Wenn das Herz die Nerven verliert

Wie wirken Nerven und Blutgefäße im alternden Herzen zusammen? Jüngste Forschungsergebnisse des Instituts für Kardiovaskuläre Regeneration und des Cardio-Pulmonary Institute der Goethe-Universität geben neue Einblicke in Alterungsprozesse des Herzens. Sie werden nun im renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht.

Nervenfasern im jungen und im alten Herzen: Im Alter kann es zu einer gestörten Blutgefäß-Nerven-Kommunikation kommen, bei der Blutgefäße Botenstoffe, wie das Semaphorin-3A, ausschütten und damit eine Rückbildung von Nerven fördern. Dies führt zu einem Verlust der autonomen Kontrolle der Herzfunktion im Alter (Copyright ©Olha Saiuk via Canva.com, bearbeitet von Julian Wagner und Katharina Schulenburg)

Warum kommt das alternde Herz öfter aus dem Takt? Es ist vor allem die linke Herzkammer, die das Blut durch den Körperkreislauf pumpt, aber im Lauf des Lebens Spuren des Alterns zeigt: Sie wird größer und kann mitunter vernarben, was die Pumpfunktion beeinträchtigt. Die Studie „Ageing impairs the neuro-vascular interface in the heart“ des Instituts für Kardiovaskuläre Regeneration und Cardio-Pulmonary Institute der Goethe-Universität und des Deutschen Zentrums für Herzkreislaufforschung (DZHK) weist nun erstmals nach, dass es in der linken Herzkammer auch an der Schnittstelle von Blutgefäßen und Nervensystem im Alter zu Veränderungen kommt: Die Nerven bilden sich zurück. Dem Herzen fällt es danach schwerer, auf entsprechende Anforderungen unter Belastungssituationen mit der Herzschlagfrequenz, dem Puls, zu reagieren. Es kommt sozusagen aus dem Takt. Die Erkenntnisse der Frankfurter Wissenschaftler:innen wurden soeben im angesehenen Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht.

Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Stefanie Dimmeler und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Julian Wagner widmete sich dem Zusammenspiel zwischen Nervensystem und Blutgefäßen im Herzen. Während schon länger bekannt ist, dass die das Herz mit Blut versorgenden Gefäße in ihrer Funktion mit zunehmendem Alter nachlassen, war bisher nicht bekannt, ob die Wechselwirkung mit den das Herz versorgenden Nerven durch den Alterungsprozess ebenfalls beeinflusst werden kann. Nun konnte das Team nachweisen, dass sich in alten Herzen die Nerven zurückbilden. Ausgelöst wird diese Reaktion dadurch, dass Blutgefäße im Herzen mit zunehmendem Alter u.a. den Botenstoff Semaphorin-3A in ihre Umgebung freisetzen, der das Wachstum und die Aussprossung von Nervenzellen im Herzmuskelgewebe hemmt. Die Folge der verringerten Nerven im Herzen selbst ist, dass die Herzmuskelzellen nicht mehr von Impulsen der Nervenzellen „informiert“ werden, etwa durch einen schnelleren Herzschlag einen erhöhten Bedarf der Sauerstoffversorgung des Körpers unter Belastung zu gewährleisten. Das Herz verliert somit einen Teil der autonomen Kontrolle über die Herzfrequenz, was möglicherweise auch langfristig nachteilige Konsequenzen für das Überleben haben dürfte, wie klinische Beobachtungen nahelegen.

Eine zentrale Rolle für den Rückgang der Nervenzellen im Herzen scheinen alternde, sogenannte ‚seneszente‘ Zellen des Gefäßsystems zu spielen. Verhindert man experimentell die Anzahl dieser ‚seneszenten‘ Zellen durch gezielte Medikamente (sogenannte Senolytica), wachsen die Nervenzellen wieder nach, und das Herz gewinnt die autonome Kontrolle über die Pulsregulation wieder zurück. Inwieweit sich diese Behandlungs-Ansätze jedoch auf den Menschen übertragen lassen, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.

Mit ihren Erkenntnissen über ein gestörtes Zusammenspiel von Blut- und Nervenzellen im Herzgewebe, das mit zunehmendem Alter einhergeht, rücken die Frankfurter Forscher einen bislang weitgehend unbeachteten Schwerpunkt der Herzforschung in den Vordergrund.

Das Institut für Kardiovaskuläre Regeneration und das Cardio-Pulmonary Institute der Goethe-Universität (CPI) bzw. das Deutsche Zentrum für Herzkreislaufforschung weist darauf hin, dass diese Erkenntnisse zum Verständnis der Herzgesundheit im Zusammenhang mit dem Alterungsprozess beitragen. Diese Forschung stelle einen wichtigen Schritt dar, um die komplexen Mechanismen besser zu verstehen, die Herzkrankheiten zugrunde liegen. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten möglicherweise neue Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eröffnen.

