Romantik beim Online Dating? Die Sozialwissenschaftler Kai Dröge und Oliver Voirol über Partnersuche im Internet
UniReport: Viele Zeitgenossen schätzen die beziehungsstiftende Kraft des Internets als recht gering ein; man geht davon aus, dass es vor allem um flüchtige, d.h. sexuelle Kontakte geht. Würden Sie das generell auch so sehen?
Olivier Voirol: Eine solche Kritik hört man häufig. Sie zeigt aber zugleich, wie hoch die Erwartungen sind. Auch im Internet suchen Akteure ernsthafte Beziehungen, die von wechselseitigem Respekt, Vertrauen und Intimität geprägt sind. Unsere Forschung zeigt: Diese Beziehungen finden sie häufig auch. Dabei kommen Aspekte zum Tragen, die wir schon aus der Geschichte des Liebesbriefes kennen. Distanz und Schriftlichkeit machen die Kommunikation ja nicht unbedingt oberflächlicher, sondern können im Gegenteil die Intensität der Gefühle wesentlich steigern. Aber wo die Erwartungen hoch sind, ist natürlich auch die Gefahr von Enttäuschungen groß.
Wenn Personen sich übers Netz kennenlernen, tauschen sie via Mail, Chat oder Telefon häufig schon viele intime Informationen aus. Dennoch sorgt ein erstes Treffen von Angesicht zu Angesicht oftmals für Befremden, vor allem was die physische Präsenz des Anderen angeht. Wie erklären Sie sich das?
Kai Dröge: Eine Besonderheit der Kommunikation über digitale Medien ist ja ihre spezifische Körperarmut. Dadurch entsteht eine interessante Laborsituation: Wie weit kann sich eine Paarbeziehung entwickeln ohne einen direkten physischen Kontakt? Unsere Forschung zeigt: Erstaunlich weit! Tatsächlich gibt es dann aber oft große Irritationen beim ersten Treffen. Interessanterweise geht es dabei meist um subtile Eigenheiten der körperlichen Alltagsinteraktion: Die Art, wie jemand die Hand zur Begrüßung schüttelt, den Klang der Stimme, etc. Das Paar, das vorher schon sehr vertraut miteinander war, wird sich plötzlich fremd. Für die Forschung bedeutet das: Wir müssen die Rolle solcher körperlichen Alltagsinteraktionen in Paarbeziehungen genauer untersuchen.
Wie muss man aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Online Dating (und damit überhaupt die online-basierte Kommunikation) begreifen – als eine (bloße) Ergänzung/ Erweiterung von face-to-face- Kommunikation oder als eine ganz neue Dimension von Interaktion, die die Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellt? Bedarf es einer spezifischen Medienkompetenz, gerade bei jungen Leuten?
Voirol: Oft werden gesellschaftliche Veränderungen einer Technologie zugeschrieben, obwohl sie schon sehr viel früher begonnen haben und jetzt nur technologisch Ausdruck finden. Dies ist auch bei Online Dating der Fall. Seit den 1960er Jahren haben sich grundlegende Wandlungsprozesse im Bereich von Liebe und Paarbeziehung abgespielt. Die Dominanz des bürgerlichen Ehe- und Familienmodells wurde gebrochen. Seitdem müssen Paare viel mehr unter sich aushandeln, welche Art von Beziehung sie führen wollen. Dies setzt eine gewisse Reflexivität im Hinblick auf die eigenen Gefühle und Wünsche voraus – eine Kompetenz, die heute auch im Internet unverzichtbar ist! Daneben erfordert Online Dating administrative Fertigkeiten im Umgang mit den Formularen zur Selbstbeschreibung und zur Suche sowie Kompetenzen der expressiven Selbstdarstellung, um unter den Millionen eingeschriebenen Mitgliedern überhaupt aufzufallen. Diese Kompetenzen sind nicht gänzlich neu, müssen sich aber natürlich an die spezifischen Bedingungen des Internets anpassen.
Laut einer Studie aus den USA sind Partnerschaften, die auf Dating-Plattformen begonnen haben, stabiler – wie kann man dieses eher verblüffende Ergebnis erklären?
