Erst besuchten sie eine ganz normale Geschichts-Übung, stöberten in Archiven und ließen sich für die Mitarbeit an einem genuinen Forschungsprojekt begeistern. Nun haben vier Studierende an der Humboldt-Universität ihren ersten Vortrag gehalten.
Genau betrachtet hätten Maren-Christine Klute, Felix Schneider und Christoph Chodorowski vielleicht schon im Wintersemester 2016/17 ahnen können, dass das Thema dieser Lehrveranstaltung sie so schnell nicht mehr loslassen würde. Schließlich bot es einen Mix verschiedener Themen, z. B. Heimatkunde, Nationalsozialismus und Ethik der Wissenschaft:
Der Althistoriker Roland Färber und der Wissenschaftshistoriker Fabian Link wollten als Dozenten-Tandem mit den Studierenden untersuchen, ob Altertumswissenschaftler der Goethe-Universität ihre Forschungsschwerpunkte und Wortwahl während des NS-Regimes an die vorherrschende völkische Ideologie anpassten und wie nahe sie dem Nationalsozialismus standen.
„Die Geschichte der eigenen Universität kritisch zu betrachten ist hier immer wieder ein Thema. Seit der Veröffentlichung von Hammerstein 1989 ist viel passiert“, erklärt Link das gemeinsame Anliegen. Sehr bald schon wählten die meisten der 21 Teilnehmer einen Wissenschaftler der Zeit zwischen 1914 und 1950 aus oder ließen sich für Querschnittsthemen wie die akademische Lehre, die Infrastruktur in Gestalt von Sammlungen, Bibliotheken und Finanzen oder die Entnazifizierung nach dem Krieg begeistern.
Mit Unterstützung von Michael Maaser, Leiter des Uni-Archivs, und seinem Team bekamen sie Unterlagen in die Hand, die teilweise noch niemand vor ihnen erforscht hatte. Praktische Archivarbeit ist eine Besonderheit, wenn man Geschichte studiert. „Gängig ist sie nicht mehr“, wissen die Dozenten. „Wir werteten Personalakten, Biographien und Habilitationsschriften aus und verglichen die Arbeiten der Professoren vor 1933 mit denen nach 1945“, erklärt die Lehramtsstudentin Maren-Christine Klute.
„Mit etwas Glück fanden wir auch politische Gutachten aus der NS- und Nachkriegszeit“, sagt Felix Schneider, der Geschichte im Nebenfach studiert. „Seinen“ Wissenschaftler, Hermann Langerbeck, bewertet er als angepasst, nicht extrem. „ Dennoch trat er noch sehr spät, 1940, in die NSDAP ein.“ Wesentlich stärker in die völkische Richtung tendierte ein anderer Kandidat, Professor Franz Altheim.
Er arbeitete auch am SS-Ahnenerbe mit. Die Übung machte viel Arbeit, zugleich aber auch viel Spaß. „Manchmal hat einen die Menge an teils widersprüchlichen Berichten von Zeitzeugen zur politischen Gesinnung eines Professors fast erschlagen“, sagt Christoph Chodorowski. Als die Dozenten zum Ende des Semesters fragten, wer denn seine Studien weiterführen wolle, um an einer wissenschaftlichen Veröffentlichung der Forschungsergebnisse mitzuarbeiten, meldeten sich immerhin 15 Teilnehmer. Charlotte Hamway, die im vierten Semester Geschichte studiert, sowie fünf weitere wurden „dazurekrutiert“.
Sammelband in der Mache
2018 soll der Sammelband über die Altertumswissenschaften von 1914 bis 1950 erscheinen. 10 bis 20 Seiten über einen Wissenschaftler oder die Infrastruktur von damals beizutragen klingt nicht nach viel Arbeit. Dennoch boten Färber und Link im Sommersemester mehrmals eine „Schreibwerkstatt“ an, in der gemeinsam an den Beiträgen gefeilt wurde. Auch Reisen zu Archiven in Berlin, Leipzig oder Marburg waren nötig.
Für finanzielle Unterstützung sorgen der Alumni-Verein Historiae Faveo und QSL-Mittel vom Historischen Seminar. Die außergewöhnliche Aufgabe und die enge Zusammenarbeit mit den Dozenten motivierte die Studierenden zur Extraaufgabe „nur für die Ehre und das Prestige“, wie Färber schmunzelnd anmerkt. „So ist das in der Wissenschaft, wir sind eben kein Wirtschaftsbetrieb.“
Als er den Studierenden vorschlug, dass eine Delegation sich um die Teilnahme an der zweiten Konferenz für studentische Forschung an die Humboldt- Universität bewirbt, waren Klute, Schneider, Chodorowski und Hamway spontan dazu bereit. Sie arbeiteten ein Abstract aus und wurden ausgewählt, in Berlin einen 15-minütigen Vortrag zu halten. Dessen Konzeption war wieder mit etwas Aufwand neben dem sonstigen Uni-Alltag verbunden, wie alle bezeugen.
