Sind hochentwickelte Demokratien inhärent instabil?

Ein Physiker berechnet die Stabilität westlicher Demokratien: Prof. Claudius Gros. Foto: Bernd Hartung

Die politischen Turbulenzen, die viele westliche Demokratien derzeit heimsuchen, lassen sich naturwissenschaftlich erklären: Claudius Gros, Professor für Theoretische Physik, macht in seiner Analyse das ungleiche Tempo von politischer Willensbildung und politischem Handeln dafür verantwortlich.

Fernsehen, Mobiltelefonie, Internet – die moderne Kommunikation trägt dazu bei, dass sich der Prozess der politischen Meinungsbildung immer mehr beschleunigt. Die politischen Akteure und Institutionen hingegen brauchen unter Umständen noch immer Jahre, um auf die Bedürfnisse der Wähler einzugehen. „Aus der Theorie der dynamischen Systeme ist bekannt: In einer solchen Situationen wird der der Status quo unausweichlich instabil“, sagt Prof. Claudius Gros vom Institut für Theoretische Physik der Goethe-Universität.

In einer systemtheoretischen Analyse hat Gros ein Modell entwickelt, mit dem sich der Zustand der Demokratie als Funktion der Werte der Wähler bestimmen lässt. In diesem Modell reagieren die politischen Eliten typischerweise erst nach einer Verzögerung von bis zu einigen Jahren auf veränderte soziopolitische Konstellationen. Hinsichtlich der Wähler wird darüber hinaus angenommen, dass diese sich ihrerseits erst dann mit Nachdruck engagieren, wenn sich die Lage in ihren Augen deutlich verschlechtert hat.

Das Ergebnis der Untersuchungen ist potentiell für das Verständnis der politischen Turbulenzen relevant, die sich in den vergangenen Jahren in vielen westlichen Demokratien gezeigt haben. Falls verifiziert werden kann, dass die politische Meinungsbildung in der Tat tendenziell immer schneller abläuft, dann werden moderne Demokratien unausweichlich solange von Instabilitäten in der Form von sich selbst verstärkenden „Schweinezyklen“ heimgesucht werden, solange die politischen Akteure neu auftretende Probleme lediglich mit substantiellen Verzögerungen angehen. In der Folge wird sich die unterschwellige Tendenz zu selbst-verstärkenden Entwicklungen immer wieder in dem jeweils aktuellen soziopolitischen Kontext manifestieren.

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Publikation: Claudius Gros, Time delays versus accelerating opinion dynamics: Are advanced democracies inherently unstable? European Physical Journal B 90, 223 (2017); https://epjb.epj.org/articles/epjb/abs/2017/11/b170341/b170341.html
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Quelle: Pressemitteilung vom 15. November 2017

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