die Sterneküche eignet sich sehr gut für eine Untersuchung, weil hier sehr allgemeine Marktprinzipien sowie Hoch- und Luxuskultur miteinander verschränkt sind.
Die Sternerestaurants wirken in diesem Sinne kulturbildend, ohne sich jedoch gesellschaftlichen Strömungen entziehen zu können. Die Adaption kultureller Bewegungen ist gleichzeitig eine Möglichkeit der Entwicklung von Nischen im eigentlichen Segment. Ein Hochkulturmarkt wie der der Sterneküche muss dem Publikum vermittelt werden.
Diese Aufgabe übernehmen die Medien, allen voran Restaurantführer wie der Guide Michelin. Viel wurde allerdings auch durch Fernsehsendungen getan, durch die Köche zu Stars aufgebaut werden. Kaum ein Markt ist für Neueintritte zugänglicher als die Gastronomie. Die Markteintrittsbarriere ist relativ niedrig – im Gastrobereich lassen sich verhältnismäßig einfach neue Unternehmen gründen.
Leichte Zugänglichkeit bedeutet aber auch, dass viel Konkurrenz vorhanden ist und es kaum Sicherheit gibt. Unternehmen versuchen daher im Markt, kleinere Nischen zu konstruieren, die weniger umkämpft sind. Das gilt auch für die Hochküche, denn nur wenige Köche verfügen über die Fertigkeiten, um beim feinen Essen mitspielen zu können.
Beim Abschirmen dieses Segments unterstützen zudem Restaurantführer und Gastrokritiker. Für die Hochküche gab es in Deutschland eigentlich gar keine Tradition; heute sind im Michelin knapp 300 Sterneköche verzeichnet. Es hat sich ein Markt mit mehreren hundert Millionen Euro Umsatz entwickelt.
Wie ist dieser Markt entstanden und wie ist er beschaffen? Diesen Fragen sind die Studierenden des Masterprogramms Wirtschafts- und Finanzsoziologie in einem Forschungsseminar von Christian Stegbauer im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften während des letzten Wintersemesters nachgegangen.
Wenige Köche entscheidend
Man kann sagen, dass die Hochküche in Deutschland durch Anleihen aus der französischen Küche entstanden ist. Einige der frühen Spitzenköche waren in Frankreich tätig und haben ihr Wissen von dort mitgebracht. Begleitet wurde die Marktentwicklung durch Gastronomieführer, wobei der Guide Michelin der bedeutendste und am meisten beachtete ist.
Sterne werden von ihm seit 1966 verliehen und in der Zeit danach wuchs die Zahl der vergebenen Sterne immer mehr – kaum aufzuhalten, auch nicht durch wirtschaftliche Krisen. Ein Restaurantführer definiert, was zur Hochküche gehört; damit wirkt er normbildend, insbesondere mit seiner langjährigen Orientierung an der französischen Küche.
Gleichzeitig reguliert er aber auch – wer dazu gehört und wer nicht – und wirkt somit bei der Herausbildung des Segments der Sternerestaurants mit. Wir haben untersucht, wie viele und welche Stationen die mit Sternen ausgezeichneten Köche durchlaufen haben. Mehr als ein halbes Dutzend unterschiedliche Arbeitsplätze sind im Durchschnitt bis zur Auszeichnung notwendig.
Ähnlich wie es in der Wissenschaft auch der Fall ist, liegen die Arbeitsstätten häufig im Ausland. Das muss nicht unbedingt immer Frankreich sein – es kann sich auch um eine Ferienregion, ein Kreuzfahrtschiff oder seltener ein Luxushotel in den Emiraten handeln. Besonders auffällig ist, dass zwei Restaurantchefs besonders bedeutend für die Herausbildung des Marktes sind.
In diesem Sinne hervorzuheben sind Eckart Witzigmann und sein Schüler Harald Wohlfahrt. Ein Buch benennt für Witzigmann 38 Meisterschüler; bei Wohlfahrt kommen wir bei den noch aktiven Köchen auf 28 Sterneköche, die bei ihm im Restaurant im Hotel Traube gearbeitet haben. Anders gewendet:
7 von 10 in Deutschland tätigen Dreisterneköchen und etwa 40% der Zweisterneköche haben in den Restaurants von Witzigmann und Wohlfahrt gearbeitet. Zugespitzt gesagt, wurde das Hochküchensegment von sehr wenigen Vorreitern entwickelt und ständig erweitert.
Gegenseitige Beobachtung hält die Nische zusammen
Wenn die Meister den Schülern ihr Wissen weitergeben, dann ergibt sich eine Ähnlichkeit zwischen Schülern und ihren Lehrern. Viele Übereinstimmungen gibt es auch im Marktsegment der Hochküche. Es muss mindestens so viel Überdeckung vorhanden sein, damit die Sterneküche von anderen gastronomischen Marktbereichen unterscheidbar ist.
