Quo vadis, Europa? / Zweiter Jahrgang der Mercator Science-Policy Fellows

Prof. Sandra Eckert (2.v.r.) im Gespräch mit Lena Keul, Dr. Holger Krimmer und Dr. Niklas Wagner.

Die Goethe-Universität begrüßte im vergangenen Jahr den zweiten Jahrgang der Mercator Science-Policy Fellows. Wichtige Themen der Gespräche mit der Wissenschaft: Zukunft der EU und Flüchtlingskrise

Mitte Oktober vergangenen Jahres kam zum ersten Mal der zweite Jahrgang des Mercator Science-Policy Fellow-Programms auf der Jahresveranstaltung in Frankfurt zusammen. Die 23 neuen Fellows aus Politik, Verwaltung und Medien erhalten für ein Jahr den Status von Gastwissenschaftlern. Neben Vorträgen standen auf der Konferenz Gespräche mit Wissenschaftlern der RMU-Universitäten im Fokus. Der UniReport hatte die Gelegenheit, an zwei Gesprächen teilzunehmen.

Europa, gefangen in nationalen Egoismen?

Das Vorzeigemodell Europa hat, so scheint es, einige Risse bekommen. Parteien, die den europäischen Einigungsprozess nachhaltig in Frage stellen, erhalten großen Zulauf, mittlerweile auch in Deutschland. Finanz- und Flüchtlingskrise haben die Gräben innerhalb der EU sichtbar werden lassen; auch der Brexit und die anstehenden Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens stellen die EU vor große Herausforderungen.

Was bedeutet das aber für Politik und Verwaltung, wie kann wieder neues Vertrauen in demokratisches Handeln zurückgewonnen werden? Prof. Sandra Eckert ist Politikwissenschaftlerin an der Goethe-Universität mit dem Schwerpunkt „Politik im Europäischen Mehrebenensystem“. Sie hebt in der Gesprächsrunde mit drei Mercator-Fellows einleitend hervor, dass der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bei seinem Besuch der Goethe-Universität im Vorfeld der Buchmesse sich bemüht habe, die Idee eines geeinten Europas wiederzubeleben, allerdings nur wenig Konkretes genannt habe.

Macrons proeuropäischer Kurs, der sich von früheren französischen Präsidenten deutlich unterscheide, werde in Deutschland sehr positiv aufgenommen, in Frankreich hingegen sei er umstritten. In der politikwissenschaftlichen Forschung, so Eckert, sei man lange Zeit vom Dreischritt ausgegangen, der notwendig sei, um ein geeintes Europa zu legitimieren:

Zuerst müsse Europa überhaupt zum Thema in der nationalstaatlichen Öffentlichkeit und in der politischen Arena gemacht werden, dann müsse Europa Gegenstand der politischen Auseinandersetzung, also politisiert werden, und zuletzt würde diese Politisierung die demokratische Legitimation des europäischen Projektes stärken. Hintergrund dieser Annahmen ist, dass Europathemen zu lange „entpolitisiert“ wurden, zumindest von den Parteien der Mitte.

Man habe also angenommen, dass eine verstärkt europäische Dimension im Diskurs den Rückhalt für das Projekt EU fördern könnte. Mit der Politisierung kämen aber vor allem europakritische und europaskeptische Stimmen zum Zuge. Heute werde, so Eckert, zwar mehr in Medien über Europa berichtet, wir wüssten damit auch mehr über unsere Nachbarländer als noch vor 10 bis 20 Jahren.

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Das Mercator Science-Policy Fellowship-Programm wird getragen von den Rhein-Main-Universitäten Goethe-Universität Frankfurt am Main, Technische Universität Darmstadt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Kooperation mit dem Forschungskolleg Humanwissenschaften Bad Homburg, dem Centre for Science & Policy (CSaP) der University of Cambridge (UK) und wird gefördert von der Stiftung Mercator.

Mehr Informationen: www.uni-frankfurt.de/science-policy

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Aber die Berichterstattung sei doch jeweils recht national gefärbt, es gebe sehr unterschiedliche Wahrnehmungen zum selben Thema. Lena Keul, eine von 23 neuen Mercator-Fellows, leitet das Referat „Klimaschutz, Klimawandel“ im Hessischen Umweltministerium. Sie möchte die Landespolitik noch besser in nationale und europäische Zusammenhänge einbetten, sieht aber die Herausforderung, Vertrauen in Verwaltungshandeln über die Legislaturperiode hinaus zu gewinnen.

Sandra Eckert kommentiert: „Die Frage stellt sich, inwiefern Themen wie Klimaschutz auch an Agenturen delegiert werden könnten. Die Europäische Zentralbank beispielsweise ist auch nicht gewählt worden, kümmert sich aber um die Geldpolitik der EU. Das könnte unter Umständen ein Vorbild auch für andere Politikfelder sein.“ Allerdings zeige gerade das Beispiel EZB, dass die Nationen jeweils in ganz unterschiedlicher Ausprägung Kritik an der EU übten.

