Kulturelles Erbe des Orients in Gefahr

Das zerstörte Grabungshaus in Tell-Chuera (2015).
Das zerstörte Grabungshaus in Tell-Chuera (2015).

2015 wurde das Grabungshaus der Abteilung Vorderasiatische Archäologie an der Goethe-Universität in Tell-Chuera, im Nordosten Syriens nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei gelegen, zum großen Teil zerstört. Das Gebäude wurde 15 Jahre lang von Forschern und Studierenden der Uni im Rahmen eines Projektes zur frühen Urbanisation in Mesopotamien genutzt. Wenn er sich Bilder der Zerstörung anschaut, wird Prof. Jan-Waalke Meyer von einer Wut erfasst:

„Ein ganz und gar unsinniger Angriff auf ein Haus, das nun in Trümmern liegt. Glücklicherweise kamen bei dem Raketenangriff keine Menschen zu Schaden“, sagt der emeritierte Archäologe, der 40 Jahre lang Syrien zu Forschungszwecken bereist hat. Er kennt das Land mit seinen geographischen, kulturellen und politischen Besonderheiten sehr gut. „Wer dort Ausgrabungen macht, muss auch Arabisch können. Denn es gibt viel vor Ort zu organisieren, und die Landbevölkerung spricht kein Englisch.“

Der Kontakt zu den Syrern war dadurch auch sehr eng, dass bis zu 120 Arbeiter am Grabungsort beschäftigt waren. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Oppenheim-Stiftung finanzierte Langzeitprojekt war damit zugleich auch ein wichtiger Arbeitgeber in einer strukturschwachen Region. Auch die neu angelegten Wasser- und Stromleitungen kamen den Einheimischen zugute. Das Grabungshaus verfügte ganz traditionell über einen Außen- und einen Innenhof.

„Der so genannte Torhof war ein beliebter Treffpunkt der Deutschen und der Syrer; zum Innenhof hatten nur das Archäologen- Team Zugang, so dass sich hier die Studentinnen auch mal in kurzer Hose zeigen konnten“, erläutert Meyer. Die klimatischen Bedingungen vor Ort sind anspruchsvoll: Tagestemperaturen von über 45 Grad und Wasserknappheit fordern dem europäischen Gast einiges ab. Zudem war auch die Unterbringung im Grabungshaus sehr einfach, geschlafen wurde teilweise auf dem Dach des Hauses.

Studierende legen gemeinsam mit syrischen Arbeitern einen Fußbodenbefund frei. Das Mauerwerk aus ungebrannten Lehmziegeln ist an den Wänden gut erkennbar.
Studierende legen gemeinsam mit syrischen Arbeitern einen Fußbodenbefund frei. Das Mauerwerk aus ungebrannten Lehmziegeln ist an den Wänden gut erkennbar.

„Dagegen sind Ausgrabungen in Deutschland mit den gemäßigten Temperaturen Mitteleuropas und der Unterbringung in Jugendherbergen fast schon Luxus“, betont Dirk Wicke. Der Forscher, seit Anfang 2015 als Professor für Vorderasiatische Archäologie und Nachfolger von Jan-Waalke Meyer an der Goethe-Universität tätig, hat zuletzt sieben Jahre lang in der Türkei Ausgrabungen durchgeführt. „Dort ist die Infrastruktur zwar besser als in Syrien, andererseits stößt man auf viele Widerstände seitens der Bürokratie, was angesichts der politischen Entwicklungen der letzten Jahre eher noch zugenommen hat.“

Wicke möchte demnächst im Nordirak Ausgrabungen durchführen, hofft darauf, dass die Lage dort politisch stabil bleibt. Studierende in Tell-Chuera Seit 1995 konnten 100 Studierende der Goethe-Universität in Tell-Chuera die in der Studienordnung vorgesehenen praktischen Erfahrungen sammeln. „Jeder, der in der Zeit in Frankfurt Archäologie studiert hat, war mindestens einmal in Syrien“, sagt Meyer. Zahlreiche studentische Abschlussarbeiten, die noch im Entstehen sind, werden sich mit der obermesopotamischen Siedlung befassen.