Dröge: Das positive Ergebnis überrascht schon weniger, wenn man weiß, dass die Studie von einem führenden Online-Dating-Anbieter in den USA finanziert wurde. Tatsächlich waren die gemessenen Unterschiede so gering, dass ich die Deutung für ziemlich überzogen halte. Die Daten zeigen eher: Auf Dauer unterscheiden sich Beziehungen, die im Netz begonnen haben, kaum von anderen. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass ja auch die anderen Paare nicht in einer internetfreien Welt leben. Auch für sie hat die Tatsache, dass es Online Dating gibt, Konsequenzen. Auch sie fragen sich in einer Beziehungskrise vielleicht: Sollte ich nicht mal im Internet schauen? Da scheinen doch tausende potentielle Partnerinnen und Partner nur auf eine Nachricht von mir zu warten?
Internetportale wie Parship basieren auf der Idee der richtigen ,Passung‘: also dass diejenigen Partnersuchenden am besten zueinander finden, deren Persönlichkeitseigenschaften in hohem Maße kompatibel sind. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen dieses Konzept?
Dröge: Die Idee des bzw. der „einzig Richtigen“ ist ja ein alter romantischer Topos. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Das romantische Narrativ erzählt immer auch von der Liebe als Selbsttransformation. Dadurch, dass ich mich so intensiv auf einen anderen Menschen einlasse, verwandele ich mich selbst, entdecke ich neue Seiten an mir. Dagegen folgt das Konzept der „Passung“ auf Dating-Plattformen eher einer Konsumlogik und suggeriert, eine Beziehung ließe sich strategisch planen wie der Erwerb eines Eigenheims oder eines neuen Autos. Dabei soll uns die Technologie jene Ungewissheit abnehmen, die mit der Liebe immer verbunden ist. Unsere Interviews zeigen aber: Die so erzeugte „Passung“ ruft eher Langeweile hervor als Neugier, Aufregung und Verliebtheit.
Ein recht neues, aber bereits auch populäres Internet-Angebot ist Tinder – wie schätzen Sie dieses ein, wo liegen die Besonderheiten?
Voirol: Tinder versucht, sich klar gegen klassische Dating-Plattformen abzugrenzen. Die App nutzt die Ortsdaten des Mobiltelefons: Sind zwei Mitglieder räumlich in der Nähe, erhalten sie beide ein Angebot, den oder die jeweils Andere( n) kennenzulernen. Dies spielt mit den Ideen von Spontaneität, Intuition und einem Moment von Zufälligkeit. Dagegen sei klassisches Online Dating viel zu künstlich und kompliziert – behauptet das Marketing von Tinder. Tatsächlich benutzt jedoch auch Tinder komplexe Algorithmen für das „Matching“ potentieller Partnerinnen und Partner. Dazu wertet die App in großem Stil persönliche Informationen von Facebook und anderen Plattformen aus. Dies ist ein interessantes, aber auch sehr beunruhigendes Phänomen unserer digitalisierten Gegenwart: An vielen Stellen greifen heute Algorithmen tief in unsere sozialen Beziehungen ein, aber wo und wie sie das tun, bekommen wir nur selten zu sehen.
Herr Dröge, als Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung (IFS) sind Sie der kritischen Tradition des Instituts verpflichtet – wie sähe eine ‚linke‘ Kritik am Online-Dating aus?
Dröge: Zunächst einmal: Wenn wir auf problematische Aspekte dieses Phänomens hinweisen, dann tun wir das der Sache wegen und nicht, weil es die folkloristische Tradition des „linken“ Instituts für Sozialforschung so gebieten würde. Tatsächlich gibt es ja auch in der Öffentlichkeit ein breites Unbehagen über die neue Rolle des Internets in unseren Intimbeziehungen. In den Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern von Dating-Plattformen sind wir ebenso auf viele Selbstzweifel und frustrierende Erfahrungen gestoßen. Die Forschung sollte davor nicht die Augen verschließen, sondern versuchen, die Hintergründe dieses Unbehagens besser aufzuklären und die Ergebnisse dann wieder in den kritischen öffentlichen Diskurs zurückzuspielen. Das Institut ist auch heute noch ein Sammelpunkt für Forscherinnen und Forscher, denen genau das ein Anliegen ist.
