Wie Sportlerinnen und Sportler im Hochleistungsbereich noch besser individuell gefördert werden können, dazu forscht jetzt ein Forschungsverbund, an dem die Universitäten Gießen und Frankfurt sowie die Deutsche Sporthochschule Köln beteiligt sind. Die Goethe-Universität übernimmt in dem vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderten Projekt sowohl bewegungs- und trainingswissenschaftliche Anteile als auch das Datenmanagement des gesamten multidisziplinären Projekts.
Wer im Spitzensport Erfolg haben will, muss konsequent und hart trainieren, mental bestens auf Wettkampfsituationen vorbereitet sein, Techniken beherrschen, auf die eigene Gesundheit achten und sich selbst sehr genau kennen. Das Training im Spitzensport muss daher stärker denn je auf die individuellen Aspekte der Athletinnen und Athleten zugeschnitten sein, um deren Leistungen in den unterschiedlichen Sportarten zu optimieren. Eine solche Individualisierung spielt eine wichtige Rolle bei der Leistungsdiagnostik, der Trainingsgestaltung und der Regeneration; sie bezieht psychische Faktoren, Ernährung und Unterstützungsleistungen mit ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig- Universität Gießen, der Goethe-Universität Frankfurt und der Deutschen Sporthochschule Köln haben sich jetzt im Forschungsverbund „Individualisierte Leistungsentwicklung im Sport“ zusammengefunden, um den deutschen Spitzensport in den kommenden Jahren wissenschaftlich zu begleiten.
Das Konsortium wird das Thema aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven betrachten, um die Individualität der Leistungsentwicklung besser zu verstehen und zu erklären. Diagnostikinventare zur Erfassung leistungsbestimmender Einfluss- und Bedingungsfaktoren sowie individualisierte Trainingsstrategien werden entwickelt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden dabei eng mit Trainerinnen und Trainern sowie Athletinnen und Athleten zusammenarbeiten. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft fördert das Projekt zunächst für vier Jahre mit insgesamt zwei Millionen Euro.
An dem Forschungsverbund sind seitens des Instituts für Sportwissenschaft der JLU Prof. Dr. Karsten Krüger, Sporttherapie und Leistungsphysiologie (Sprecher des Konsortiums), und Prof. Dr. Michael Mutz, Sozialwissenschaften des Sports, beteiligt. Dem Konsortium gehören zudem zwei Professorinnen der Goethe-Universität Frankfurt an: Prof. Dr. Karen Zentgraf, Bewegungs- und Trainingswissenschaft, und Prof. Dr. Lena Wiese, Informatik. Von der Deutschen Sporthochschule Köln ist der Sportpsychologe Prof. Dr. Dr. Markus Raab beteiligt.
Zudem sind zahlreiche Sportverbände und Praxispartner mittels einer Kooperationsvereinbarung in das Projekt eingebunden, darunter der Deutsche Volleyball-Verband (DVV), der Deutsche Turner-Bund (DTB), der Deutsche Eishockey-Bund (DEB), der Deutsche Basketball-Bund (DBB), der Bob und Schlittenverband für Deutschland (BSD) und der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF) sowie sieben Olympiastützpunkte: Bayern, Berlin, Brandenburg, Rhein-Neckar, Hessen, Niedersachsen, Stuttgart.
Arbeitsgruppen im Konsortium „Individualisierte Leistungsentwicklung im Spitzensport“
Die Arbeitsgruppe Sporttherapie und Leistungsphysiologie um Prof. Dr. Karsten Krüger, Justus-Liebig-Universität Gießen, untersucht die genetischen Voraussetzungen für ein effektives Training sowie zahlreiche molekulare Marker im Blut, welche die Substratversorgung und den physiologischen Stresszustand der Athletinnen und Athleten nachweisen. Ein Fokus liegt dabei auf der Berücksichtigung von Zyklusphasen in der Trainingsplanung von Athletinnen. Auch die Mikrobiota stehen im Fokus der Untersuchungen, da aktuelle Studien einen Zusammenhang zwischen Darmgesundheit und Leistungsentwicklung belegen.
Die Arbeitsgruppe Sozialwissenschaften des Sports um Prof. Dr. Michael Mutz, JLU, bezieht leistungsrelevante Umweltbedingungen sowie karriererelevante Entscheidungen der Athletinnen und Athleten mit ein. Dazu gehören zum Beispiel die Zusammensetzung von Mannschaften und Trainingsgruppen, soziale Unterstützungsleistungen im sportlichen und persönlichen Umfeld, finanzielle Anreizstrukturen, aber auch individuelle Entscheidungen für oder gegen eine „duale Karriere“, etwa für oder gegen den Beginn eines Studiums neben dem Leistungssport. Diese Rahmenbedingungen können unmittelbar auf Trainings- und Wettkampfleistungen abfärben, haben aber auch Einfluss auf psychologische Komponenten wie zum Beispiel Leistungsmotivation oder Stresserleben.
Die Arbeitsgruppe Bewegungs- und Trainingswissenschaft um Prof. Dr. Karen Zentgraf, Goethe-Universität Frankfurt nimmt vor allem die trainings- und bewegungswissenschaftliche Individualdiagnostik in den Blick, die bisher für die Trainingssteuerung noch eine eher untergeordnete Rolle spielte. Beispielhaft dafür sind diagnostische Verfahren zu sogenannten Doppeltätigkeitskosten – wenn Entscheidungen in komplexen Spielsituationen unter hoher Belastung getroffen werden –, auf die Sportart spezifisch ausgelegte Leistungstests sowie die individuelle Trainingssteuerung im Zusammenhang mit Schnellkraftleistungen oder Hormonschwankungen.
Es ist ein breit aufgestelltes Datenmanagementsystem geplant, zu dem Prof. Dr. Lena Wiese, Goethe-Universität Frankfurt, die Informatikexpertise beisteuert. Um die komplexen, disziplinspezifischen Diagnostiken sowie die Trainings- und Wettkampfdaten der Fachverbände zusammenzuführen und auszuwerten, ist die Entwicklung eines integrierten Datenbanksystems vorgesehen. Neben den wissenschaftlichen Analysen werden die Daten unter Einbeziehung von Erfahrungen der Trainerinnen und Trainer betrachtet, um für einzelne Athletinnen und Athleten individuelle Maßnahmen abzuleiten, um die Trainingsarbeit zu optimieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Für die Untersuchung und Bedeutung der im Spitzensport relevanten psychischen Aspekte wird schließlich die Arbeitsgruppe Sportpsychologie um Prof. Dr. Dr. Markus Raab, Deutsche Sporthochschule Köln, im Forschungsteam mit Dr. Laura Bröker, Dr. Babett Lobinger, Dr. Lisa Musculus ihre Expertise einbringen. Die Gruppe nimmt unter anderem interindividuelle Unterschiede psychischer Verhaltensvoraussetzungen in den Blick, um Leistungsentwicklungen und hohe Trainingsantworten besser vorhersagen zu können.