Neue Stoffklassen für Nanomaterialien: Nano-Bälle und Diamantsplitter aus Silizium und Germanium

Die Siliziumkugel [Cl@Si20H20]−, die erstmals von Chemikerinnen und Chemikern der Goethe-Universität Frankfurt synthetisiert wurde und neue Anwendungen in der Halbleitertechnik verspricht. Blau: Silizium, grün: Chlorid-Ion, grau: Wasserstoff. Grafik: Goethe-Universität Frankfurt

Zwei neue Stoffklassen im Bereich der Nanomaterialien haben Chemiker der Goethe-Universität Frankfurt entwickelt und zusammen mit ihren Kooperationspartnern an der Universität Bonn untersucht: Erstmals gelang die Herstellung eines Nano-Balls aus Siliziumatomen und eines Bausteins für einen diamantähnlichen Kristall der Halbleiter-Elemente Silizium und Germanium. Die beiden neuen Stoffklassen haben Anwendungspotenziale zum Beispiel in der Miniaturisierung von Computerchips, bei hochauflösenden Bildschirmen etwa für Smartphones oder in Solarzellen und Leuchtdioden mit höchsten Wirkungsgraden.

Nur wenige Nanometer groß sind die neuesten Generationen von Computerchips, die durch die fortschreitende Miniaturisierung immer energiesparender und leistungsfähiger werden. Da die klassischerweise verwandten Ätzverfahren bei der Chipherstellung zunehmend an ihre Grenzen stoßen, ist die Entwicklung neuer, nanostrukturierter Halbleitermaterialien essenziell. Auch bei der Umwandlung von Strom in Licht und umgekehrt spielen solche Nano-Halbleiter eine zentrale Rolle.

Einem Team der Goethe-Universität Frankfurt unter der Leitung von Matthias Wagner gelang jetzt die Synthese molekularer Nanobälle aus 20 Siliziumatomen, so genannter Silafullerane. Bei der zweiten neuen Stoffklasse handelt es sich um Kristall-Bausteine aus 10 Silizium- und Germaniumatomen, die eine Diamant-ähnliche Struktur haben. Entscheidende Einblicke in die elektronischen Strukturen der neuen Verbindungen gewährten computergestützte theoretische Analysen aus der Bonner Forschungsgruppe von Stefan Grimme.

Baustein für Silizium-Germanium-Legierungen: Ein Ausschnitt aus dem in Frankfurt synthetisierten Silizium-Germanium-Adamantan (ohne Substituenten). Blau: Silizium, magenta: Germanium. Grafik: Goethe-Universität Frankfurt

Die 20 Siliziumatome des Silafullerans bilden einen Körper, der aus regelmäßigen Fünfecken zusammengesetzt ist, einen Dodekaeder. Er umschließt ein Chlorid-Ion. An jeder Siliziumecke des Körpers ragt ein Wasserstoffatom nach außen. Doktorand Marcel Bamberg, der das Molekül synthetisiert hat, erklärt: „Unser Silafulleran ist der lange gesuchte Stammvater dieser neuen Stoffklasse. Denn die Wasserstoffatome kann man leicht durch funktionelle Gruppen ersetzen und dem Silafulleran dadurch verschiedene Eigenschaften verleihen.“ Der Bonner Quantenchemiker Markus Bursch ergänzt: „Diese gezielte Erzeugung potentiell nützlicher Eigenschaften unterstützen wir durch theoretische Vorhersagen der sich ergebenden Effekte.“

Das Silizium-Germanium-Adamantan repräsentiert den Baustein einer gemischten Silizium-Germanium-Legierung. Benedikt Köstler, der die Verbindungen im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelt, sagt: „Jüngste Studien haben gezeigt, dass Silizium-Germanium-Legierungen den reinen Silizium-Halbleitern in wichtigen Anwendungsbereichen überlegen sind. Die Herstellung solcher Legierungen ist allerdings sehr schwierig, und man erhält häufig Mischungen unterschiedlicher Zusammensetzung. Uns ist es gelungen, einen einfachen Syntheseweg für den Grundbaustein von Silizium-Germanium-Legierungen zu entwickeln. Unser Silizium-Germanium-Adamantan ermöglicht daher die Untersuchung wichtiger chemischer und physikalischer Eigenschaften von Silizium-Germanium-Legierungen am molekularen Modell. Außerdem wollen wir sie künftig zur Herstellung von Silizium-Germanium-Legierungen mit fehlerfreien Kristallstrukturen nutzen.“

Der den Elementen Silizium und Germanium chemisch sehr ähnliche Kohlenstoff kommt in vergleichbaren Formen vor wie die beiden neuen Stoffklassen: Hohlkugeln aus Kohlenstoffatomen („Fullerene“) entsprechen den Silafulleranen, und aus Adamantan-Untereinheiten sind die aus Kohlenstoff bestehenden Diamanten zusammengesetzt. Fullerene erhöhen zum Beispiel den Wirkungsgrad organischer Solarzellen, könnten die Batterien von Elektroautos sicherer machen und verheißen Fortschritte in der Hochtemperatur-Supraleitung. Nanodiamanten finden ebenfalls vielfältige Anwendungen, die von der Pharmazie bis zur Katalyseforschung reichen.

Vor diesem Hintergrund sind die Forscher in Frankfurt und Bonn gespannt, auf welchen Gebieten sich ihre Silafullerane und Silizium-Germanium-Adamantane durchsetzen werden. Matthias Wagner meint: „Mit nanostrukturiertem Silizium und Germanium in Form von Quantenpunkten lässt sich bereits heute Licht in allen Farben des sichtbaren Spektrums erzeugen, was für Computer- und Handydisplays und in der Telekommunikation erprobt wird. Abgesehen vom chemisch-technischen Potenzial fasziniert mich persönlich die hohe Symmetrie unserer Verbindungen: So ist unser Silafulleran einer der fünf platonischen Körper und einfach zeitlos schön.“

Publikationen:

(1) Marcel Bamberg, Markus Bursch, Andreas Hansen, Matthias Brandl, Gabriele Sentis, Lukas Kunze, Michael Bolte, Hans-Wolfram Lerner, Stefan Grimme, Matthias Wagner: [Cl@Si20H20]: Parent Siladodecahedrane with Endohedral Chloride Ion. J. Am. Chem. Soc. 2021, 143, 10865–10871  https://doi.org/10.1021/jacs.1c05598 

(2) Benedikt Köstler, Michael Bolte, Hans-Wolfram Lerner, Matthias Wagner: Selective One-Pot Syntheses of Mixed Silicon-Germanium Heteroadamantane Clusters. Chem. Eur. J. https://doi.org/10.1002/chem.202102732

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