Voirol: Absolut richtig! Ein solcher Punkt, der sowohl in der Öffentlichkeit als auch in unseren Interviews immer wieder problematisiert wird, ist die Tatsache, dass hier große Internetkonzerne in einen besonders sensiblen Bereich unseres Privatlebens vordringen. Die Branche hat schon früh ein Prinzip verstanden, das uns in den kommenden Jahren noch viel beschäftigen wird, weil es Zentrum der ganzen Big-Data-Industrie steht: Die Nutzerinnen und Nutzer werden dazu angehalten, umfangreiche persönliche Informationen in eine Datenbank einzuspeisen. Die Anbieter wiederum erklären diese Daten zu ihrem Privateigentum und verkaufen den Zugang dazu an andere Nutzerinnen und Nutzer. Dies ist geradezu der Traum einer jeden Unternehmung: Man verkauft etwas, dass von den eigenen Kundinnen und Kunden selbst produziert wird! Privatisierung und die Schaffung von Abhängigkeiten sind allerdings klassische Grundprinzipien des Kapitalismus, die schon Marx in seiner Zeit gesehen und beschrieben hat.
Eine Frage zur ‚Popularität‘ des Themas Online Dating: Wollen viele Interessengruppen, z. B. auch Partnerschaftsportale, ein verwertbares Wissen geliefert bekommen? Sind Boulevard-Medien immer auf der Suche nach der ‚catchy Headline‘, die ihnen aber seriöse Forschung angesichts der gebotenen Differenziertheit nicht bieten kann?
Dröge: Hier muss man zwei Aspekte unterscheiden. Tatsächlich ist das Interesse der Medien sehr groß; wir haben noch nie so viele Anfragen zu einem unserer Forschungsthemen erhalten. Ich finde das sehr interessant: Die Liebe erscheint uns so privat und individuell wie kaum ein anderer Aspekt in unserem Leben. Und doch erzeugen Veränderungen in diesem Bereich ein großes Bedürfnis an öffentlicher Diskussion und Selbstvergewisserung. Das zeigt: Die Liebe ist kein privatistisches Gefühl, sondern sie braucht die kulturellen Deutungsangebote der Gesellschaft! Dass eine Erhöhung der Herzfrequenz oder ein Sträuben der Nackenhaare uns Verliebtheit anzeigen kann, ist nicht selbstevident, sondern ein gesellschaftlichen Wissen, das wir gelernt haben. In ganz ähnlicher Weise verlangen auch die neuen Erfahrungen im Internet nach gesellschaftlicher Deutung und Einordnung. Hier muss man als Wissenschaftler immer sorgfältig abwägen, wo und wie man sich sinnvoll einbringen kann und wo nicht. Eng damit zusammen hängt ein zweiter Aspekt: Auch die Dating-Plattformen selbst mischen in diesen Debatten mit und versuchen, das von ihnen propagierte Modell einer idealen Paarbeziehung mit der Aura von Wissenschaftlichkeit auszustatten. Dazu rekrutieren sie gerne Experten, die das bezeugen sollen. Hier ist aus unserer Sicht klar Distanz geboten! Gerade weil die Anbieter auch sehr stark in den öffentlichen Diskus intervenieren, braucht es unabhängige Stimmen und kritische Analysen.
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Dr. Kai Dröge ist Assoziierter Wissenschaftler am Institut für Sozialforschung (IFS) und Dozent an der Hochschule Luzern.
Dr. Oliver Voirol ist Assoziierter Wissenschaftler am IFS und Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Senior Lecturer an der Universität Lausanne.
Ihr Projekt „Online Dating. Mediated Communication between Romantic Love and Economic Rationalization“ ist eine Kooperation zwischen dem Institut für Sozialforschung an Goethe-Universität und der Universität Lausanne, Schweiz. Es wurde gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds.
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