Hierauf achtet nicht zuletzt auch der Michelinführer. Wie in anderen Märkten auch beobachten sich die Anbieter gegenseitig. Außerdem müssen sie mit ihren Kunden über ihr Produkt kommunizieren. Das wird zwar auch über Medien wie Zeitungen, TV und Blogs getan, aber am besten haben es die Anbieter auf ihren eigenen Homepages im Griff.
Dort erzählen sie Geschichten von den Chefs, den Zutaten und dem gefühlten Ambiente vor Ort. Diese Storys lassen sich analysieren und an ihnen können wir zeigen, wie sich der Markt in Subsegmente aufgliedert.
Es lässt sich grob gesagt eine Aufteilung in eher traditionelle und in modernere innovativere Restaurants ausmachen, die gleichzeitig auf ökologischen und regionalen Anbau der verwendeten Zutaten Wert legen, wie wir durch die Analyse von Sternerestaurantwebseiten mit einem Schwerpunkt in Frankfurt herausfinden konnten.
Eine andere Projektgruppe befasste sich mit den Speisekarten. Auch diese geben Auskunft über die Binnensegmentierung dieses Marktes. In den Spitzenrestaurants wird nur eine sehr geringe Anzahl an Gerichten angeboten, auch wenn teilweise Menus mit einer zweistelligen Anzahl von Gängen gewählt werden können. Heutzutage wird von vielen Zutaten die Herkunft auf der Speisekarte vermerkt.
Nach der Nouvelle Cuisine und der naturwissenschaftlich orientierten Molekularküche stehen heute eher regionale Produkte auf dem Speiseplan, was mit der Frische und Nachhaltigkeit bei der Erzeugung begründet wird. Auch verändern sich die Bezeichnungen der einzelnen Gänge. Heute werden nicht mehr so oft Zubereitungsarten angegeben, oft geben nur noch die Hauptzutaten dem Gast eine Orientierung.
Erwartungen an das Verhalten der Gäste: Umgangsformen in Sternerestaurants
Die meisten Studierenden hatten sich bis zum Seminar noch nie mit Sternerestaurants beschäftigt. So waren unterschiedliche Vorstellungen über die Benimmregeln dort in Umlauf. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Konventionen, die von den Restaurants erfüllt werden müssen.
Die Studierenden interviewten Servicekräfte und Köche von 17 Restaurants in der Ein-, Zwei- und Dreisterne-Kategorie. Meist geht es lockerer zu, als zunächst geglaubt. Eine größere Orientierung an traditionellen Konventionen finden wir an der Spitze der Hierarchie, bei den Drei- und Zweisternerestaurants.
Krawattenzwang in einem engeren Sinne gibt es nirgendwo, dennoch sieht man es zumindest in einem der untersuchten Dreisternerestaurants gerne, wenn die Gäste dem Anlass entsprechend gekleidet sind. Dort hat man sogar einige Leihkrawatten in petto. Allerdings haben wir auch herausgefunden, dass die junge Sterneküche sich von vielen solchen Zwängen deutlich wegbewegt.
Es ist offensichtlich, dass sich bestimmte Konventionen ändern – allerdings bleibt ein Bezug auf traditionelle Umgangsformen erhalten, denn die Lockerungen müssen (meist unter Bezugnahme auf die alten Formen) begründet werden. Der Service versucht, es den Gästen leicht zu machen – und nimmt ihnen so viel Last wie möglich ab.
Dabei machen sich die Bedienungen gerne durch ihre dezente Kleidung fast unsichtbar, um, das Essen selbst und den Koch in den Mittelpunkt zu rücken. »Kennernetzwerk« der Genießer Nach unserer Untersuchung ist der Koch als Star doch mehr ein Medienphänomen, denn die Restaurantnamen waren den uns interviewten zwanzig Gästen bekannter als die Köche, mit denen doch der ganze Markt steht und fällt.
Für die Marktsoziologie der letzten Jahre spielen die Kunden kaum eine Rolle. Das ist nach unseren Erkenntnissen aber ein großer Fehler, denn die Kunden sind ein wichtiger Bestandteil des Marktes und mitentschiedend für die Expansionsmöglichkeiten des Luxussegments. Ein Grund dafür ist, dass die Besucher die Restaurants weiterempfehlen und darüber im Bekanntenkreis berichten.
Allerdings erzählen die Gäste nicht jedem von ihren Besuchen in der Hochküche. Gespräche darüber werden vor allem zwischen Kennern geführt – man spricht nur mit solchen Freunden und Kollegen über die Erfahrungen, die sich ebenfalls als Gourmets geoutet haben.
