Der letzte Abend der Bürgeruni-Reihe zur TATORT-Forschung war den realen Bedrohungen und gefühlten Ängsten gewidmet: Bilden Statistiken Kriminalität objektiv ab oder verzerren einseitige oder gar falsche Interpretationen die Bedrohungslage?
Kriminalpsychologe Prof. Rudolf Egg machte in seinem Einführungsvortrag deutlich: „Statistiken muss man verstanden haben.“ So bilde beispielsweise die Aufklärungsquote nicht unbedingt die Effizienz der Polizei ab; so genannte Schwarzfahrer würden oft nicht von der Polizei, sondern von Kontrolleuren der Verkehrsbetriebe erfasst. Statistiken könnten prinzipiell nur die gemeldeten Kriminalfälle abbilden, nicht hingegen die des so genannten „Dunkelfeldes“. Oft trauten sich Betroffene nicht, Überfälle zur Anzeige zu bringen. Was in Deutschland daher fehle, seien Untersuchungen über anonym bleibende Opfer.
Daher gab er dem Publikum in der wieder gut gefüllten Stadtbibliothek den Tipp: „Bleiben Sie kritisch, wenn es um Statistiken geht!“ Grundsätzlich biete die Berichterstattung in den Medien ein verzerrtes Bild der wirklichen Bedrohungslage, so Egg. Seit Jahren seien die Zahlen im Hinblick auf Sexualverbrechen, aber auch bezüglich des Schusswaffengebrauchs, rückläufig. Davon lese man aber in den Medien zu wenig, beklagte der Kriminalpsychologe. Können Statistiken aber auch dazu beitragen, Ängste abzubauen? „Das Neue und Unerwartete wird immer zuerst wahrgenommen – eine Grippe wird von der Bevölkerung erst dann als Bedrohung empfunden, wenn es sich um einen neuen Virus handelt“, erklärte Rudolf Egg.
Auch Frankfurts Polizeisprecherin Carina Lerch plädierte für eine seriöse und differenzierte Deutung von Statistiken. Ein Beispiel sei der Bereich der häuslichen Gewalt: Ein verändertes Anzeigeverhalten sorge dafür, dass heute viel mehr Fälle bekannt würden; der Eindruck, dass es im Vergleich zu früher zu immer mehr Gewalt in Familien komme, sei daher falsch, dem müsse entgegengewirkt werden. FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar erläuterte, dass Journalisten nicht nur auf Statistiken schauten; ob ein Thema in der Zeitung besprochen wird, hänge auch davon ab, ob die Bürgerinnen und Bürger davon tangiert seien. Die Medien müssten den Mut aufbringen, auch bei heiklen Kriminaldelikten zu berichten. Bei Fällen wie dem Sexualmord in Freiburg bemühe sich die FAZ aber um eine Versachlichung der emotional aufgeladenen Diskussion.
Wie lässt sich die Angst in der Bevölkerung vor Phänomenen erklären, die objektiv gesehen gar nicht zugenommen haben, wollte Moderatorin Petra Boberg (hr-iNFO) wissen. „Vor etwas Angst zu haben kann grundsätzlich betrachtet durchaus ein positiver Reflex sein, wenn man damit auf reale Bedrohungen reagiert“, erklärte Prof. Rolf van Dick, Sozialpsychologe an der Goethe-Universität. Angstgefühle entständen aber sehr häufig auch dadurch, dass man etwas nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur über die Berichte Dritter oder eben aus der Zeitung erfahre. Die Angst vor Fremden und Migranten bei Menschen, die im Alltag nur wenig oder überhaupt keinen Kontakt zu Ausländern hätten, sei so erklärbar.
Die Wirkungsweise von Social Media könne heute diese subjektive Angst noch verstärken. Hier sei eine gesellschaftliche Diskussion über Twitter & Co unbedingt vonnöten, betonte van Dick; schließlich sei es auch Konsens, dass beispielsweise beim Selbstmord am Zuggleis sehr zurückhaltend berichtet werde, um mögliche Nachahmertaten zu verhindern. „Für die präventive Verbrechensbekämpfung bietet Social Media aber auch große Potenziale“, betonte Carina Lerch. So könne man zeitnah die Bevölkerung aufklären. Die Polizeisprecherin erklärte aber, dass es nicht hilfreich sei, wenn Internetnutzer nach Ereignissen wahllos Fotos veröffentlichten und mit unbestätigten Vermutungen die Ängste schürten – dies habe leider der Amoklauf in München gezeigt.
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hr-iNFO-Interview mit Prof. Rudolf Egg
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