Sich von regionalen und saisonalen Produkten zu ernähren, war für den Urmenschen alltäglich. Dabei waren die frühen Urmenschenarten Homo rudolfensis und die „Nußknacker-Menschen“ Paranthropus boisei, die vor 2,4 Millionen Jahren in Malawi lebten, überraschend anpassungsfähig. Wie ein Forscherteams der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung jetzt anhand von fossilem Zahnschmelz herausgefunden hat, änderten die frühen Urmenschen ihren Speiseplan gemäß regionaler Ressourcen. Diese Flexibilität hat zu ihrer erfolgreichen Ausbreitung beigetragen. Die Ergebnisse aus dem südöstlichen Afrika schließen eine bedeutende Wissenslücke, berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe der „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Wer wissen will, was unsere Vorfahren vor rund 4 bis 1,4 Millionen Jahren aßen, kann auf Daten aus Fossilien-Fundstätten im ostafrikanischen Graben im heutigen Kenia und Äthiopien zurückgreifen sowie auf Funde in südafrikanischen Höhlen. Zwischen den beiden Regionen liegen rund 3000 Kilometer. Wovon sich die Urmenschen in diesem Teil der „Wiege der Menschheit“ ernährten, war bislang nicht bekannt.
Ein Forscherteam der Goethe-Universität und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat zur Lösung dieses Rätsels fossilen Zahnschmelz von drei Homo rudolfensis und Paranthropus boisei-Individuen untersucht, die vor circa 2,4 Millionen Jahren an den Ufern des Malawisees lebten. Zahnschmelz ist die beständigste Substanz von Wirbeltieren. Selbst nach Jahrmillionen lässt sich aus dessen Kohlenstoff und Sauerstoff-Isotopenzusammensetzung rekonstruieren, was das Individuum gegessen hat. Geochemische Analysen ermöglichen es, die aufgenommenen Anteile von Pflanzen mit verschiedenen Photosynthesewegen zu unterscheiden.
„Die von uns untersuchten Homo rudolfensis und Paranthropus boisei haben sich insgesamt zu 60 bis 70 Prozent von C3-Photosynthese-Pflanzen ernährt, die innerhalb des Grabensystems vorkamen. Das waren vermutlich vornehmlich Teile von Bäumen, beispielsweise deren Früchte, Blätter und Knollen. Es wurden beträchtlich weniger Pflanzenbestandteile verzehrt, die heute in offenen afrikanischen Savannen dominieren, nämlich Pflanzen die C4-Photosysnthese betreiben. Ein untersuchtes Homo rudolfensis-Individuum hat sogar fast ausschließlich C3-Pflanzenmaterial zu sich genommen“, erklärt die Leiterin der Studie, Dr. Tina Lüdecke, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Wie das Team rekonstruiert hat, wuchsen im frühen Pleistozän am Malawisee in üppiger Menge Bäume und andere C3-Pflanzen. Im Vergleich zu offeneren Lebensräumen in Ostafrika führte hier ein kühleres und feuchteres Klima zur Ausbreitung von Baumsavannen. Zusätzlich analysierte fossile Zähne von umherziehenden Urpferden und Antilopen belegen, dass in größerer Entfernung vom Malawisee ausreichend C4-Pflanzenmaterial zur Verfügung stand. Doch Homo rudolfensis und Paranthropus boisei zogen es nicht nur wegen des Zugangs zum Wasser vor, in Seenähe zu bleiben, sondern auch um von dessen lokalen Resourcen zu profitieren.
Etwa zeitgleich zu den untersuchten Homo rudolfensis und Paranthropus boisei lebte weiter nördlich im ostafrikanischen Graben Paranthropus aethiopicus. Im Gegensatz zu den Malawisee-Anwohnern nahm er deutlich mehr C4-Pflanzen zu sich. Solche C4-Pflanzen waren in der trockenen Graslandschaft des ostafrikanischen Grabens, in der Paranthropus aethiopicus lebte, eher zur Hand. „Das zeigt uns, dass einige der frühen Urmenschen überraschenderweise schon vor 2,4 Millionen Jahren in der Lage waren, ihre Ernährung auf ihre Umgebung auszurichten“, kommentiert Lüdecke.
Zu diesem Befund passen auch bisherige Auswertungen von Paranthropus– und Homo-Vertretern, die vor zwei Millionen Jahren lebten und die dieses Verhalten fortführten. Wer in den südafrikanischen Wäldern lebte, ernährte sich weiter maßgeblich von C3-Pflanzen. Ihre Verwandten im trockeneren Norden hingegen aßen zunehmend die dort wachsenden C4-Pflanzen, die auch heute noch für viele Bewohner der Erde Hauptnahrungsmittel sind.
„Soweit wir bisher wissen, gab es keine anderen Primaten, die ihre Ernährung so flexibel handhabten. Dass die frühen Urmenschen ihren Speiseplan differenziert an verschiedene Umweltbedingungen anpassen konnten, war daher sicher einer der Schlüssel zum Erfolg auf dem Weg zu Homo sapiens“, bilanziert Privatdozent Dr. Ottmar Kullmer, einer der Co-Autoren der Studie von der Goethe-Universität und vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum.
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Publikation: Lüdecke, T. et al. (2018): Dietary Versatility of Early Pleistocene Hominins. PNAS, doi: 10.1073/pnas.1809439115; https://www.pnas.org/content/early/2018/12/05/1809439115
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Quelle: Pressemitteilung der Goethe-Uni vom 13. Dezember 2018