Grenzen überschreiten mit »Imara«

Baraa Abu El-Khair entwickelt Empfehlungen für Moscheegemeinden.

Demnächst wird es spannend für ihn: Seit April 2019 forscht der 26 Jahre alte Wirtschaftsingenieur Baraa Abu El-Khair als „Praxis-Fellow“ der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG). Diese universitäre Plattform für den Austausch zwischen islamisch-theologischer Forschung, muslimischer Zivilgesellschaft und weiteren gesellschaftlichen Gruppen, deren Geschäftsstelle an der Goethe-Universität angesiedelt ist, wird sowohl vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als auch von der Stiftung Mercator gefördert und hat im April zum zweiten Mal das einjährige Stipendium der „Praxisfellowship“ vergeben:

In seinem Projekt „Imara – Kultivierung der Moschee“ möchte Abu El-Khair der Frage nachgehen, wie die Moscheen der Zukunft nachhaltig gestaltet werden können. „Wenn ich ein Konzept für nachhaltige Moscheen entwickle, dann kann ich dabei natürlich nicht neben den Moscheegemeinden her arbeiten und ihnen am Ende ein fertiges Konzept vor die Nase setzen“, sagt Abu El-Khair, „deshalb habe ich zunächst ausführlich mit bislang knapp 15 verschiedenen Moscheegemeinden kommuniziert. Ich habe Interviews mit ihnen geführt, um etwas über ihr Konsumverhalten zu erfahren. Ich wollte herausfinden, wie sie zum Thema Nachhaltigkeit stehen und welchen Beratungsbedarf sie haben, und natürlich wollte ich wissen, welche Rolle Themen wie Energieeffizienz und Ressourcenverschwendung beziehungsweise -ersparnis für sie spielen.“

Abu El-Khair plant, dass die Anzahl seiner Interviewpartner bis Ende Juli auf ungefähr 20 angewachsen ist. „Moscheen waren ja von Anfang an, seit den Zeiten Mohammeds, nicht nur spirituelle, sondern auch soziale und gesellschaftspolitische Zentren“, erläutert er. Wichtig ist ihm deshalb vor allem, dass er in seiner Studie die große Vielfalt an Moscheen in Deutschland abbildet: von den ungezählten „Hinterhofmoscheen“ bis hin zu großen, repräsentativen Moscheen wie beispielsweise dem spektakulären Gebäude der DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld oder der fast 100 Jahre alten Moschee in Berlin-Wilmersdorf.

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen

Spannend werde es, weil sich an diese Bestandsaufnahme der eigentliche Hauptteil seines Projekts anschließe, fährt er fort: „Die Vereinten Nationen haben ja im Jahr 2015 insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verabschiedet, beispielsweise eine hochwertige Bildung, Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit, Wasserversorgung sowie die Versorgung mit erschwinglicher und ‚sauberer‘ Energie.

Daraus habe ich insgesamt vier SDGs identifiziert, die für deutsche Moscheegemeinden besonders wichtig sind“, berichtet Abu El-Khair: Bildung, nachhaltige Wasserwirtschaft und Sanitärversorgung, Versorgung mit nachhaltiger und moderner Energie sowie die Vernetzung aller Agierenden – für diese vier SDGs werde er jetzt untersuchen, welches Potenzial in deutschen Moscheegemeinden stecke, diese Ziele zu verwirklichen. Nachhaltigkeit bedeute ja ganz allgemein, dass von einer Ressource – egal, ob es um Nahrung, Boden, Geld oder Luft geht – nicht mehr verbraucht werde, als nachwachse beziehungsweise ins System zurückfließe.

„Deshalb können Moscheegemeinden dem Thema Nachhaltigkeit in ganz verschiedenen Zusammenhängen begegnen“, stellt Abu El- Khair klar, „als erstes denkt man da natürlich an Umweltschutz. Aber genauso wichtig ist zum Beispiel ein verantwortungsvoller Umgang mit Energie und Wasser, wenn Muslime vor dem Gebet die rituellen Waschungen vollziehen. Und wenn sie sich danach nicht mit Einmal-Handtüchern abtrocken, können sie mengenweise Papier einsparen. Außerdem ist es toll, dass es mittlerweile Moscheegemeinden gibt, wo eine Solaranlage auf dem Dach Strom produziert oder Wasser aufheizt oder wo die Gemeindemitglieder im Garten ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen.“

Abu El-Khair engagiert sich schon seit einigen Jahren in einer muslimischen Umweltschutzorganisation, hat mit dieser beispielsweise die Aktion #RamadanPlastikFasten initiiert; sein Projekt „Imara“ ist ihm ein Herzensanliegen, das er natürlich nicht nur aus akademischem Interesse verfolgt: „Es reicht ja nicht aus, einfach auf eine Situation hinzuweisen – beispielsweise darauf, dass in manchen Moscheen Wasser oder Energie verschwendet wird – und die Gemeinden dann mit diesem Befund alleine zu lassen.

Am Ende sollen ganz konkrete, niederschwellige Handlungsempfehlungen stehen“, sagt Abu El-Khair. Bei Vorträgen, die er zu Umweltschutz- Themen in Moscheegemeinden gehalten habe, sei er nämlich auf viel Aufgeschlossenheit getroffen, nur fehle es den Moscheegemeinden im Allgemeinen an Knowhow und an Ressourcen, damit dem Interesse am Thema „Nachhaltigkeit“ dann auch Taten folgten.

Herzensanliegen Nachhaltigkeit

Es versteht sich fast von selbst, dass auch die Bildung, die Abu El-Khair in Bezug auf sein Herzensanliegen vermittelt, nachhaltig angelegt ist: „Es reicht ja nicht, dass Sie einmal einen Referenten, eine Referentin einladen, der beziehungsweise die einen Vortrag zum Thema Mülltrennung und -vermeidung oder einen Workshop über klimafreundliches Kochen hält, und ein paar Wochen oder Monate später ist das meiste wieder vergessen“, stellt Abu El-Khair klar.

Vielmehr müsse in den Moscheegemeinden das Verständnis dafür wachsen, dass nachhaltiges Handeln eine wichtige Facette des eigenen Verhaltens werden müsse und dass alle Gemeindemitglieder ihr eigenes wachsendes Umweltbewusstsein ganz selbstverständlich an ihre Kinder weitergeben müssten. Er selbst erhält Anregungen für sein Projekt „Imara“, indem er Grenzen überschreitet: Landesgrenzen, wenn er im Rahmen der AIWG Praxis-Fellowship nach London reist, um sich mit Mitgliedern einer (im Vergleich zu Deutschland) wesentlich älteren Moscheegemeinde zu unterhalten. Und Religionsgrenzen, wenn er sich anhört, welche Erfahrungen Angehörige der Evangelisch-Luthe- rischen Kirche in Norddeutschland („Nordkirche“) mit Nachhaltigkeit gemacht haben.

„Ich finde diesen Austausch sehr wertvoll“, sagt Abu El-Khair, „zwar ist Nachhaltigkeit in der Nordkirche schon länger ein Thema, und die Strukturen in einer Landeskirche sind ganz anders als in Moscheegemeinden. Aber wir stimmten überein in unserem Bedauern, dass das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält, und wir waren uns einig: Die Herausforderung, vor der Christen und Muslime stehen, ist die gleiche.“

Autorin: Stefanie Hense

Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft: https://aiwg.de

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.19 des UniReport erschienen.

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