Wie die Goethe-Universität zu einer Stiftungsprofessur für Experimentalphysik kam

In ihrem Physikstudium an der Goethe-Universität nach dem Krieg fühlt Gisela Eckhardt sich unerwünscht und ausgebremst. Sie geht daraufhin in die USA und macht dort eine wegweisende Entdeckung. 60 Jahre später kommt Eckhardt mit ihrer Universität wieder in Kontakt – und hinterlässt ihr als erste Alumna ein Vermögen. Nun wird die Gisela-und-Wilfried-Eckhardt-Stiftungsprofessur mit der Festkörperphysikerin Olena Fedchenko besetzt.

Studierte an der Goethe-Universität und gilt nach einer Entdeckung des Raman-Lasers als eine der Pioniere der Laserphysik: die Frankfurterin Gisela Eckhardt (Foto: privat)

Wie entschlossen muss eine Zwölfjährige sein, die nach dem Tod des Vaters von der Mutter einfordert, testamentarisch zu verfügen, einmal Physik studieren zu dürfen? Wie entschieden hat diese junge Frau ihr Ziel vor Augen, wenn sie ihrem Partner von Anfang an klarmacht: keine Kinder!? Denn Gisela Elsholtz, so ihr Mädchenname, will eine selbstbestimmte Frau und Forscherin sein. Genauer: Sie will experimentelle Physikerin sein.

So lässt sie sich auch nicht von einem ersten Hindernis aufhalten: In den Wirren der Nachkriegszeit muss sie für das letzte Schuljahr vom Mädchen-Gymnasium an die bislang Jungen vorbehaltene Wöhlerschule wechseln. An der neuen Schule merkt sie schnell, dass sie bisher nur „Mathe light“ kennengelernt hatte, wie sie es selbst formuliert. In kürzester Zeit holt sie fehlenden Stoff nach und schneidet auch in Mathematik im Abitur bemerkenswert gut ab.

Als Gisela Elsholtz sich 1947 an der Universität Frankfurt für Physik einschreibt, erfährt sie schon bald, dass sie auch für ihre Berufswahl genau dies brauchen wird: eine sehr besondere Entschlossenheit. „Ich bin nicht aggressiv, aber sehr hartnäckig“, wird sie später über sich sagen. Da blickt sie bereits auf ein Studium und einen Berufsweg zurück, in der ihr Männer immer wieder Boden streitig machen. Nach der Einschreibung an der Goethe-Universität nämlich sucht Gisela Elsholtz auf dem Aushang der 40 zugelassenen Studenten ihren Namen in alphabetischer Reihenfolge vergebens – sie findet ihn am Ende, auf Platz 41. Was Gisela Elsholtz erst später erfährt: Diesen Erfolg hat sie ihrem Physiklehrer und damaligen Präsidenten des Physikalischen Vereins Ludwig Protz zu verdanken. Als einzige Frau am Institut wird Gisela Elsholtz nun von 1947 an Physik studieren können.

Früh meldet Gisela Elsholtz sich für die Diplomprüfung an, wird aber in der Warteliste weit zurückgestuft. Und auch ihre Promotion wird sich um Jahre verzögern, weil ihr Doktorvater sich weigert, sie notwendige Änderungen am Versuchsaufbau vornehmen zu lassen. Wütend macht sie der Zeitverlust auch noch im hochbetagten Alter.

Eine der hundert einflussreichsten Frauen der Optikforschung

Es scheint, dass Gisela Eckhardt – sie ist inzwischen mit ihrem Studienkollegen Wilfried Eckhardt verheiratet – nach dem Abschluss ihres Studiums nicht mehr bereit ist, gravierende Störmanöver weiter hinzunehmen. Denn nach ersten Bewerbungen und der Erfahrung, dass ihr Gehalt als Physikerin im Nachkriegsdeutschland weit unter dem ihres ebenfalls promovierten Mannes liegen würde, entschließen sich beide 1958, nach Amerika zu gehen, das damalige Mekka der Physikforschung. Auch dort wird sie als Frau weniger verdienen als männliche Kollegen, aber sie kann ihren Traum verwirklichen: Sie kann forschen. Nach zwei Jahren in Princeton wechselt sie zu den Hughes Research Laboratories in Malibu, eines der in Kalifornien boomenden Hochtechnologie-Unternehmen. Dort wird ihre Forschung 1962 sogar weit über die Grenzen des Instituts bekannt: Eckhardt kann mit anderen zeigen, wie sich mit Hilfe des sogenannten Raman-Effekts Laserstrahlen in fast jeder beliebigen Wellenlänge erzeugen lassen – eine Entdeckung, die der Lasertechnik neue Möglichkeiten eröffnet. Dass Laser heute für viele verschiedene Zwecke genutzt werden, dass mit ihnen Daten übertragen, Entfernungen gemessen und Tumore operiert werden können, ist auch Eckhardts bahnbrechender Arbeit zu verdanken. Die Harvard University führt Gisela Eckhardt als „one of the early pioneers“ der Laserphysik auf, die wissenschaftliche Gesellschaft „Optical Society of America“ (OSA) zählt sie zu    den hundert einflussreichsten Frauen der Optikforschung im vergangenen Jahrhundert.