„Schließlich repräsentiert man die Uni und die Dozenten“, sagt Schneider. Ohne die Dozenten und ohne Eltern, wie manche der anderen 120 Teilnehmer, haben sie sich gut geschlagen in Berlin und sind stolz darauf. „Wir waren die einzigen in unserer Sektion, die mit der Zeit gut hinkamen. Das hatten wir aber auch lange genug geübt, um noch Zeit für eine Diskussion im Anschluss zu haben“, betont Klute.
„Wir haben uns im Vorfeld mindestens fünf Mal getroffen.“ ‚Gegrillt‘ habe das Publikum sie nicht, erzählen die Vier ihren beiden Dozenten beim Nachtreffen. Aber die Fragesteller hätten schon eindeutige Aussagen aus ihnen herauskitzeln wollen. Ihre Fragen hätten teilweise weg vom Thema geführt, hin zu Wehrmacht und Täterforschung.
„Wir mussten einen Exkurs machen und erklären, dass die Frankfurter Universität immer schon eher links angesiedelt war und Professoren ohne nationalsozialistische Gesinnung länger als anderswo unbehelligt arbeiten konnten“, sagt Schneider. Sie hätten sich einer Schwarz-Weiß-Einordnung verwehrt. „Komplexe Themen kann man nicht in ein paar Sätzen aufarbeiten“, weiß Chodorowski und Hamway resümiert:
„Letztendlich haben wir uns Professoren angesehen, die sich durchlaviert haben. Die gern gelehrt und geforscht haben, und um das nicht zu gefährden und Geldquellen aufzutun, zu gewissen Zugeständnissen bereit waren.“ Ziel der Konferenz war es, zu interdisziplinärem und internationalem Diskurs anzuregen, denn Studierende aller Fachrichtungen waren eingeladen. Den vier Berlin-Reisenden hat das sehr gefallen.
Sie können sich gut vorstellen, ein solches Event nach Frankfurt zu holen, auch um für stärkere Präsenz der Geisteswissenschaften zu sorgen. Die seien in Berlin ein bisschen kurz gekommen. Gut finden sie auch, dass die Universität Oldenburg, die im Vorjahr die erste studentische Konferenz austrug, ein Journal zu studentischer Forschung herausgibt.
Dem Berufsziel Wissenschaftler ein Stück näher
Die Dozenten machen ihnen Mut: „Fragt im Präsidium nach. Verliert die Idee nicht aus dem Auge.“ Denn forschendes Lernen stehe an Hochschulen derzeit hoch im Kurs. Dass die Wissenschaft ihnen als mögliches Berufsziel nähergerückt ist, können alle bejahen, selbst Klute mit ihrem Lehramtsstudiengang. Hamway sagt: „Ich habe von Anfang an eine akademische Laufbahn angestrebt.
Die Konferenz hat mich darin bestärkt, dass es etwas ist, was man erreichen kann.“ Es sei eine tolle Erfahrung, „Informationen nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu produzieren“. Schneider kann sich nach seiner Erfahrung als Vortragender gut vorstellen, nach dem Bachelor in Richtung Didaktik/Lehramt zu gehen. „Ich habe Blut geleckt.“ Und Chodorowski haben die Erfahrungen in Berlin geholfen, sein Thema für die Bachelorarbeit zu finden.
„Die Verbindung von Neuzeit und Antike finde ich spannend.“ Leuchtende Augen bekommen die Vier, wenn sie von der sehr guten Betreuung durch Roland Färber und Fabian Link sprechen. Dafür hätten sie auch manches „schonungslose“ Feedback hingenommen „Das ist fast ein Bruch mit dem modernen Uni-Betrieb. Wir hatten so einen engen Kontakt zu den Dozenten, wie Studierende es früher gewohnt waren.“
Die Dozenten freut es. Den großen Vorteil der Zusammenarbeit mit Studierenden bei einem Forschungsprojekt sehen sie in kurzen Wegen und ihrer Steuerungsfunktion. „Einen Sammelband innerhalb von zwei Jahren mit lauter unabhängigen Wissenschaftlern herauszubringen, wäre gar nicht möglich“, weiß Link. „Außerdem forscht man ja auch ein bisschen mit“, erklärt Färber.
Er kann sich bei dem Nachtreffen nicht verkneifen, auf das „Bergfest“ der Veröffentlichung Mitte November hinzuweisen: „Dann sollen alle Beiträge in überarbeiteter Form vorliegen.“ Die, die noch nicht so weit sind, grinsen. Mit hohen Erwartungen können sie mittlerweile ganz gut umgehen.
[Autorin: Julia Wittenhagen]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.