An den Universitäten hierzulande bewerten Studierende die 17 einzelnen UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung zwar von Fach zu Fach unterschiedlich. Insgesamt gibt es aber eine durchgehend positive Grundhaltung. So das Ergebnis einer deutschlandweiten Online-Befragung der Goethe-Universität Frankfurt. Bei dieser wurde auch die persönliche Naturverbundenheit der Studierenden berücksichtigt. Die Studie liefert erste Anhaltspunkte, wie Universitäten das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft stärker in das Studium integrieren könnten – zum Beispiel in Form eines fächerübergreifenden Austauschs.

Viele der Studierenden von heute werden zu den Entscheiderinnen und Entscheidern von morgen gehören, wenn sie wichtige Funktionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausüben. Damit nehmen sie auch großen Einfluss darauf, wie nachhaltig die Gesellschaft künftig agiert, ob sie den Klimawandel konsequent bekämpft oder die Natur ausreichend schützt. Doch welche Einstellungen haben die künftigen Entscheider zur Nachhaltigkeit? Wird ihr eine zentrale Rolle zugesprochen oder eher nicht? Eine deutschlandweite Studie der Goethe-Universität Frankfurt liefert dazu neue Erkenntnisse. Studierende aus 18 unterschiedlichen Fächern wurden nach ihrer Naturverbundenheit gefragt und für wie wichtig sie die 17 einzelnen Ziele der Vereinten Nationen (UN) für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) halten. Zu den SDGs gehören sauberes Wasser, keine Armut, kein Hunger, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftswachstum.
„Wir haben uns drei Forschungsfragen gestellt“, erklärt Erstautorin Viktoria Feucht vom Fachbereich Didaktik der Biowissenschaften der Goethe-Universität: „Unterscheiden sich Studierende unterschiedlicher Studiengänge in ihrer Naturverbundenheit? Bewerten Studierende unterschiedlicher Studiengänge die einzelnen Nachhaltigkeitsziele unterschiedlich? Korrelieren Naturverbundenheit und die Bewertung der Wichtigkeit einzelner Ziele?“
Bei der ersten Frage, der Naturverbundenheit, stellte sich heraus: Thematisch naturnähere Studiengänge wie Geowissenschaften und Geoökologie, aber auch Architektur hatten die höchsten Werte, Fächer wie BWL, Chemie und Computerwissenschaft die niedrigsten. Im Mittelfeld lagen unter anderem menschenbezogenere Studiengänge, Soziologie und Theologie. „Eine interessante Frage wäre, was die Ursachen für diese unterschiedlichen Naturverbundenheitsgrade sind“, so Feucht. „Es könnte der Einfluss des Studienprogramms selbst sein. Oder die Studierenden wurden schon vor Beginn des Studiums in die eine oder andere Richtung geprägt, etwa durch Kindheitserlebnisse.“
Bei der Fragestellung 2, der Bewertung der UN-Nachhaltigkeitsziele, stand eine Skala von 1 bis 5 (unwichtig bis wichtig) zur Auswahl. Es zeigte sich, dass die einzelnen Ideen der SDGs in allen Fächern als wichtig eingestuft wurden, oft als sehr wichtig. Der niedrigste fächerspezifische Mittelwert lag bei 3,5, der höchste bei 4,9. Die Unterschiede von Fach zu Fach fielen innerhalb dieses Bereichs teils deutlich aus. So bekam das ökonomische Ziel 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur) beim Fach BWL einen viel höheren Wert als bei Geoökologie. Geoökologie wiederum sowie Biologie wiesen dem Ziel 14 (Leben unter Wasser) viel größere Bedeutung zu als die Fächer Physik und Informatik. Ein übergreifender Trend war bei den Zielen 2 und 6 (Kein Hunger; Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen) erkennbar. Sie bekamen durchgehend sehr hohe Werte, 4,7 und mehr. Feucht deutet das so: „Nahrung und Trinkwasser gehören zu den absoluten Grundbedürfnissen, die Menschen zum Überleben brauchen. Das halten alle, unabhängig vom Fach, für sehr wichtig.“
In der dritten Forschungsfrage schließlich wurden die Mittelwerte der Naturverbundenheit und der SDG-Bewertungen miteinander in Verbindung gesetzt. „Die UN-Ziele umfassen ja auch die ökologische Dimension. Wir wollten sehen, ob sich die persönliche Naturbezogenheit in einigen der SDGs reflektiert.“ Dies war jedoch nur bei Ziel 15 (Leben an Land) der Fall. Die Übereinstimmung der Werte hier bedeutete: Je wichtiger ein Studiengang Ziel 15 findet, desto naturverbundener ist dieser – und umgekehrt. „Womit natürlich keine Kausalität bewiesen ist, nur ein Zusammenhang über die Korrelation.“
Was lässt sich aus den Umfrageergebnissen schlussfolgern? „Wir haben gezeigt, dass Studierende in Deutschland unabhängig vom Studienfach allen 17 Nachhaltigkeitszielen eine hohe bis sehr hohe Wichtigkeit zuordnen. Es gibt eine breite positive Grundeinstellung – und die sollten Universitäten nutzen, um Studierende aller Fachbereiche stärker in Nachhaltigkeit auszubilden.“ Zum Beispiel könnte die Übereinstimmung bei Naturverbundenheit und Ziel 15 ein Ansatz sein. Studienautor Dr. Matthias Kleespies meint: „Ausgehend von unseren Ergebnissen empfehlen wir einen reflexiven und naturnahen Bildungsansatz, denn andere Studien haben gezeigt, dass solche Maßnahmen die Verbindung zur Natur verbessern können.“ Sinnvoll sei auch, in Vorlesungen die fachspezifischen Themen verstärkt mit Nachhaltigkeitsaspekten zu verknüpfen. „Da die UN-Ziele universell sind, ergeben sich viele Berührungspunkte“, so Feucht. Auch in Fächern, bei denen Nachhaltigkeitsaspekte bisher nicht im Vordergrund standen. Feucht nennt als Beispiel das Fach Chemie, das genau wie andere Fächer viel Potential habe, Veränderungen anzustoßen. Themen wie Abfallverwertung und Produktionsprozesse ließen sich gut mit Fragen der Nachhaltigkeit verbinden. „Wir sollten grundsätzlich kein Fach ausklammern. Nachhaltigkeit geht uns alle an, deshalb sollten auch alle Studiengänge das Thema intensiv behandeln. “
Inter- und Transdisziplinarität sei ein weiterer vielversprechender Ansatz. „Da jedes Fach anders funktioniert, kann ein Austausch zwischen den Studierenden unterschiedlicher Fächer helfen, das Verständnis für Nachhaltigkeit auf beiden Seiten zu erweitern. “ In dem Austausch fänden sich gemeinsame Nenner, aber auch gegensätzliche Haltungen. Was sogar gut sein könnte: Sind die heutigen Studierenden irgendwann einflussreiche Akteure in Politik oder Wirtschaft, müssen sie auch gemeinsam Entscheidungen treffen können – trotz konträrer Meinungen zu bestimmten Aspekten der Nachhaltigkeit.
Publikation: Viktoria Feucht, Paul Wilhelm Dierkes, Matthias Winfried Kleespies: Ranking our future: University students’ prioritization of Sustainable Development Goals and their connection to nature. Sustainable Development (2024) https://doi.org/10.1002/sd.3278