Intuitiv möchte man meinen, viel Licht ist gut für die Seele und zu wenig schlecht. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Über die komplexen Zusammenhänge zwischen Licht und seelischen Erkrankungen.
Führt zu wenig Lichteinstrahlung dazu, dass man sich deprimiert fühlt? Jedem fällt da sofort die mittlerweile zu zweifelhaftem medialem Ruhm gelangte »Winterdepression« ein. Und sind nicht auch die Skandinavier anfälliger für Depressionen? Es wäre doch kein Wunder, wo es doch dort ein halbes Jahr lang fast nachtdunkel sein kann? Die Richtung stimmt, doch die Zusammenhänge sind komplexer. Sowohl Stimmungserkrankungen als auch das Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) sind unter anderem durch veränderte Lichteinstrahlung bedingt.
ADHS und Stimmungserkrankungen
Bei der Entstehung von ADHS scheint Licht in zweifacher Weise beteiligt zu sein. Der erste, sehr verblüffende Befund wurde vor zwei Jahren veröffentlicht (Arns et al., Biol Psychiat 2013). Es konnte in drei Datensätzen mit mehreren Tausend Patienten aus zehn Ländern gezeigt werden, dass eine höhere Intensität der Sonnenlichteinstrahlung (Kilowattstunden pro Quadratmeter und Tag) vor der Entstehung von ADHS schützt. Während als Grund auch unterschiedliche diagnostische Gepflogenheiten in den verschiedenen Ländern ins Feld geführt werden könnten, ist das innerhalb der USA eher unwahrscheinlich – aber auch dort zeigt sich dieses Muster (Abb. 1). Der genaue Mechanismus, über den höhere Sonnenlichteinstrahlung vor ADHS schützt, ist noch unklar.
Daneben gibt es aber auch noch einen ganz anderen, heutzutage sehr aktuellen Zusammenhang zwischen ADHS und Licht: Smartphones, Tablets und LCD-Bildschirme emittieren blaues Licht, das auf die circadiane Uhr einwirkt. Der übermäßige – heutzutage aber schon fast normale – Gebrauch dieser Geräte zu später Stunde bringt die Innere Uhr durcheinander. Das hat besonders bei ADHS-Patienten nachteilige Folgen, da bei ihnen von Natur aus schon eine Störung dieses Mechanismus vorliegt. Deshalb gilt: Bei ADHS haben iPhone & Co. nachts Pause!
Bei der großen Gruppe der Stimmungserkrankungen sticht im Zusammenhang mit Licht die jahreszeitlich bedingte (»saisonale«) Depression (englisch: seasonal affective disorder, SAD) heraus. Deren typisches Merkmal ist das Auftreten im Herbst oder Winter, mit spontaner Remission im Frühjahr. Häufig finden sich atypische Symptome wie vermehrtes Verlangen nach Kohlenhydraten oder Tagesmüdigkeit; die depressive Verstimmung ist dagegen oft nur mittelgradig ausgeprägt. Bei diesem saisonalen Muster liegt es nahe, die geänderten Lichtbedingungen als Ursachen anzusehen, wobei es natürlich noch andere Mechanismen geben könnte – wie Temperatur und Nahrungsangebot. Dennoch gilt die längere Dunkelphase als der wahrscheinlichste Kandidat für die umgangssprachlich als »Winterdepression« bezeichnete Stimmungserkrankung. Es zeigt sich auch ein deutlicher Nord-Süd-Gradient hinsichtlich der Anfälligkeit gegenüber der SAD: So liegt die Rate dieser Erkrankung in Alaska bei fast 10 Prozent der Bevölkerung, in Florida dagegen bei 1,5 Prozent.
Ein nicht geringer Anteil der SAD entfällt nach neueren Studien interessanterweise auf eine saisonal verlaufende bipolar affektive Störung (früher »manisch-depressive Erkrankung «) mit einer depressiven Auslenkung im Herbst/Winter und einer hypomanen Phase (leicht gehobene Grundstimmung) im Frühjahr. Aber auch darüber hinaus hat Licht eine wichtige Rolle in der Entstehung der bipolaren Erkrankung. In einer weltweiten Serie von Untersuchungen, an der ein Team der Frankfurter Universitätsklinik für Psychiatrie ebenfalls beteiligt war, konnte gezeigt werden, dass das Ersterkrankungsalter der bipolaren Störung in den Regionen am niedrigsten war, in denen es den größten monatlichen Zuwachs der Sonneneinstrahlung gibt (zum Beispiel Mexiko oder Norwegen); (Bauer et al., 2012 und 2014). Auch eine geringere tägliche Sonnenscheinzeit am Geburtsort führt zu einer früheren Ersterkrankung (Bauer et al., 2015) (Abb. 2). Die Lichteinstrahlung scheint also schon recht früh im Leben das Erkrankungsrisiko zu beeinflussen, vor allem bei den Patienten, die ein genetisches Risiko für diese Erkrankung aufweisen.
