Gastprofessor Fontana über die politischen und kirchlichen Umbrüche in Brasilien

Der brasilianische Theologe Dr. Leandro Luis Bedin Fontana hat als Gastprofessor am Fachbereich Katholische Theologie die politischen und kirchlichen Umbrüche in seiner Heimat beobachtet.

Wie viele Intellektuelle in Brasilien verfolgte auch Leandro Fontana den Wandel des politischen Klimas und die Wahl des neuen Präsidenten im vergangenen Oktober mit einer Mischung aus Spannung und Entsetzen. Der Machtwechsel durch den rechtsextremen Politiker Jair Messias Bolsonaro, der am 1. Januar dieses Jahres als neuer Präsident von Brasilien vereidigt wurde, hatte sich angekündigt. Schon lange sind die konservativen Lager auf dem Vormarsch und gehen gegen die progressive Agenda der bis vor Kurzem regierenden Arbeiterpartei an. Dieser wird vorgeworfen, mit ihrem „Kulturmarxismus“ die „westlichen christlichen Werte“ zu gefährden.

Statt sozialer Gleichheit, Umweltschutz, Zugang zu Bildung und Quotenpolitik für Arme, Indigene und Frauen stehen nun die Kriminalisierung von Abtreibung, homosexueller Beziehungen und der Schutz eines konservativen Familienbildes auf dem Programm. Für Leandro Fontana hatte die Wahl eine ganz besondere Qualität: Er verfolgte sie nicht als Bürger in Brasilien, sondern von Deutschland aus in der Rolle eines Theologen, der die Geschehnisse als Gastprofessor in seiner aktuellen Vorlesungsreihe verarbeitete.

„Das war eine neue und sehr interessante Erfahrung für mich“ sagt Fontana. „Ich war aktueller Beobachter der politischen Veränderungen in meinem Land, um sie mit einem deutschen Publikum zu diskutieren. Die Arbeit an den Vorlesungen war hochaktuell und im ständigen Prozess.“ Von Oktober bis Dezember hielt Fontana die aktuelle Vorlesungsreihe von Theologie interkulturell am Fachbereich Katholische Theologie. Die Vorlesungsreihe besteht seit 1985 und holt jedes Jahr Gastdozenten aus dem nichteuropäischen Ausland an die Goethe-Universität.

Den Vorsitz dieses interdisziplinären Forschungsprojekts hat Prof. Dr. Thomas Schreijäck inne, den Fontana während seiner Zeit als Doktorand an der Goethe-Universität kennenlernte. Nach seiner Promotion kehrte Fontana zurück in seine Heimat und wurde letztes Jahr von Prof. Schreijäck zu dieser Gastprofessur eingeladen. Das übergeordnete Thema von Fontanas Vorlesungsreihe war die bischöflichen Konferenz im brasilianischen Medellín von 1968, auf der die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils umgesetzt wurden.

Damals entwickelte die Kirche Brasiliens verschiedene Projekte, die im Sinne der Befreiungstheologie und der kirchlichen Basisgemeinden in die Gesellschaft wirken sollten. Unter der damals herrschenden Militärdiktatur bedeutete dies eine Bewegung hin zur armen Basis der Gesellschaft, weg von der Seite der Herrschenden. Wie es um die Kirche Brasiliens im Wandel der politischen Klimas steht, war eine der drängendsten Fragen von Fontanas Gastprofessur.

„Die Pfingstkirchen sind in Brasilien sehr mächtig und erreichen etwa 40 Millionen Menschen“, sagt Fontana. „Sie wählen eine einfache Sprache: Der Teufel ist die Erklärung des Bösen in der Welt. Treibt man ihn aus, ist man erlöst und erreicht Wohlstand. Mit dieser Prosperitätstheologie stehen sie den politischen Interessen aus dem rechten Lager sehr nahe.“ Die nichtkatholischen Gruppen engagieren sich gesellschaftlich in der Evangelischen Koalition und verfolgen eine zutiefst konservative Agenda gegen die Emanzipation der Frau und gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Der Rest der katholischen Kirche ist zerrissen und muss sich im Sinne der Tendenz einer zunehmend konservativen Theologie positionieren. Was auffällig ist: Die Rolle der sozialen Medien spielt im Kampf um Sichtbarkeit und die Bewerbung gesellschaftlicher Werte die größte Rolle. „Die Menschen, die sich für die progressiven Strömungen einsetzen, sind meist von der älteren Generation und mit sozialen Medien nicht so fit“, sagt Fontana.

„Das rechte Lager verfolgt ein klug konzipiertes Konzept, um die progressive Agenda in den sozialen Medien zu bekämpfen. Und sie haben Erfolg: Die Jugend Brasiliens ist definitiv rechts orientiert.“ Derzeit arbeitet Leandro Fontana an der Publikation, die aus der Gastprofessur hervorgehen soll. Danach wird er sich um Stellen im akademischen oder pastoralen Bereich bewerben.

Er und seine Familie werden in den nächsten Jahren in Deutschland bleiben. Zwar ist die Entscheidung nicht politisch, sondern persönlich motiviert. Leicht gefallen ist ihm diese Entscheidung dennoch nicht: Fontana liebt seine Heimat von ganzem Herzen und möchte sich von Deutschland aus durch Kooperationen mit Hilfswerken für Projekte in Brasilien einsetzen.

Autorin: Melanie Gärtner

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 des UniReport erschienen. 

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