Doktorand braucht sechs Wochen von Togo zur Goethe-Uni

„All flights are suspended“: das Flugzeug, das den Frankfurter Pharmazeut am Ende nach Frankfurt bringt, ist nirgends registriert.

Wie der Frankfurter Doktorand Gustave Adouvi wegen „Corona“ sechs Wochen brauchte, um von Togo zur Goethe-Universität zu gelangen.

Wäre Gustave Adouvi nicht so ein freundlicher Mensch, hätte es diese abenteuerliche Rückreise nach Frankfurt gar nicht gegeben. Weil sich der Doktorand aber bereit erklärt hatte, pünktlich zum Start des Sommersemesters Praktikanten seines Fachbereichs pharmazeutische Chemie zu betreuen, trat er den Familienbesuch in sein Heimatland Togo im März zwei Wochen früher als geplant an. Tage später und sein Flugzeug wäre wegen „Corona“ am Boden geblieben. 

Wäre Gustave Adouvi nicht so ein freundlicher Mensch, hätte er sich auch eine längere Auszeit erbeten, bevor er von seiner Reise am Telefon berichtet. Er ist sehr erschöpft, dennoch erzählt er.  

Die erste Heimreise nach 13 Jahren: Seit der 22-jährige zum Studium nach Deutschland aufgebrochen ist, hat er Mutter, Geschwister und weitere verstreut wohnende Familienangehörige nicht wiedergesehen. Im Reisegepäck nach Togo trägt er nun außer Geschenken für die Familie auch einen Auftrag seiner Arbeitsgruppe Pharmazeutische Analytik: hierzulande unbekannte Heilpflanzen aus Togo ausfindig zu machen. Die Basis neuer Medikamente aus Naturstoffen?!

Viel Zeit für Besuch und Heilpflanzenrecherche bleibt Gustave Adouvi nach seiner Ankunft in Togo allerdings nicht. Kaum angekommen erreichen COVID-19-Hiobsbotschaften aus Europa den afrikanischen Kontinent. Für die einzige Rückrufaktion deutscher Staatsangehöriger aus Togo durch die Bundesregierung kommt Gustave Adouvi als nicht-deutscher Staatsbürger mit Daueraufenthaltsberechtigung nicht in Betracht.  

Der gebuchte Rückflug für Mitte April ist längst gecancelt, als Togo Ausgangssperren verhängt und wie das Nachbarland Benin, Wohnort der Mutter, die Grenzen abriegelt. „Wir haben meine Mutter über einen Fluss geschmuggelt“, verrät Gustave Adouvi die Geheimaktion, durch die immerhin ein Wiedersehen mit der Mutter möglich wird. 

Noch reicht das Geld für eine zweite Buchung, mit 500 Euro allerdings doppelt so teuer wie die erste. Gustave Adouvi setzt alle Hoffnungen in den neuen Rückflug am 15. Mai. Wenige Tage nach der Buchung wird aber auch dieser Flug storniert, mit dem freundlichen Hinweis der Fluggesellschaft auf einen Gutschein für Nach-Corona-Zeiten. „Den ‚Einverstanden-Button‘ habe ich aber nicht gedrückt.“  

Quarantäne im Hotel: Auf dem Rückflug macht das Flugzeug Zwischenlandung in Addis Abeba.

Und nun kommt die Goethe-Universität ins Spiel. „Ich habe ihn angeschrieben“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Mario Wurglics, weil er sich nach dem Doktoranden seines Arbeitskreises erkundigen wollte. Dessen erste Antwortmails klingen nicht besorgniserregend. „Ich habe mich eingeschränkt, komme über die Runden“, habe der junge Apotheker geschrieben. 

Tatsächlich hat der Afrikaner sich da schon länger auf „Diät“ gesetzt. „Togo ist sauteuer, für ein Frühstück gibt man leicht 10 bis 15 Euro   aus.“ Er spart, wo er kann, meidet die teuren Supermärkte, hält sich an offene Verkaufsstände und kauft nicht das erstklassige Trinkwasser für Europäer, sondern das qualitätsarme für Afrikaner, im Vertrauen, dass er ihn seine afrikanische Kindheit vor allzu heftigen körperlichen Beschwerden schützt. Als approbierter Apotheker hat er ohnehin einen Koffer voller Medikamente bei sich. “Ein Europäer hätte sicher länger gelitten als ich“, kommentiert er die einwöchige Übergangsphase samt Magenbeschwerden. Währenddessen besucht er regelmäßig die Büros der Fluggesellschaften, so sie denn geöffnet haben. Dort trifft er auf gestrandete amerikanische Staatsbürger etwa aus Atlanta und New York, die lautstark Geld für ausgefallene Flüge einfordern. Gemeinsam treibt sie das Eine um: Wann geht ein Flug? 