Bei der »normalen«, nichtsaisonalen unipolaren Depression scheint Licht dagegen keine so große Rolle zu spielen, auch gibt es keine Hinweise auf ein aussagekräftiges geografisches Muster. Die Mär des depressiven Skandinaviers ist eben genau das: eine Mär. Vielmehr scheinen genetische Hintergrundeffekte eine Rolle zu spielen; so ist die Suizidrate (als Anhaltspunkt für depressive Erkrankungen) in Finnland beinahe doppelt so hoch wie im nicht minder kalten und im Winter dunklen Island. Eine im Durchschnitt geringere Suizidrate in Regionen in der Nähe des Äquators lässt sich jedoch nicht leugnen.
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AUF DEN PUNKT GEBRACHT
- Eine höhere Intensität des Sonnenlichts am Geburtsort verringert das Risiko, an einer bipolaren Störung oder ADHS zu erkranken.
- Bei Patienten mit ADHS und bipolar affektiven Erkrankungen besteht eine genetische Disposition zu einer leicht veränderten molekularen Uhr. Wird diese dann noch zusätzlich durch veränderte Beleuchtungsmuster, zu wenig Licht oder Licht zur falschen Zeit desynchronisiert (beispielsweise durch das blaue Licht von Tablets oder Smartphones), trägt dies zum Erkrankungsrisiko bei.
- Lichttherapie ist eine ungefährliche und nebenwirkungsarme effektive Behandlungsmethode bei saisonalen Depressionen, vermutlich ist sie auch unterstützend wirksam bei nichtsaisonalen Depressionen und ADHS.
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Molekulare Mechanismen
Wie im Artikel »Das Licht und die Innere Uhr« von Prof. Horst-Werner Korf ausgeführt, wirkt Licht vor allem auf die Synchronisation der »molekularen Uhr«, die auf einem komplexen Zusammenspiel der Expression unterschiedlicher Gene beziehungsweise Proteine (CLOCK, BMAL, PER, CRY, ARNTL und so weiter) beruht. Interessanterweise konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass diese molekulare Uhr bei ADHS wie auch bei der bipolaren Erkrankung gestört ist – sowohl funktionell als auch auf genetischer Ebene: Es wurden zum Beispiel genetische Varianten der genannten Moleküle beschrieben, die häufiger bei Patienten als bei Kontroll-Personen gefunden werden konnten. Dies könnte nun den Mechanismus erklären, wie Licht und die genannten Erkrankungen zusammenhängen: Bei den Patienten besteht eine genetische Disposition zu einer leicht veränderten molekularen Uhr. Wird diese dann noch zusätzlich durch veränderte Beleuchtungsmuster – zu wenig Licht, Licht zur falschen Zeit oder aber durch andere chronobiologische Variablen, zum Beispiel Wechselschichtarbeit oder Zeitverschiebung – desynchronisiert, führt dies über noch unbekannte weitere Mechanismen zur Erkrankung. Nur bei gegebener Veranlagung kann Licht also krank machen. Es kann aber auch heilen, wie der nächste Absatz zeigt.
