Wirtschaftssoziologen untersuchen vegetarische und vegane Konsumgewohnheiten

Egonetzwerk einer interviewten Veganerin Je mehr Kontakte eine Person hat, umso größer die Knotendarstellung. Frauen sind als Kreise, Männer als Quadrate dargestellt. Sich vegan Ernährende werden dunkelgrün, sich vegetarisch Ernährende hellgrün und Fleischessende braun dargestellt.

Die interviewte Veganerin steht mit weiteren sich vegan oder vegetarisch Ernährenden in Kontakt. Zu ihrem engeren Beziehungsnetzwerk gehören aber auch fleischessende Personen. Es zeigt sich ein typischer Befund unserer Interviewten: Jeder Veganer hat mindestens einen Kontakt zu einem weitern Veganer.

Werden wir bald alle vegan essen?

Wie wir uns ernähren, ändert sich. Während die Nachkriegsgeneration noch von Eisbein in Aspik schwärmte, sprechen heute viele Menschen über vegetarische Burger. Das gilt auch für die Studierenden dieser Universität. Immer mehr ernähren sich vegan oder vegetarisch. Unternehmen, die Fleischoder Wurstersatzprodukte anbieten, boomen an der Börse. Der Konsum von traditionellen tierischen Produkten geht hingegen zurück. Eine solche Situation fordert eine (wirtschafts-)soziologische Erklärung: Woher kommt diese Dynamik? Welchen Problemen sind sich vegan Ernährende ausgesetzt?

Wirkt sich das auf die soziale Verträglichkeit von Nichtveganern und Veganern aus? Solchen Fragen sind wir im vergangenen Semester im Forschungspraktikum für Wirtschaftssoziologie nachgegangen. Märkte bestehen aus Anbietern und Nachfragern. Unsere Sicht richtet sich auf die Nachfrageseite, also auf den Konsum. Wir wollen etwas über die Veränderungen der Konsumgewohnheiten und deren soziale Konsequenzen erfahren.

Dies haben wir in dem Seminar unter der Leitung von Prof. Christian Stegbauer mithilfe von verschiedenen Forschungsansätzen getan. Das Seminar gliederte sich in drei Forschungsgruppen, deren Untersuchungen miteinander verzahnt wurden. Wir haben einerseits qualitative Leitfadeninterviews vorwiegend mit Veganern durchgeführt. Darüber hinaus haben wir Streitgespräche zwischen Fleischkonsumierenden und vegan Lebenden inszeniert.

Die Dynamik des Veganismus

Um die Ausbreitung des Veganismus zu verstehen, haben wir nicht zu einer klassischen Methode der Forschung gegriffen: In Gesprächen sollten Fleischessende und vegan Lebende miteinander über die Gründe für ihre jeweilige Ernährungsweise streiten. Die an den Streitgesprächen beteiligten vegan Lebenden argumentierten mit Ethik hinsichtlich der Tierhaltung und Tierschutz. Daneben spielten in der Diskussion gesundheitliche Aspekte und der Umweltaspekt eine Rolle. Der Ressourcenverbrauch der Fleischproduktion sei im Gegensatz zu pflanzlichen Nahrungsmitteln zu hoch.

Abgesehen von Hinweisen auf Geschmack und Tradition hatten die Fleischessenden wenig Gegenargumente parat. In allen zehn Streitgesprächen sind die Veganer/ innen den Fleischkonsumenten argumentativ überlegen. Dies lässt sich durch die Zahl und die Diversität der Begründungen jeder Seite bestimmen. Dabei obliegt es uns nicht, die Korrektheit der ausgetauschten Argumente zu prüfen. Deutlich ist aber, dass Fleischessende in der Diskussion immer in der Defensive sind. Auch ihnen ist die Problematik der aktuellen Massentierhaltung bekannt. Es fand sich in den Streitgesprächen niemand, der nicht angab, auf Qualität und Tierwohl zu achten. Einige der Fleischkonsumenten interessierten sich in der Diskussion sogar für Rezepte veganer Speisen. Eine Erklärung für die schwachen Argumente der Fleischessenden könnte sein, dass sich Rituale des Essens eingeschliffen haben.