In Deutschland hätten die Menschen angesichts der niedrigen Zinsen vor allem Angst um ihr Erspartes, in Italien hingegen sehe man EZB-Präsident Mario Draghi sehr einseitig als „Soldaten Merkels“. Dr. Niklas Wagner, der als Diplomat im Auswärtigen Amt tätig ist und dort die Steuerungsgruppe Strategische Kommunikation leitet, sieht ein gewichtiges Problem in einer fehlenden gesamteuropäischen Öffentlichkeit.

Regierungschefs wie Angela Merkel rechtfertigten ihre Politik immer noch vor einer nationalen, nicht aber vor einer europäischen Öffentlichkeit. „Man verlangt vom Bürger: Denk europäisch!, aber die Politik tut es ja auch nicht“, so Wagner. Dass die nun auch in Deutschland verstärkt geübte Kritik an Europa durchaus auch positiv gesehen werden kann, wirft Dr. Holger Krimmer, Geschäftsführer der ZiviZ GmbH im Stifterverband, in die Gesprächsrunde:

Denn es werde nun wieder über mehr Demokratie und politische Bildung nachgedacht. Er vermisst allerdings Ähnliches auf europäischer Ebene. „Doch, mit jeder Vertragsreform wurde und wird über Demokratiedefizite in der EU diskutiert“, entgegnet Sandra Eckert; dabei stände nicht nur die demokratische Legitimität der EU im Fokus, sondern auch der Output auf einigen Politikfeldern. Ohnehin sei in der europäischen Politik durch ein so genanntes „Transparenzregister“ viel offener, welche Interessengruppen und Lobbyisten auf die Politik Einfluss nähmen; Selbiges gäbe es in Deutschland noch nicht.

Integration durch Ausbildung

Prof. Susanne Schröter und Tonio Rieger vor dem „Interkulturellen Schrein“ im Forschungszentrum Globaler Islam; Fotos: Frank; Fotos: Frank

Kaum ein Thema dürfte in den letzten Jahren die Öffentlichkeit in Deutschland so bewegt haben wie die Flüchtlingskrise. Die Zahlen der Neuankömmlinge sind stark gesunken, andere Aspekte stehen nun auf der Agenda: Wie kann man die ins Land gekommenen Geflüchteten integrieren? Wie gehen Politik und Verwaltung damit um, dass bei vielen Menschen unsicher ist, ob sie überhaupt bleiben dürfen oder wollen?

Mercator-Fellow Tonio Rieger ist Leiter des Referates „Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsförderung und Qualifizierung“ im Bayerischen Arbeitsministerium. Neben anderen zukunftsträchtigen Themen wie Lebenslanges Lernen und Digitalisierung ist es vor allem auch die Integration von Geflüchteten und Migranten in den Arbeitsmarkt, die ihn umtreibt. Seine Gesprächspartnerin ist Prof. Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität.

Die Ethnologin hat viele Jahre in Indonesien gelebt und geforscht, heute beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit dem Islam und Islamismus weltweit. Schröter betont die Bedeutung eines interkulturellen Austausches für Integration: „Wir müssen es hinbekommen, dass die Menschen die Begegnung mit dem Fremden als eine Bereicherung erfahren“, ergänzt aber, dass auch die Geflüchteten sich mit der Kultur ihrer neuen Heimat beschäftigen müssten.

Woran die Deutschen sich gewöhnen müssten, sei, dass sie sich noch stärker ihrer Werte bewusst werden: „Unser heutiges Wertefundament ist im Prinzip noch sehr jung: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die bei uns ohnehin noch nicht komplett umgesetzt ist, gibt es erst seit ca. 30 Jahren. Dass Frauen und Männer dies hart erkämpfen mussten, sollte den Neuankömmlingen, die oftmals aus sehr traditionellen und patriarchalisch geprägten Regionen stammen, noch stärker vermittelt werden.

Denn so erkennen sie, warum diese Debatte in Deutschland sehr emotional geführt wird“, betont Schröter. Arbeitsmarktexperte Tonio Rieger berichtet, dass durch die sehr gute Arbeitsmarktlage viele Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten haben, ihren Fachkräftebedarf zu decken, und auch bereit seien, Geflüchtete einzustellen. Allerdings mangelt es oft an der passenden Qualifikation.

Er ist aber davon überzeugt: „Das Erlernen der Sprache und eine qualifizierte Ausbildung sind zentral für die Integration.“ Er ergänzt, dass viele der ins Land gekommenen Menschen gerne direkt Geld verdienen wollten, und zwar aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: „Oft hat man noch Schulden bei denjenigen, die einem bei der Flucht geholfen haben, oder möchte gerne der Familie in der Heimat Geld schicken.“

Spezielle Ausbildungsakquisiteure kümmerten sich in Bayern um die schwer vermittelbaren jungen Leute; man müsse manchmal schon Überzeugungsarbeit leisten, so Rieger, um die Menschen von der Notwendigkeit einer Ausbildung zu überzeugen. Prof. Susanne Schröter pflichtet Rieger bei, wenn es um die Verabschiedung eines Fachkräftezuwanderungsgesetzes geht: „Wir müssen hinsichtlich der Einwanderung ganz klar formulieren, wo wir Bedarf haben und wo nicht; problematisch ist es, wenn Migranten zu hohe Erwartungen haben, was sie in Deutschland erwartet – da tut Aufklärung not.“

Weitere Infos: www.uni-frankfurt.de/science-policy

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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