Licht als Therapie
»Therapeutisches Licht« (Bright Light Therapy, BLT) wird üblicherweise durch eine helle Lichtquelle (10.000 Lux) appliziert, und zwar für circa 30 Minuten bei offenen Augen im Abstand von 50 bis 60 Zentimeter zur Lichtquelle. Dieses Licht ist bei der saisonalen Depression eine gängige, hilfreiche und auch von den Kassen übernommene Behandlungsmethode. Aber auch bei der nichtsaisonalen Depression kann BLT hilfreich sein. Die Studienlage ist allerdings noch recht dünn, so dass in der (sich aktuell in Revision befindlichen) Nationalen Versorgungsleitlinie noch keine Empfehlung hierfür ausgesprochen wird. Die alleinige Verwendung von BLT ist vermutlich wenig effektiv, allerdings scheint dieses therapeutische Licht den Effekt antidepressiver Medikation zu unterstützen: Die Besserung verläuft rascher und profunder (zumBeispiel Güzel Özdemir et al., J Clin Psychiatry 2015). Da die publizierten Studien bislang positiv sind und BLT so gut wie keine Nebenwirkungen hat, wird diese Therapieform auch routinemäßig in der Frankfurter Universitätsklinik eingesetzt.
Auch bei ADHS gibt es eine – wenngleich kleine – Studie zur Lichttherapie bei Erwachsenen. Hier wurde die Lichttherapie ebenfalls morgens durchgeführt, und es zeigt sich, dass dadurch die ADHS-Kernsymptome gebessert werden. Es wird spekuliert, ob die Verbesserung auch dem Zusammenhang zwischen Sonnenlicht-Intensität und ADHS-Prävalenz zugrunde liegt – sozusagen mehr Sonnenlicht als natürliche BLT. Die Grundidee ist, dass die Anlage zur Erkrankung im gleichen Prozentsatz wie unter lichtärmeren Verhältnissen zwar da ist, die Symptome aber durch die natürliche Lichttherapie nicht zum Ausbruch kommen beziehungsweise gehemmt werden. Hier besteht jedoch noch großer Forschungsbedarf, weshalb im nächsten Jahr ein internationales Forschungskonsortium unter Leitung unserer Klinik den therapeutischen Effekt von Licht bei ADHS genauer untersuchen wird.
Fazit
Die Rolle von Licht bei psychiatrischen Erkrankungen ist also vielschichtig. Über seine Rolle als Synchronisator der Inneren Uhr interagiert es mit einem komplexen molekularen Mechanismus, der – möglicherweise schon genetisch bedingt – bei Stimmungserkrankungen und ADHS gestört ist. Kontrollierte Lichtapplikation trägt dann aber auch wieder zu einer Synchronisation der Inneren Uhr bei, was man sich therapeutisch zunutze machen kann. Weitere Studien sind aber dringend nötig, um Licht in das Dunkel der Pathogenese psychischer Erkrankungen zu bringen – im wahrsten Sinne des Wortes!
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Die Autoren
Prof. Dr. Andreas Reif, 44, ist seit August 2014 Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Universitätsklinikums der Goethe-Universität. Seine klinisch-wissenschaftlichen Schwerpunkte sind affektive Störungen und hierbei insbesondere die bipolar affektive Störung sowie ADHS. Zur besseren Erforschung und Behandlung dieser Erkrankungen über die gesamte Lebensspanne gründete er kürzlich zusammen mit Prof. Dr. Christine Freitag, Direktorin der hiesigen Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie fünf weiteren Kollegen das Deutsche Zentrum für Entwicklungspsychiatrie (D-ZEP).
andreas.reif@kgu.de
Dr. Christine Reif-Leonhard, 45, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie und arbeitet als Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie der Universitätsklinik Frankfurt. Sie leitet die Ambulanz der Klinik. Zu ihren klinischen Schwerpunkten gehören affektive Störungen sowie die Gerontopsychiatrie, hier insbesondere die Depression im Alter.
christine.reif-leonhard@kgu.de
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Literatur
1 Arns M. et al. (2013), Geographic Variation in the Prevalence of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: The Sunny Perspective, Biol Psychiatry 74:585–590.
2 Bauer M. et al. (2012), Impact of sunlight on the age of onset of bipolar disorder, Bipolar Disord. 14(6):654–663.
3 Bauer M. et al. (2014), Relationship between sunlight and the age of onset of bipolar disorder: an international multisite study, J Affect Disord. 167:104–111.
4 Bauer M. et al. (2015), Influence of light exposure during early life on the age of onset of bipolar disorder, J Psychiatr Res. May; 64:1–8.
5 Güzel Özdemir et al. (2015), Comparison of venlafaxine alone versus venlafaxine plus bright light therapy combination for severe major depressive disorder, May; 76(5):e645–54.
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Der Beitrag ist erschienen in Forschung Frankfurt 2/2015. Licht und Psyche