Ein neuer Rückflug kostet inzwischen zwischen 1.500 und 3.000 Euro. Gustave Adouvi hat kein Geld mehr für ein weiteres Ticket. Er informiert seinen Arbeitskollegen in Frankfurt. „Um Hilfe zu bitten, das ist mir, ehrlich gesagt, sehr, sehr schwer gefallen.“

Dies ist der Moment, an dem Mario Wurglics und zwei Mitarbeiterinnen des Fachbereichs aktiv werden. Sie nehmen Kontakt zu einem deutschen Reisebüro im Homeoffice auf. Gefühlte hunderte Male ohne Erfolg. Am Ende wird ein Flug gebucht. Das Geld nehmen sie aus der Kasse des Arbeitskreises und werden dabei unterstützt von der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen an der Goethe-Universität. Deren Vorsitzender, der ehemalige Vizepräsident Prof. Bereiter Hahn sowie Vizepräsident Prof. van Dick erkannten die große Notlage und waren schnell bereit zu helfen. 

Verlängern oder kündigen? Gustave Adouvi in seiner gemieteten Unterkunft in Lomé, der Hauptstadt von Togo

Das Reisebüro übermittelt das Ticket über ein Reisebüro in Togo an den wartenden Gustave Adouvi. Tag und Nacht hat Mario Wurglics in diesen Tagen die Homepage der Fluggesellschaft bzw. des Flughafens in Lomé auf seinem Computer im Blick. „All flights are suspended until new order“. Diese Auskunft ändert sich nicht. In der Nacht vor dem geplanten dritten Rückflug am 18. Mai wird der Termin telefonisch abgesagt. Die Unterkunft ist gekündigt, der Koffer gepackt. Gustave Adouvi ist es allerdings gelungen, den Rückflug vor Ort bei der Fluggesellschaft auf die folgende Woche umbuchen zu lassen.

Während er am 25. Mai zum Flughafen fährt, informiert ihn die Fluggesellschaft, dass der Flug nicht stattfindet. „Kommen Sie aber trotzdem mal, und warten Sie ab“, rät man ihm am Telefon. Am Ende sitzt er, gemeinsam mit einigen wenigen Passagieren, in einem Flugzeug, das nirgends angezeigt ist und das es offiziell nicht gibt. Flugziel Addis-Abeba.

Bei der Zwischenlandung in Äthiopien hat Gustave Adouvi zum ersten Mal „echt Angst“. „Togo ist meine Heimat, da kenne ich mich aus. Aber wenn ich einige Wochen in Äthiopien festgesessen hätte, bei der Sicherheitslage …“. Er spricht den Satz vorsichtshalber nicht zu Ende. Die Nacht verbringen die Passagiere auf Kosten der Fluggesellschaft eingeschlossen in ihrem Hotelzimmer. Am 27. Mai um sechs Uhr fünf landet Gustave Adouvi in Frankfurt. Der Bildschirm im Haus von Mario Wurglics zeigt noch immer dieselbe Nachricht an: „All flights are suspended ….“

 „Wir sind so froh, dass er wieder da ist“, sagt Mario Wurglics. So hört sich Erleichterung an. Wie es ihm ergangen wäre, hätte er nicht Kontakt mit seinem Arbeitskreis gehabt? Zum ersten Mal lacht Gustave Adouvi. „Ich glaube, ich wäre noch in Togo.“ Erleichterung, die zweite.

Gustave Adouvis Quarantäne endet am 10. Juni. Die Praktika, die er betreuen wollte und für die er „im Moment keine Kraft hätte“, beginnen, Corona-bedingt verschoben, einen Tag später. Gustave Adouvi ist pünktlich zurück.

Die Suche nach Heilpflanzen übrigens ist keineswegs in den Turbulenzen der Rückreise untergegangen. „Ich habe Informationen aus erster Hand, wer in Togo dazu forscht“, erklärt der junge Apotheker. Auch kam es in der geschlossenen Universität noch zu einem Treffen mit einem einheimischen Forscher – der, erinnert sich der Frankfurter, zugegebenermaßen „etwas verunsichert“ gewesen sei. Was Gustave Adouvi nicht davon abhielt, noch am Tag seiner Ankunft in Frankfurt Kontakt mit Togo aufzunehmen.

Autorin: Pia Barth

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