Gründe dafür sind, dass man bei anderen nicht unbedingt auf Verständnis für die Essenspassion trifft, aber auch, dass man diese nicht beschämen möchte, weil sie selbst nicht so viel Geld für den Genuss ausgeben können. Durch die selektive Weitergabe des Gourmetwissens entsteht ein Kennernetzwerk, welches nach außen hin zur Schließung neigt.
Der Zugang dazu ist also gar nicht so einfach, zumal die Schwelle, ein solches Restaurant zu besuchen, doch relativ hoch ist. Die meisten Sterneesser wurden von Freunden oder Geschäftspartnern initiiert. Aber selbst dann wäre es zu einfach, nur zwischen „schmeckt“ und „schmeckt nicht“ zu unterscheiden, denn ohne eine gewisse Kennerschaft können die Kunden nicht alle Speisen, deren Zusammenstellung und das Ambiente eines solchen Restaurants würdigen.
Gegen die Schließung des Marktsegments wirkt der Abbau strikter Konventionen, den wir bei manchen Restaurants beobachten konnten. Auch der Aufbau einiger Köche mit Michelinsternen zu Fernsehstars trägt einen Teil dazu bei. Wir haben gelernt, dass selbst in Märkten, in denen Unternehmensgründungen relativ leicht möglich sind, hohe Voraussetzungen bestehen.
Hierzu gehören eine langwierige Entwicklung der Anbieterseite mit der Ausbildung von späteren Marktteilnehmern genauso dazu, wie das Mitwachsen der Nachfrageseite. Hier besteht die Aufgabe, genügend Menschen an den Genuss heranzuführen. Diese müssen sowohl über das Einkommen als auch über die Kennerschaft verfügen, um die Produkte der Sterneküche schätzen zu können.
Nachfrage und Angebot müssen sich die Waage halten. Die Geschwindigkeit des Wachstums dieses Sements bleibt also begrenzt, solange die Restauranterfahrungen nur in einem bestimmten Teil der persönlichen Netzwerke kursieren.
[Autoren: Christian Stegbauer, Max Nagel und die Teilnehmer des Forschungsseminars]
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Über das Seminar
Am Forschungsseminar nahmen 23 Studierende teil. Diese gliederten sich in sechs Teilprojekte auf. Ein Projekt versuchte, die Werdegänge von allen 307 Sterneköchen in Deutschland nachzuverfolgen. Ferner hatten wir T eilprojekte zur Analyse der Restaurantwebseiten und der Speisekarten (inhaltsanalytische Untersuchung von 30 Webseiten und sehr vielen Speisekarten, die sowohl einer Quer- als auch einer Längsschnittanalyse unterzogen wurden).
Ein weiteres Projekt beschäftigte sich mit der Entwicklung der Michelinsterne von 1966 bis heute. Studierende interviewten Servicekräfte und Chefs anhand eines Interviewleitfadens (17 Restaurants aller Sternekategorien), um etwas über die Konventionen als Basis für das Marktsegment herauszubekommen. Schließlich beschäftigte sich eine weitere Gruppe mit den Gästen und ihren Gourmetnetzwerken (20 leitfadengestützte Interviews mit Sternerestaurantbesuchern).
Was haben wir über die Sternerestaurants gelernt?
Die Befürchtung, man werde nicht satt, stimmt nicht. Wenn man ein Menü auswählt, muss man nicht das ganz große bestellen (wenn man beispielsweise die Auswahl zwischen einem Drei-, Vier-, Fünf- oder Sechsgängemenü hat). Es wurde uns gesagt, dass in der Dreigängevariante die Portionen dann etwas größer sind. Es muss also kein Gast hungrig nach Hause gehen.
Gäste haben oft die Befürchtung, sich im Sternerestaurant nicht korrekt zu benehmen. T atsächlich gibt es Benimmschulen, die auch zeigen, wie man einen Hummer korrekt zerlegt. Das ist aber in der Sterneküche gar nicht notwendig, denn so weit es geht, wird den Gästen alle Mühsal abgenommen. Wenn etwas von den Speisen auf eine bestimmte Art genossen werden soll oder zusammengehört, macht der Service die Gäste darauf aufmerksam.
Sich wirklich danebenzubenehmen, ist gar nicht so einfach – es kommt aber vor, etwa wenn Gäste ungebührlich laut werden und dadurch die anderen Besucher stören oder aufgrund von T runkenheit über die Stränge schlagen. Sich gegenseitig probieren zu lassen, gehört jedenfalls nicht zu den Vergehen, die ein Lokalverbot nach sich ziehen, obgleich zahlreiche Gerüchte dies behaupten.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.