Wie »gute« Darmbakterien gefährliche Erreger bekämpfen könnten
Dank Antibiotika haben bakterielle Infektionen ihren Schrecken weitgehend verloren. Für Menschen mit geschwächtem Immunsystem, zum Beispiel nach einer Transplantation, sind die Erreger jedoch nach wie vor lebensgefährlich, besonders, wenn sie gleich mehrere Antibiotikaresistenzen ausgebildet haben. Auf diese multiresistenten Bakterien hat es Maria Vehreschild abgesehen. Ihre Waffe: die »guten« Darmbakterien.

Während er im Mutterleib heranreift, ist der Mensch – auch sein Darm – steril, also frei von Bakterien und Mikroorganismen. Das ändert sich mit der Geburt radikal: Nach und nach wird der Mensch von Mikroorganismen besiedelt. Die meisten von ihnen tummeln sich im Darm, wo die Darmbakterien ein gutes Kilogramm zum Körpergewicht eines Erwachsenen beitragen. Bakterien sind allerdings viel kleiner als menschliche Zellen, und so besitzt der Mensch in seinem eigenen Körper quasi ein Gegenüber: Schätzungen zufolge stehen den 30 Billionen menschlichen Körperzellen ebenso viele Bakterienzellen gegenüber. Die verteilen sich auf bis zu 200 verschiedene Arten, deren Anteil und Zusammensetzung sich im Laufe des Lebens verändert, auch wenn jeder Mensch schon früh im Leben ein so-
genanntes Kernmikrobiom ausbildet. Dabei spielt unsere Ernährung ebenso eine Rolle wie unser Alter. Die Bakterien (und die weiteren Mikroorganismen) profitieren vom dauernden Nahrungsnachschub, leisten aber dafür Vielfältiges für den Menschen, indem sie zum Beispiel Ballaststoffe aufschließen, Vitamine herstellen und Verdauungsprozesse fördern. Sie bilden ein dynamisches, sehr komplexes Ökosystem – das es Eindringlingen schwer macht, dort Fuß zu fassen. Auch dies ist für den Menschen sehr nützlich, denn so bildet das Mikrobiom noch vor den Zellen der Darmschleimhaut eine erste Barriere gegen bakterielle Krankheitserreger.
Zwar glaubte man lange Zeit, den Erregern mit einem breiten Spektrum vermehrungshemmender Antibiotika beikommen zu können, jedoch werden seit einigen Jahren die Grenzen dieser Therapie immer deutlicher sichtbar: Bakterien sind sehr anpassungsfähig und können Resistenzen entwickeln, auch gegen mehrere Antibiotika gleichzeitig, wodurch sie zur lebensbedrohenden Gefahr werden (siehe auch S. 40, »Resistente Erreger im Visier«).
Dabei gilt: Für gesunde Menschen mit einem guten Abwehrsystem sind multiresistente Bakterien in der Regel harmlos. Viele Gesunde tragen sogar multiresistente Erreger in sich, ohne es zu wissen und ohne selbst zu erkranken. Im Krankenhaus kann es allerdings gefährlich werden, denn bei Operationen zum Beispiel besteht die Gefahr, dass multiresistente Erreger in die OP-Wunde eindringen und dann Infektionen auslösen, die zu Komplikationen führen. Besonders anfällig für Infektionen sind Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Krankheiten wie zum Beispiel HIV oder Diabetes können dafür verantwortlich sein. Auch bei Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer Krebserkrankung eine Chemotherapie erhalten, ist die Immunabwehr nicht so gut wie bei gesunden Menschen.
Transplantatempfänger besonders gefährdet
Bei Empfängern von Organ- oder Stammzellentransplantaten wird die Immunabwehr üblicherweise sogar medikamentös extra bis zu einem gewissen Grad unterdrückt, damit der Körper die fremden Stammzellen oder das fremde Organ nicht abstößt. Eine weitere Gruppe mit hohem Risiko, sich mit multiresistenten Erregern zu infizieren, sind Menschen, die aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung auf eine regelmäßige Blutwäsche – Dialyse – angewiesen sind.
»Dialysepatienten halten sich wie Transplantatempfänger häufig in Krankenhäusern auf, wo aufgrund vieler kranker und geschwächter Menschen trotz aller Hygienemaßnahmen resistente Bakterien besonders verbreitet sind. Dadurch sind vor allem Haut und Darm von Transplantatempfängern und Dialysepatienten oft mit multiresistenten Erregern besiedelt, die später lebensbedrohliche Infektionen auslösen können«, erklärt Prof. Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt. So haben beispielsweise chinesische Wissenschaftler rückblickend die Häufigkeit von Infektionen mit multiresistenten Erregern bei mehr als 2100 Organtransplantat-Empfängern bestimmt. Demnach kam es bei 91 Organtransplantierten (entspricht 4,6 Prozent) zu solchen Infektionen, von denen 36 tödlich verliefen.