2011 war der Archäologe selber zum letzten Mal in Syrien, kurz nachdem der Bürgerkrieg ausgebrochen war: „Die Situation wurde allmählich zu gefährlich, sodass unsere Studierenden das Land verlassen mussten.“ Die Region wurde in der Folge vom Islamischen Staat erobert, mittlerweile haben die Kurden das Gebiet unter ihrer Kontrolle. Zurück blieb der Wächter des Grabungshauses, mit ihm standen Meyer und sein Team seitdem regelmäßig in Kontakt.

Über Spenden des Frankfurter Fördervereins ENKI e. V., der auch einen Teil der Grabungen finanziert hat, konnten dem Mann und seiner Familie Geld überwiesen werden. Wie schätzt Meyer die Situation im Land ein? „Die Lage ist sehr verfahren; ich denke nicht, dass in Syrien in absehbarer Zeit wieder stabile politische Verhältnisse hergestellt werden können.“ Daher geht Meyer auch davon aus, dass die syrischen Flüchtlinge in Deutschland bleiben werden, da ihnen eine Rückkehr verwehrt bleibt.

„Es sind nach meiner Einschätzung überwiegend Menschen aus Städten, die in der Regel über eine recht gute Bildung verfügen. Das wird ihre Integration in Deutschland wesentlich erleichtern, allerdings wird ihr Knowhow beim Wiederaufbau in Syrien fehlen.“ Illegaler Handel mit Kulturgut Der IS hat sich auf die Fahnen geschrieben, vor allem vorislamische Kulturstätten zu zerstören. Die religiöse Begründung, so die Einschätzung von Jan-Waalke Meyer, ist nur vorgeschoben, er betrachtet die Aktionen als reine Propaganda.

Jan-Waalke Meyer (links unten) beim Organisieren der Arbeit mit den Einheimischen (2008).
Jan-Waalke Meyer (links unten) beim Organisieren der Arbeit mit den Einheimischen (2008).

Gleichwohl bedrohen sie auf massive Weise die Arbeit von Archäologen des Vorderen Orients, deren wichtigste Forschungsstätten im Irak und in Syrien liegen. Die Bedrohung ist für die Forscher vor Ort eine reale: Kürzlich wurde bei der Zerstörung wichtiger Bauwerke im syrischen Palmyra deren Chefarchäologe, Khaled Asaad, gefoltert und anschließend enthauptet. „Mit ihm habe ich öfter zusammengearbeitet“, erzählt Meyer. Dirk Wicke sieht die Arbeit von Generationen von Archäologen ausgelöscht, wenn der IS mit Bulldozern über altorientalische Städte wie Nimrud hinwegrollt.

Er hofft, dass nach Ende des Krieges zumindest einige der zerstörten Gebäude wieder aufgebaut und beschädigte Objekte restauriert werden können. Wichtige Kulturstätten werden aber nicht nur zerstört, sondern auch geplündert. Deutschland spielt im internationalen Handel mit Diebesgut aus Grabungsstätten eine wichtige Rolle. Die geplante Novellierung des Kulturgüterschutzgesetzes soll genau da ansetzen: Die Einfuhr von Funden zweifelhafter Provenienz soll unterbunden werden; zudem sollen illegal gehandelte Antiken beschlagnahmt und an die Herkunftsländer zurückgegeben werden.

Das Forschungsprojekt ILLICID wird dieses Feld in den nächsten drei Jahren genauer untersuchen. Daneben haben sich über die Initiative shirin (http://shirin-international.org/) Grabungsleiter zusammengetan, um Verluste an Antiken zentral zu erfassen. Fürchtet Meyer, dass auch Tell-Chuera einer Plünderung und Zerstörung anheimfallenkönnte? „Nein, der Ort ist für Grabräuber eher uninteressant, da es nur wenig für den Handel verwertbare Objekte gibt. Ungeöffnete, komplett erhaltene Gräber sind begehrt.

Am meisten illegaler Handel wird mit Tontafeln betrieben. Nach den Irakkriegen wurde der Markt damit förmlich überschwemmt“, sagt Meyer. Nach der Zerstörung des Grabungshauses wurden die Funde im zerstörten Magazin, die für die Forschung wichtig, aber für Diebe uninteressant sind, von kurdischen Forschern gesichert. Ob und wann Archäologen der Goethe-Uni wieder mit den Funden arbeiten können, scheint aber im Augenblick ungewiss.

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