Das Cardio-Pulmonary Institute ist ein gemeinsames Exzellenzcluster von Goethe-Universität und Justus-Liebig-Universität Gießen, die die Federführung des Clusters innehat.

Publikation: Wagner JUG, Tombor L, Malacarne PF, Kettenhausen L-M, Panthel J, Kujundzic H, Manickam N, Schmitz K, Cipca M, Stilz KA, Fischer A, Muhly-Reinholz M, Abplanalp WT, John D, Mohanta S, Weber C, Habenicht A, Buchmann GK, Angendohr S, Amin E, Scherschel K, Klöcker N, Kelm M, Schüttler D, Clauss S, Guenther S, Boettger T, Braun T, Bär C, Pham M, Krishnan J, Hille S, Müller O, Bozoglu T, Kupatt C, Nardini E, Osmanagic-Myers S, Meyer C, Zeiher AM, Brandes RP, Luxán G, Dimmeler S. „Ageing impairs the neurovascular interface in the heart“. Science (2023).

Relevante Artikel

Moderne Verfahren zur Bewegungsanalyse des Kiefers (hier Jaw Motion Analyzer) ermöglichen eine erweiterte Diagnostik, ergänzen die Therapieoptionen und unterstützen beim Krankheitsverständnis. Foto: Poliklinik für zahnärztliche Prothetik

Auf der Suche nach dem richtigen Biss

Die CMD-Ambulanz ist Anlaufstelle vieler Patienten mit Diagnosen von Zähneknirschen bis hin zu komplexen Funktions­störungen des Kausystems Eine Fehlfunktion von

Häufig nicht eindeutig: Ein Fünftel der Menschen, die mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sind, haben keine auffälligen Leberwerte – dafür aber zum Teil rheumatische Beschwerden. Foto: James Cavallini/Science Photo Library

Doktor KI in Hausarztpraxen

Mit Künstlicher Intelligenz zur richtigen Diagnose Im Projekt SATURN suchen Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit Forschenden aus der Informatik nach

Die Blüten der Königskerze (Verbascum densiflorum) werden häufig Hustentees beigemischt, weil sie als reizstillend und schleimlösend gelten. Foto: Uwe Dettmar

Noch nicht in voller Blüte

Wann pflanzliche Medikamente helfen könnten Pflanzliche Arzneimittel haben nichts mit Homöopathie oder ­Nahrungsergänzung zu tun. Und doch unterscheiden sie sich

Um Patienten besser auf große Operationen vorzubereiten, wurde bei Capreolos eine spezielle App entwickelt. Foto: Privat

Starthilfe für schnelles Wachstum

Um Forschungsergebnisse in die praktische Umsetzung zu bringen, helfen Innovectis und Unibator beim Überwinden von Hürden Aus dem Fachbereich Medizin

Maike Windbergs, Foto: Uwe Dettmar

Treffsicher ins Ziel

Neue Strategien sollen Wirkstoffe genau dorthin bringen, wo sie gebraucht werden Das beste Medikament ist völlig nutzlos, wenn der Wirkstoff

Hochdurchsatzanalyse: Ein Pipettierroboter bereitet Proben für die Proteinanalyse vor. Nach chromatographischer Auftrennung werden massenspektrometrisch die Molekularmassen bestimmt. Foto: Uwe Dettmar

Ein Werkzeugkasten für neue Arzneistoffe

Neue Substanzbank soll Forschung und Arzneimittelentwicklung beschleunigen Viele Medikamente basieren auf Kleinmolekülen. Sie entfalten ihre heilende Wirkung im Körper, indem

Öffentliche Veranstaltungen
Rüdiger Weber, Foto: Jürgen Lecher, Goethe-Universität Frankfurt

Rüdiger Weber, Finanzwissenschaftler

Auf einmal wird es ganz einfach: Seit einem halben Jahr hat Rüdiger Weber am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften die Stiftungsprofessur „Alternative Investments“

Eine Drohne fliegt über ein überschwemmtes Gebiet. Copyright: PhotoChur/Shutterstock

Podcast: Cybersicherheit im Drohnenschwarm

Wenn Feuerwehr und Polizei bei einer Katastrophe wie der Ahrtal-Überschwemmung oder bei plötzlichen Prügeleien während einer Großdemonstration eine schnelle Übersicht

Helfen, weil einem selber geholfen wurde

Die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) der Goethe-Universität ist ein niedrigschwelliges Angebot für alle Studierenden. Ein kürzlich erfolgter Spendenaufruf zielt darauf, das

You cannot copy content of this page