Nach einem Artikel in „Physics World“ über Eckhardts Pionierleistung in der Laserforschung wird auch die Nobelpreistauglichkeit der Raman-Laser-Erfindung 2015 erneut sondiert – schon zum Zeitpunkt der Entdeckung wurde darüber spekuliert, allerdings auch damals ohne Erfolg. Der Beitrag in „Physics World“ ist mit ein Grund dafür, dass wir Gisela Eckhardts Lebensgeschichte heute überhaupt kennen: Denn der Beitrag würdigt sie nicht nur als Mitentdeckerin des Raman-Lasers. Er führt auch dazu, dass in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Porträt über die prominente Laserspezialistin erscheint. Seit ihrer Übersiedlung in die USA verbringt Gisela Eckhardt jedes Jahr einige Wochen im Elternhaus im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, auch um sich als Erbin und Gesellschafterin um den familiären Elektrohandel zu kümmern, den sie erst im Jahr 2000 verkauft hat. Der Leiter der Privaten Hochschulförderung der Goethe-Universität Andreas Eckel wird auf den redaktionellen Beitrag aufmerksam und bietet der Alumna als späte Wiedergutmachung ein Treffen mit dem Fachbereich Physik an – mit inzwischen immerhin drei Professorinnen und etlichen Nachwuchsforscherinnen. Gisela Eckhardt ist hocherfreut. Nach dem Besuch, zu dem 2017 kommt, vergehen nur wenige Monate, bis die 91jährige die Initiative ergreift, der Universität die Anschaffung eines Raman-Lasers zu ermöglichen.

Die 91jährige Alumna trifft u.a. mit Professorinnen und etlichen Nachwuchsforscherinnen des Fachbereichs Physik zusammen (Foto: Goethe-Universität)

Wie sich jedoch in den weiteren Gesprächen herausstellt, ist ihr dies nicht genug. Als wohlhabende Frau und großzügige Spenderin kennt Gisela Eckhardt auch das US-amerikanische Spendenwesen. Im Verlauf des sich immer persönlicher bis zum „Du“ entwickelnden Austauschs mit Eckel äußert die geistig fitte und noch sportlich aktive 92-Jährige deutlich ihr Bedauern darüber, dass von ihr aufgrund der Kinderlosigkeit „nichts bleiben würde“, weder in der Forschung – insbesondere bei der Förderung von Frauen – noch in ihrer Heimatstadt. Als Reaktion darauf schlägt Eckel ihr vor, sich für die Einrichtung einer Stiftungsprofessur mit ihrem Namen einzusetzen. Sie ergänzt sofort, dass auch der Name ihres Mannes genannt werden solle, da sie ohne ihn nicht in die USA gegangen wäre. Auch den Umstand, dass eine solche Professur aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen geschlechtsneutral ausgeschrieben werden müsste, also nicht Frauen vorbehalten sein könne, akzeptiert sie. Der weitere Dialog geht laut Eckels Erinnerung ungefähr so: „Und wieviel, meinst Du, muss ich investieren?“ „Ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag sollte es schon sein und natürlich muss ich mit dem Präsidium und dem Fachbereich sprechen.“ „Gut.“ Pause. „Und dafür trägt die Professur für zehn Jahre meinen Namen und den meines Mannes?“ „Ja, Eure Namen werden fester Bestandteil.“

Details der gewünschten Stiftungsprofessur für experimentelle Physik sind noch nicht besprochen, als Gisela Eckhardt am 30. Januar 2020 mit 93 Jahren stirbt. Den Wunsch, der Goethe-Universität eine größere Summe zu hinterlassen, hat sie da bereits testamentarisch festgelegt. Was nun beginnt, ließe sich als Marathon einer erbschaftsrechtlich hochkomplexen Nachlassverwaltung des internationalen Erbfalls beschreiben. Nach knapp drei Jahren und regem Austausch zwischen Testamentsvollstreckern in den USA, der Schweiz und Deutschland steht das Stiftungsvermögen für die Universität fest: Es beträgt rund 11,5 Millionen Euro. Ausreichend für einen Stiftungsfonds, aus dem langfristig eine Stiftungsprofessur für experimentelle Physik finanziert werden kann.

Olena Fedchenko erhält Gisela-und-Wilfried-Eckhardt-Stiftungsprofessur

Olena Fedchenko besetzt die neue Gisela-und-Wilfried-Eckhardt-Stiftungsprofessur und stärkt damit entscheidend die experimentelle Kompetenz in der Festkörperphysik des Fachbereichs Physik (Foto: Kateryna Fedorenko)

2024 wird die Stiftungsprofessur – genau: Gisela-und-Wilfried-Eckhardt-Stiftungsprofessur für Experimentalphysik im Bereich Festkörper-Spektroskopie elektronisch korrelierter Materialien – ausgeschrieben und zur Freude des Fachbereichs mit einer ausgewiesenen Expertin besetzt: Im Januar 2025 tritt die Festkörperphysikerin Olena Fedchenko als erste Wissenschaftlerin die neue Stiftungsprofessur an. Fedchenko, die in an der Staatlichen Universität Sumy (Ukraine) studiert und promoviert hat, wechselt von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nach Frankfurt. In Mainz war sie als Postdoktorandin an zwei Sonderforschungsbereichen und mehreren BMBF-Projekten beteiligt und trug damit zur Entwicklung der Photoemissionstechnik bei DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) bei. Fedchenkos Expertise, erklärt der Geschäftsführende Direktor des Physikalischen Instituts Prof. Cornelius Krellner, „stärkt erheblich einen von drei wissenschaftlichen Schwerpunkten unseres Fachbereichs, nämlich unseren Forschungsschwerpunkt ,Kondensierte Materie und Quantenmaterialien‘“.

Dies und auch die Tatsache, dass das Spezialgebiet der Experimentalphysikerin Olena Fedschenko der Laserpionierin Gisela Eckhardt thematisch nahesteht, wäre sicher ganz im Sinne der Stifterin gewesen.

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