Weil sie als völlig normal angesehen werden, bedürfen sie keiner Begründung. Wenn nun aber in einem Gespräch Argumente genannt werden, dann wird diese Normalität infrage gestellt. So erklären wir uns die Dynamik, mit der die fleischlose Ernährung um sich greift. Wie aber kommt dieses Ungleichgewicht der Argumente zustande? Nach unseren Beobachtungen entstand dies aus einer Rückzugsposition der vegan lebenden Personen in der Vergangenheit. Die sich in der Minderheit befindenden Veganer/innen sahen sich häufig in der Situation, die Gründe ihrer besonderen Lebensweise darlegen zu müssen. Das bewirkte den Zwang, sich stärker zu informieren. Sie legten sich schon Argumente zurecht, um in Gesprächen mit den anderen bestehen zu können.

Traditionell Essende hingegen hatten kaum einen Anlass, sich mit der Ernährung auseinanderzusetzen. Ein Teil der Begründungen wird schon bei der Umstellung auf die vegane Lebensweise gesammelt: zum Vermeiden von Mangelernährung und um zu erfahren, wie man normale Zutaten durch vegane Alternativen ersetzt. Traditionell Lebende sorgen sich kaum um solche Fragen, denn die Umwelt (Lebensmittelmärkte, Gastronomie) kommt ihnen meistens entgegen.

Der Begründungszwang kehrt sich um

Die Ungleichheit der Argumente führt in Gesprächen mittlerweile zu einer Umkehrung des Begründungszwangs, so ein weiteres Ergebnis der von uns inszenierten Streitgespräche: Die traditionelle Ernährung gerät unter Rechtfertigungsdruck angesichts der Debatten um Haltungsbedingungen für Tiere, die problematische Produktion von Lebensmitteln und die CO2-Emmissionen.

Eine Rückzugsposition der Fleischessenden ist, dass man nun besonders auf die Herkunft (Bio) achte und den Konsum von Fleisch reduzieren wolle. Dieses Zurückweichen vor den Argumenten der Veganer/innen zeigt, wie weit deren Begründungen in die Gesellschaft eingedrungen sind. Die Ungleichheit der Auseinandersetzung lässt den Schluss zu, dass sich die fleischlose Ernährung noch weiter ausbreiten wird.

Eine Grillparty mit Veganer/innen – oder wie geht soziale Kompatibilität bei unvereinbaren Essgewohnheiten?

Die zweite Forschungsgruppe untersucht die Schwierigkeiten aufgrund unterschiedlicher Essgewohnheiten; die dritte Gruppe befasst sich mit der sozialen Identität von vegan Lebenden. Während der Alltag den vegan Lebenden kaum mehr Schwierigkeiten bereitet, sieht dies bei besonderen Anlässen anders aus. Solche Anlässe sind meist mit gemeinsamem Essen verbunden: Man denke etwa an Geburtstags-, Weihnachtsfeiern oder Grillpartys. Die Kompatibilitätsprobleme haben sich verringert, seitdem es z. B. vegane Wurst zu kaufen gibt.

Es lässt sich also für alle etwas auf den Grill legen. Manche Interviewten schildern Probleme am Arbeitsplatz, zumal wenn sie sich nicht als Veganer dort geoutet hatten. Eine andere Gruppe besucht die Eltern zu Weihnachten nicht mehr, weil diese nicht auf ihre traditionelle Gans verzichten möchten. In den meisten Fällen ist das nicht ganz so schwierig, denn im Vorfeld werden Alternativen ausgehandelt. Wenn sich die Beteiligten aufeinander zubewegen, entstehen Kompromisse, die nicht immer mit der veganen Lebensweise vereinbar sind:

In mehreren Interviews wurde vom Kuchen der Großmutter erzählt, der auch dann verzehrt wird, wenn er mit Eiern und Butter gebacken war. Ähnliches wie in den Streitgesprächen konnten die anderen Teilprojekte direkt von den Interviewten erfahren: Im direkten sozialen Umkreis muss das Thema angesprochen werden. Hierzu gehört auch der Austausch von Argumenten, in dem sich die Veganer/ innen behaupten müssen.

Wie wird man Veganer/in?

