»Frobenius hat die Fotografie sehr geschätzt«

Seit fast 30 Jahren kümmert sich Peter Steigerwald um das fotografische Bildarchiv des Frobenius-Instituts für kulturanthropologische Forschung.

Der berühmte Ethnologe Leo Frobenius (1873–1983) hat von seinen Reisen in ferne Länder viel mit nach Hause gebracht. Vor allem über die Kopien von Felsbildern aus der ganzen Welt war in den vergangenen Jahren häufig zu lesen; Ausstellungen in Berlin, Mexico City, Zürich und Frankfurt zogen ein großes Publikum an. Aber Frobenius hat auch die Fotografie sehr geschätzt und intensiv genutzt. Davon zeugt die umfangreiche fotografische Sammlung am Frobenius-Institut an der Goethe-Universität. Kaum jemand kennt diese Sammlung so gut wie Peter Steigerwald, der sich seit fast 30 Jahren um diesen wertvollen Bestand kümmert.

Den Fotografen im Blick: Gedrehte Spiegelung im rechten Auge des Kriegsgefangenen Lusani Cissé, aufgenommen von einem vom Militär beauftragten Fotografen in einem deutschen Lager.
(Ausschnitt aus einem Porträt auf 13×18 cm Glasnegativ, vor 1918, FoA-07-8302).

Dass er sich einmal beruflich mit fernen Weltregionen und deren Kultur beschäftigen würde, das war Peter Steigerwald nicht unbedingt in die Wiege gelegt. 1959 in Aschaffenburg geboren, aufgewachsen im nahen Blankenbach, leistete er nach dem Abitur in Alzenau Zivildienst in einem Altenheim. Die Arbeit mit den alten Menschen, mit Menschen überhaupt, gefiel ihm gut, und so studierte er nach der Zivizeit Sozialarbeit an der Fachhochschule in Würzburg. Doch Peter Steigerwald hatte noch weitere Interessen: Seit seiner Jugend war er begeistert mit der Kamera unterwegs, probierte verschiedene Fotografiertechniken aus und experimentierte viel. Auch dieser Bereich kam für eine berufliche Zukunft in Betracht. Um sich nicht sofort entscheiden zu müssen, absolvierte er zwei Studiengänge parallel: Neben der Sozialarbeit war er auch für Kommunikationsdesign eingeschrieben – Schwerpunkt Fotografie. Mit seiner Abschlussarbeit „Zeitgeschichten“ wandte er sich 1985 der Ausführung von Langzeitbelichtungen mit einer Großbildkamera zu.

Das Fotografieren und die damit verbundene Technik haben ihn nach dem Studium mehr angezogen als die Sozialarbeit, und so arbeitete er zunächst in Frankfurt in zwei Betrieben der damaligen analogen Halbton-Druckvorstufe. „Da habe ich handwerklich viel von dem gelernt, was ich am Frobenius-Institut später gut brauchen konnte“, erklärt er. Als er 1992, die Zusage des Instituts in der Tasche, nach Hause radelte, dachte er allerdings: „Das machst Du jetzt zwei Jahre, dann sieht man weiter.“ Aus den zwei Jahren sind nun fast 30 geworden. In der Werbebranche wollte er nicht landen, sich Raum für das freie fotografische Arbeiten bewahren. 1990 war er mit der Einrichtung eines kleinen Ateliers, der Anschaffung eines großen Halbton-Trommelscanners und Geräten der Sensitometrie in die Selbstständigkeit gestartet, das Konservatorische spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Frobenius-Institut gestattete die Nebentätigkeit dauerhaft.

Fesselnde Persönlichkeit

Peter Steigerwald im August 2018 auf dem Theodor-W.-Adorno-Platz der Goethe-Universität. Gerade hat er mit seiner 8×10“Plaubel-Kamera mit einer Langzeitbelichtung das Wasserbassin
und die Campus-Architektur fotografiert.
Foto: Stephan G. Weis

Vielleicht war es auch die Persönlichkeit von Leo Frobenius, die ihn so sehr fesselte – und inspirierte. Denn Frobenius nutzte die Fotografie durchaus nicht nur als reine Dokumentationstechnik. Er fertigte beispielsweise auch Stereobilder an, wofür er von einem Kamerahersteller ausgestattet worden war. „Auf der Kongoreise von 1904 gingen gleich ein paar Kameras kaputt, und es blieb ihm zunächst nur die 13×18-Stereokamera. So sind zahlreiche Bilder mit plastischer Wirkung entstanden“, erklärt Steigerwald, was ihn selbst zur Stereofotografie brachte, die er noch heute betreibt. Direkt im Anschluss an die zahlreichen Reisen des Leo Frobenius wurden die mitgebrachten Fotografien, die großteils aus Glasplatten bestanden, in Katalogen dokumentiert. Diese Kataloge fielen im Zweiten Weltkrieg allesamt den Bomben zum Opfer, die Originale allerdings blieben erhalten. Es dauerte bis in die 1980er-Jahre, bis die Kataloge rekonstruiert waren. Frobenius selbst hat weder Zerstörung noch Rekonstruktion miterlebt: Er starb 1938 in Italien.