Bei einem Krankenhausaufenthalt werden immungeschwächte Patienten üblicherweise routinemäßig daraufhin untersucht, ob sie Träger multiresistenter Bakterien sind. Ist dies der Fall, müssen sie in Einzelzimmern isoliert werden. »Handelt es sich bei den Bakterien um Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), die auf Haut und Schleimhäuten siedeln, kann man versuchen, sie durch bestimmte Waschverfahren zu entfernen. Für multiresistente Enterobacteriaceae-Erreger aus dem Darm gibt es aber noch keinen nachweislich funktionierenden Ansatz«, sagt Vehreschild. Mit einer Studie, die sie gemeinsam mit Partnern aus dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung plant, soll sich das ändern.
Die Idee: Mikroorganismen aus dem Stuhl gesunder Menschen werden auf Transplantatempfänger oder Dialysepatienten mit multiresistenten Darmbakterien übertragen. Das übertragene Darm-Mikrobiom, wie die Gesamtheit der Mikroorganismen genannt wird, soll dann in Nährstoffkonkurrenz mit den multiresistenten Erregern treten und diese quasi aushungern. »Aus Fallserien und einer klinischen Studie ist bekannt, dass bei manchen Menschen der Mikrobiom-Transfer vorhandene multiresistente Bakterien eliminiert oder zumindest deutlich reduziert. Allerdings gibt es große Unsicherheiten über die Erfolgsrate, die zudem mit 20 bis 60 Prozent unbefriedigend ist«, so Vehreschild.
Mikrobiom in Kapseln

Worauf gründet sich die Hoffnung, dass das Ergebnis der geplanten Studie besser ausfällt? Zum einen auf Vehreschilds großer Erfahrung mit der Mikrobiom-Übertragung. Bereits 2013 hat die Medizinerin an der Universität Köln erste Transfers bei Patientinnen und Patienten durchgeführt, die unter wiederkehrenden Durchfällen litten, verursacht durch Infektionen mit dem Bakterium Clostridioides difficile. Sie war die Erste in Europa, die verkapselte Präparate für den Transfer herstellte. Diese Kapseln, die die Bakterien des Stuhlspenders enthalten, werden von den Patientinnen und Patienten wie ein Medikament geschluckt. In individuellen Heilversuchen eingesetzt, ist die fäkale Mikrobiom-Übertragung zur Therapie hartnäckiger Infektionen mit Clostridioides difficile sehr erfolgreich: 80 bis 90 Prozent der Behandelten sind danach frei von dem Durchfallerreger.
2020 wurde an der Universität Köln ein GMP-Labor (GMP = Good Manufacturing Practice, Gute Herstellungspraxis) zur Herstellung der Kapseln eröffnet, das Vehreschild bis heute neben ihrer Haupttätigkeit am Universitätsklinikum Frankfurt leitet. Das Labor rekrutiert mögliche Stuhlspenderinnen und Stuhlspender, die dann zunächst ausführlich auf ihre Eignung hin geprüft werden. »Die Anforderungen sind noch höher als bei Blutspendern. Denn über die Bakterien im Stuhl weiß man weniger als über die Bestandteile im Blut, so dass man noch mehr Vorkehrungen treffen muss, um alle Risiken auszuschließen«, berichtet Vehreschild.
Aufwendiges Screening
Jeder Spendenwillige muss einen sehr detaillierten Fragebogen beantworten. Nur wer aufgrund seiner Antworten als völlig gesund eingestuft werden kann, erreicht die nächste Phase, das Screening: Blut und Stuhl des Kandidaten werden unter anderem daraufhin untersucht, ob er eine chronische Infektion hat oder mit multiresistenten Erregern besiedelt ist. Nur etwa jeder zehnte Kandidat wird dann tatsächlich Stuhlspender.
Die Spende muss dann im Zeitraum von sechs Wochen in einer Toilette des Labors abgegeben werden. Aus dem Stuhl stellen die Labormitarbeiterinnen und Labormitarbeiter die Mikrobiom-Kapseln her. Anschließend prüfen sie, ob die Kapseln genügend lebende Bakterien enthalten und ob die Bakterien tatsächlich unschädlich sind. Erst wenn diese Prüfung bestanden ist und der Spender nach einer sechswöchigen Pause ein erneutes Screening erfolgreich absolviert hat, werden die Präparate für Heilversuche oder medizinische Studien freigegeben. Dieses Vorgehen wird auch bei der Studie zu den multiresistenten Erregern einen hohen Qualitätsstandard beim Mikrobiom-Transfer sicherstellen.