Eine Umstellung zur veganen Lebensweise betrifft nicht nur das Essen, diese wirkt sich in vielen Lebensbereichen aus. Fast immer ist das eine Entwicklung, die über die „Vorstufe“ des Vegetarismus läuft. Die Interviewten gaben als Initialzündung für die Entscheidung häufig Dokumentarfilme an. Allerdings bewirkt ein Film allein kaum die Änderung der Lebensweise. Meist war die Entwicklung hin zur Ernährungsumstellung beim Anschauen des Films bereits seit einiger Zeit in Gang.

Soziale Einflüsse erklären, warum jemand zum Veganismus kommt: Bei der Mehrzahl der Personen stand die Änderung in einem Zusammenhang mit einer weiteren Lebensumstellung: etwa dem Auszug aus dem elterlichen Haushalt oder Umzüge in Wohngemeinschaften, in denen es bereits Veganer/ innen gab. Ein solcher Einschnitt erfordert eine Neuorientierung durch neue Kontakte und die neue Umgebung. In diesem Moment fallen neue Ideen am ehesten auf einen fruchtbaren Boden.

Es entsteht ein Möglichkeitsfenster: Die bisher vorhandene soziale Einbettung in die kollektiven Gewohnheiten der Familie fallen weg und die neuen Kontakte eröffnen den Zugang zu anderen Ideen, die natürlich auch die Ernährung betreffen können. Ein Interviewinstrument ist die Erhebung persönlicher Netzwerke. Wir hatten erwartet, dass die sich vegan Ernährenden viele gleichdenkende Menschen in ihrem Umfeld haben. Das muss nicht so sein, jedoch haben alle interviewten Veganer/innen mindestens eine Person mit derselben oder einer ähnlichen Ernährungsweise unter ihren engen Beziehungen.

Die Ergebnisse unserer Untersuchungen bringen uns zu dem Schluss, dass die Entwicklung hin zu mehr Konsum veganer und vegetarischer Produkte noch nicht an ein Ende gekommen ist. Die Dynamik der Argumente lässt uns erwarten, dass die Lebensweise des Veganismus weiter um sich greifen wird. Es handelt sich um eine Art soziale Bewegung, die in der Lebensmittelerzeugung und -industrie für große Veränderungen sorgen dürfte.

Die Methoden der Untersuchung

Wie haben wir die Untersuchung durchgeführt? Es gab drei Teilprojekte: Zwei davon führten leitfadengestützte Interviews durch, das andere Teilprojekt inszenierte Streitgespräche. In den Streitgesprächen zwischen zwei Personen – einer vegan lebenden und einer sich traditionell mit Fleisch ernährenden Person – wurden wenige Fragen vorbereitet, um eine Auseinandersetzung in Gang zu bringen. Die Interviewer/innen hatten Leitfragen vorbereitet, zu denen die Interviewten Auskünfte geben sollten.

Wichtig ist hierbei, dass Zusammenhänge geschildert werden. Oft geschieht dies durch Erzählungen anhand von Beispielen. Sowohl Streitgespräche als auch Interviews wurden transkribiert. Bei der anschließenden Weiterverarbeitung werden Argumente und Erklärungen mit Codes versehen. Hierdurch können ähnliche Argumentationsmuster in den verschiedenen Interviews nebeneinandergelegt und verglichen werden.

Eine solche Methode geht stärker in die Tiefe als standardisierte Befragungen. Da die Erhebung und Auswertung sehr arbeitsintensiv sind, lassen sich nur relativ wenige Personen einbeziehen (in unserem Fall für alle drei Teilprojekte insgesamt 38). Es geht dann natürlich nicht um Repräsentativität für die Bevölkerung oder die Gruppe der vegan Lebenden.

Die Aussagemöglichkeiten verbessern sich aber durch „theoretical sampling“, den Versuch, unterschiedliche Personen einzubeziehen: etwa Männer und Frauen, verschiedene Berufsgruppen, schon lange vegan Lebende und solche, die gerade erst umgestellt haben. Uns ist nicht die Verteilung von Merkmalen wichtig; es geht uns um die dahinterstehenden sozialen Mechanismen.

Nils Windscheid, Svea Schöngarth, Sarah Becker,
Hatice Aksoy und Christian Stegbauer

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.20 des UniReport erschienen.

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