Um das Jahr 2000 wurde dann die Digitalisierung der Kataloge in die Wege geleitet, die unter Peter Steigerwalds Ägide vonstattenging. Schon zuvor begann er mit der Konservierung der Originale – und führte über eine ausgefeilte Technik die analoge Sicherung weiter. „Das war mir immer sehr wichtig, denn die Informationsdichte ist hier doch höher als beim Digitalen. Man weiß ja auch nicht, wie lange die Daten erhalten bleiben“, so der Archivar. Angetan ist Peter Steigerwald von der Negativkühlkammer, die mit Mitteln des Hessischen Wissenschaftsministeriums gekauft wurde. Die Luft in der Kammer wird bei konstant 13 Grad Celsius beständig trocken gehalten, so dass die Zersetzung des empfindlichen Materials erheblich abgebremst wird. „Gelatine und Silber in den Negativen sind sehr empfindlich gegenüber Stoffen aus der Umgebung“, erklärt Steigerwald.

Hochwertige Digitalisierung

Rund 70 000 Aufnahmen, fast alle in Schwarz-Weiß, umfasst das Fotoarchiv des Frobenius-Instituts, allesamt sind zwischen 1904 und 1980 bei Forschungsreisen des Instituts entstanden, vor allem in Afrika, aber auch in Australien, Ozeanien, Südamerika, Europa und Asien. Um die Bestände auf lange Zeit hin zu sichern, werden nach und nach sogenannte Interpositive auf Polyester-Silberfilm kopiert. Diese Interpositive lassen sich an einer speziellen Reprostation mit modernster Technik in hochwertige Digitalisate umwandeln. Mithilfe einer 100-Megapixel-Kamera konnte Peter Steigerwald innerhalb von knapp drei Monaten 2400 Negative der Expedition alpha XXII digitalisieren, die das Institut 1938 und 1939 in die Kimberley-Region in Australien geführt hat. Dabei handelt es sich um ein DFG-gefördertes Projekt. „Die Qualität ist nicht vergleichbar mit den bisher vorliegenden Scans“, begeistert sich Steigerwald. Die Bilder werden im Internet weltweit recherchierbar sein, sobald sie vom Projektteam mit Beteiligung der australischen Partner freigeschaltet sind.

Eine besondere Herausforderung war es, die großformatigen Felsbildkopien fotografisch zu konservieren und wie das gesamte fotografische Material über eine Datenbank verfügbar zu machen. Bis zu zehn Meter sind diese Bilder groß – eine Herausforderung für den Konservator, die er mithilfe seiner eigenen analogen Großbildkamera und einem Farbfilm von einzigartiger Haltbarkeit löste. Bei der Digitalisierung mussten die einzelnen Aufnahmen am Bildschirm penibel zusammengesetzt werden – ein perfektes Archiv für alle Druck- und Onlinepublikationen zum Thema Felsbilder.

Experte für die Reproduktion von Negativen

Das Institut erhält Anfragen von Wissenschaftlern aus aller Welt, von Verlagen und Medien auf der Suche nach Bildern. Darüber hinaus ist Peter Steigerwalds Fachwissen im Zusammenhang mit den zahlreichen Ausstellungsprojekten des Instituts gefragt, die er bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung nach Kräften unterstützt. Die Ausstellungen „Im Schatten des Kongo“ im Weltkulturen Museum und „Gefangene Bilder“ im Historischen Museum gingen gar auf Steigerwalds Initiative zurück – Erstere zeigten Frobenius‘ Stereoaufnahmen. Das Spezialwissen in Sachen Reproduktion von Negativen hat er sich früh erarbeitet und immer wieder erweitert, auch Aufsätze und Textbeiträge hat Steigerwald darüber verfasst. So viel Expertise ist selten geworden. „Das findet man sonst nur am Smithsonian Institute in Washington“, mutmaßt er. Immer wieder hat er auch Praktikanten in seine Arbeiten eingeweiht. Wie es weitergeht, wenn er in drei Jahren in den Ruhestand gehen wird, das weiß man heute noch nicht.

Das Türschild ist selbst schon Geschichte: Es zeigt Leo Frobenius mit seiner Leica bei den Pyramiden von Gizeh und schmückte über Jahre den Eingang zur Fotoabteilung in der Liebigstraße. (DIAFE XI, 1933, Foto: Elisabeth Pauli oder Hans
Rhotert, FoA-11-KB02-14)

Vom ersten Tag am Frobenius-Institut an habe ihn fasziniert, mit Fotografien zu tun zu haben, die noch nie jemand „so nah“ gesehen hat. Und auch wenn er selbst noch nie Gelegenheit hatte, nach Afrika oder Lateinamerika zu reisen, so hat er doch das Gefühl, dass ihm die fremden Regionen ein wenig näher gerückt sind –, und zwar in einer historischen Dimension. Er liebt es, die Aufnahmen genau zu studieren und Details zu entdecken. Die alten Fotografien sind oft gestochen scharf und geben in der Vergrößerung ungeahnte Informationen preis – etwa das Konterfei des Fotografen, das sich im Auge eines abgebildeten Kriegsgefangenen aus Afrika spiegelt.

Auch Frobenius selbst scheint ihm manchmal seltsam vertraut zu sein: „Ich habe ein positives Verhältnis zu ihm.“ Sicher gebe es berechtigte Kritik aus heutiger Perspektive. Aber letztlich habe sich Frobenius doch sehr um die Ethnologie und um das Wissen über zum Teil schon verlorene Kulturen verdient gemacht.

Weitere Informationen unter https://www.frobenius-institut.de/

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