Der zweite Grund, der für ein positiveres Ergebnis der geplanten Studie gegenüber den bisherigen Fallserien spricht: Die organtransplantierten oder chronisch nierenkranken Menschen sollen individuell unterschiedliche, also personalisierte Mikrobiom-Kapseln erhalten. Dazu kultivieren die Forschenden zunächst die multiresistenten Erreger aus dem Darm des Patienten im Labor. Dann bringen sie – ebenfalls im Labor – die entstandene Bakterienkultur mit dem Mikrobiom verschiedener Stuhlspenderinnen und Stuhlspender zusammen. »Wir werden beobachten, welches fäkale Mikrobiom die Erregerkultur am besten verdrängt. Das Mikrobiom, das am besten funktioniert, setzen wir dann beim jeweiligen Patienten ein«, erklärt Vehreschild.
Und noch in einem weiteren Punkt soll sich die geplante Studie von bisherigen Untersuchungen unterscheiden: Das Forscherteam plant, eine Gruppe der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern vor der Mikrobiom-Übertragung mit Antibiotika vorzubehandeln. Denn es gibt Studien, die vermuten lassen, dass sich neue Bakterien im Darm besser ansiedeln, wenn die etablierte mikrobielle Konkurrenz zunächst geschwächt wird. Ob diese Vorbehandlung etwas bringt, wird der Vergleich mit einer zweiten Patientengruppe zeigen, die statt Antibiotika Placebos erhält. Vorgesehen ist, dass 76 Patientinnen und Patienten aus sechs Universitätskliniken an der Studie teilnehmen. Mit Ergebnissen rechnet Vehreschild frühestens in drei Jahren.
Enormes Wissen über Darm-Mikrobiom
Die Studie kommt genau zur richtigen Zeit. Die Zahl der Forschungsarbeiten über das Mikrobiom ist in den letzten Jahren nahezu explosionsartig angestiegen. Immer deutlicher wird, dass die Billionen von Mikroorganismen auf und im Menschen unseren Stoffwechsel und unser Immunsystem maßgeblich beeinflussen. »Das Wissen über die Darmflora und ihre Bedeutung hat enorm zugenommen. Jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem es für die Patientinnen und Patienten interessant wird«, ist Vehreschild überzeugt.
Auf dem Weg in die Praxis sind allerdings auch Hürden zu überwinden, die nichts mit Wissenschaft zu tun haben. Das zeigt das Beispiel der Behandlung von wiederkehrendem infektiösem Durchfall mittels Mikrobiom-Transfers. Obwohl der Mikrobiom-Transfer aufgrund von Studiendaten in medizinischen Leitlinien empfohlen wird, gibt es in Europa noch kein Mikrobiom-Präparat, das als Medikament zugelassen ist. »Es müsste ein Unternehmen geben, das eine Zulassungsstudie zum Beispiel mit unseren Präparaten durchführt, um solche Präparate dann zur Zulassung und auf den Markt zu bringen. Bisher ist es mir aber nicht gelungen, ein Unternehmen dafür zu motivieren«, bedauert Maria Vehreschild.

Zur Person / Maria Vehreschild, Jahrgang 1979, studierte an der Charité Berlin Humanmedizin und promovierte an der TU München. Sie forschte an der Uniklinik Köln, wurde 2012 Fachärztin für Innere Medizin, 2015 für Hämatologie und Onkologie und habilitierte sich an der Universität zu Köln. 2018 wurde sie Professorin für Infektiologie an der Goethe-Universität und leitet seitdem den Schwerpunkt Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Darüber hinaus leitet sie weiterhin die Cologne Microbiota Bank an der Uniklinik Köln, wo Mikrobiota-Transfer-Produkte für klinische Studien hergestellt werden. Vehreschild koordiniert im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) die Thematische Translationseinheit »Antibiotika-resistente und mit dem Gesundheitswesen assoziierte bakterielle Infektionen«.
vehreschild@med.uni-frankfurt.de

Der Autor / Frank Frick, promovierter Chemiker, arbeitet seit rund 25 Jahren als freier Wissenschaftsjournalist. Er schreibt für Zeitschriften, Forschungseinrichtungen und forschende Unternehmen. Er lebt in Bornheim bei Bonn.