US-Wahlen / Interview mit dem Amerikanisten Johannes Völz

Biden oder Trump? Am 3. November wird in den USA gewählt. Wir haben uns mit dem Amerikanisten Prof. Johannes Völz über die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA unterhalten.

Dirk Frank: Herr Prof. Völz, am 3. November wird in den USA gewählt. In den Prognosen liegt Joe Biden schon lange deutlich vorne. Könnte das Wahlergebnis dennoch wieder wie vor vier Jahren eine Überraschung sein? Und wann wird das Ergebnis überhaupt vorliegen?

Prof. Völz: Vor vier Jahren haben wir schmerzlich erfahren, dass Wahlprognosen mit Vorsicht zu genießen sind. Insofern wäre es unseriös, Vorhersagen über den Wahlausgang zu machen. Die Situation ist diesmal auch besonders kompliziert. Einerseits gibt es seit Beginn des Jahres eine große Konstanz in den Umfragen und eine sehr kleine Zahl der Unentschiedenen – und dass, obwohl in diesem Jahr so viele Dinge passiert sind, die eigentlich zu Meinungsumschwüngen führen sollten, vom Amtsenthebungsverfahren bis hin zu Trumps Ansteckung mit dem Virus. Das macht deutlich: Diese Präsidentschaftswahl ist in erster Linie ein Referendum über die Person Donald Trump. Und da haben die meisten Menschen eine feste Meinung. Auf der anderen Seite sind diesmal etwa ein Dutzend Staaten umkämpft. Deswegen ist es sowohl möglich, dass Biden ein Erdrutschsieg gelingt, als auch, dass es zu einem völlig unklaren Ergebnis kommt. In drei der umkämpften Battleground States – Pennsylvania, Michigan und Wisconsin – ist nicht damit zu rechnen, dass wir am Wahlabend schon Ergebnisse bekommen. Das liegt daran, dass hier Briefwahlstimmen erst am Tag der Wahl ausgewertet werden dürfen. Mit anderen Worten: ein klares Ergebnis am 3. November bekommen wir nur, wenn Biden so viele Staaten gewinnt, dass es auf diese drei gar nicht mehr ankommt.

Trump hat selber im Vorfeld der Wahl angedeutet, das Ergebnis unter Umständen nicht zu akzeptieren, gewaltbereite Gruppen wie die Proud Boys könnten ihn dabei unterstützen. Welche Szenarien halten Sie für möglich?

Dass wir bürgerkriegsähnliche Zustände sehen werden, wie manche befürchten, halte ich für ein wenig übertrieben. Aber dass es vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt – die durch die vielen Schusswaffen dann sehr schnell tödlich enden – halte ich für realistisch. Das ist im Vorfeld der Wahl ja bereits mehrfach passiert, in Oregon etwa oder auch in Seattle. Wenn Biden kein eindeutiger Erdrutschsieg gelingen sollte, wird Trump das Wahlergebnis anfechten, davon kann man sicher ausgehen. Beide Parteien haben in den einzelnen Battleground States ein ganzes Heer von Anwälten in Stellung gebracht. Trump wird es darum gehen, die Auszählung von Briefwahlstimmen möglichst zu unterbinden. Denn es sind überwiegend demokratische Wähler, die per Briefwahl abstimmen. Und je länger ausgezählt wird, desto deutlicher verfärben sich die Wahlergebnisse in den umkämpften Staaten von rot in blau. Die Amerikaner sprechen hierbei von „blue shift“. 

Trump sieht in der Briefwahl die Gefahr eines Wahlbetruges – muss man das ernstnehmen? 

Das Schlagwort, das die Medienkampagne der Republikaner bestimmen wird, lautet „voter fraud“ – Wahlbetrug. Dass es durch die Briefwahl Wahlbetrug im großen Stil gibt, ist zwar reine Fiktion. Aber mit dieser Fiktion wird Trump das Wahlergebnis zu delegitimieren versuchen. Das kann soweit führen, dass in einzelnen Staaten die Wahl für ungültig erklärt wird und dass stattdessen die Parlamente in diesen Staaten ihre Wahlmänner selbst auswählen. Die Verfassung lässt das zu. Da heißt es lediglich, es sei Aufgabe der Legislative eines jeden Staates, Wahlmänner zu bestimmen. Dass die Einzelstaaten dies den Wählern überlassen, hat sich erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt. Es gibt bei den Republikanern Planspiele zur Frage, ob man die Entscheidung in einzelnen Staaten nicht dem jeweiligen Parlament zurückgeben kann. Das betrifft die Staaten, in denen Republikaner die Mehrheit im Kongress haben und den Gouverneur stellen, und es betrifft nur den Fall, dass Biden dort gewinnt. Man muss sich das vorstellen: das ist de facto der Plan, die Wahl zu annullieren, wenn nicht das gewünschte Ergebnis herauskommt. Das käme einem Coup gleich. Kurzum: Wenn Biden nicht mit überwältigender Mehrheit gewinnt, stehen wir vor einer Verfassungskrise. Es klingt immer so dramatisch, wenn es heißt, die amerikanische Demokratie sei in Gefahr. Aber ganz nüchtern betrachtet: genauso ist es.

Gewählt wird nicht nur der Präsident, sondern auch das Repräsentantenhaus und Teile des Senats. Halten Sie eine Machtverschiebung auch dort für möglich? 

Wir können sicher davon ausgehen, dass die Demokraten weiterhin die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben werden. Auch im Senat sieht es für die Demokraten nicht schlecht aus. Die Website fivethirtyeight.com, an deren Prognosenberechnung sich mittlerweile alle großen amerikanischen Medien orientieren, schätzt die Siegchancen der Demokraten im Senat auf etwa 75 Prozent. 75 Prozent heißt natürlich in Wirklichkeit, dass es keinesfalls unwahrscheinlich ist, dass der Senat in der Hand der Republikaner bleibt. 

Und welche Konsequenzen hätte das für das transatlantische Verhältnis?

Biden würde als Präsident vermutlich versuchen, die Allianzen mit traditionellen Partnern – vor allem mit Europa – wieder zu stärken. Er weiß, dass die USA Partner brauchen, um ihre Ziele etwa gegenüber  China durchzusetzen, und ihm bedeutet es auch etwas, wie das Ansehen der USA bei den traditionellen Partnern ist. Für die transatlantischen Beziehungen wäre ein Wahlsieg von Biden also auf jeden Fall sehr viel günstiger. Aber nur wenn Exekutive und Legislative in demokratischer Hand sind, kann Biden größere Veränderungen bewirken. So lange die Demokraten nicht beide Kammern des Kongress’ gewinnen, wird er es schwerhaben, etwas durchzusetzen. Denn es ist absolut klar, dass die Republikaner im Senat – sollten sie dort weiterhin die Mehrheit haben – weiterhin alles blockieren werden, was Biden unternimmt. 

Fragen: Dirk Frank

Prof. Völz wird den nächsten Tagen einige Radiointerviews zu den US-Wahlen und zum Hintergrund der politischen Kultur in den USA geben.

• Sonntag, 1.11. Deutschlandfunk, Kultur heute
• Dienstag, 3.11., hr2 – Der Tag (18 bis 19 Uhr)
• Mittwoch, 4.11., hr2 – Der Tag (18 bis 19 Uhr)

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